Brotsommelière aus Bad Honnef Eine Botschafterin in Sachen Brot

Bad Honnef · Die Bad Honneferin Betina Louis hat als zweite Frau erfolgreich die Prüfung zur Brotsommelière abgelegt. Im Hennefer Unternehmen Gilgen's gibt die gelernte Bäckerin ihr Wissen an die Kollegen weiter.

 Den richtigen Durchblick in Sachen Brot haben Chefin Manuela Gilgen (r.) und Bäckerin Betina Louis.

Den richtigen Durchblick in Sachen Brot haben Chefin Manuela Gilgen (r.) und Bäckerin Betina Louis.

Foto: Frank Homann

Wieder auf die Schulbank mit Anfang 50, sagt Betina Louis, „das war das Schwierigste, die Herausforderung, das Lernen zu lernen.“ Bereut habe sie die Entscheidung nie, ergänzt die Bäckerin aus Leidenschaft, die ihre Brötchen seit 2008 im Hennefer Unternehmen Gilgen's verdient. Der Einsatz hat sich gelohnt: Nach gut einem Jahr intensiver Büffelei und einem anschließenden Prüfungsmarathon über sechs Tage ist die Bad Honneferin – auch dieses Wortspiel sei erlaubt – frischgebackene Brotsommelière. Betina Louis ist erst die zweite Frau unter 27 Brotsommeliers insgesamt, die diesen Titel erworben hat.

Sommelier oder weiblich Sommelière, diesen Begriff verbindet man in erster Linie mit Beratung zum Wein. Vergleichbar gibt es Bier-, Whisky- oder Käse-Sommeliers. Aber Brotsommelier? Kein anderes Land als Deutschland mit seinen 3200 Brotsorten bietet sich mehr an, besondere Expertise auch zum Thema Brot zu fordern und zu fördern. Darum geht es auch in der Akademie des Deutschen Bäckerhandwerks in Weinheim. Dort wurde der anspruchsvolle Lehrgang entwickelt. Seit 2015 gibt es neben Meisterkursen und zahllosen Fortbildungen auch den ersten staatlich anerkannten Kursus zum Brotsommelier.

In Deutschland gibt es 3200 Brotsorten

„Brot hat einen anderen Stellenwert verdient, es sollte nicht verramscht werden“, sagt Firmenchefin Manuela Gilgen beim Termin mit Louis in der Bad Honnefer Gilgen's-Filiale, Louis' ehemaligem Wirkungskreis. Und: „Ich sage immer, der Deutsche bringt sich mit Messer und Gabel um. Fürs Auto gibt es das teuerste Öl, aber Brötchen dürfen nicht teurer sein als ein paar Cent.“ Ist Brot etwa in Verruf geraten? Louis: „Brot ist gesund, als einziges Lebensmittel enthält es die drei wichtigen Ernährungsbestandteile Kohlenhydrate, Proteine und Fette. Aber wer isst heute noch klassisch Abendbrot?“ Zumal in Zeiten, da Kohlenhydrate am Abend verpönt und Unverträglichkeiten großes Thema sind. Louis hält entgegen: „30 000 Jahre schon ernähren sich Menschen von Süßgräsern. Der Neandertaler hingegen, der es mehr mit Fleisch gehalten hat, der ist ausgestorben.“

Ursachen für Unverträglichkeiten sind ihrer Überzeugung nach unter anderem in der industriellen Fertigung zu suchen. Nur ein Beispiel: Ein guter Teig brauche Zeit, viel Zeit. Wenn aber die Zeit fehle, deswegen etwa mehr Hefe zugesetzt werde, würden klassische chemische Prozesse im Teig abgekürzt und ausgehebelt. Fehlende Backtemperaturen, da diese in Backautomaten nicht erreicht würden, und immer mehr künstliche Zusätze täten ein Übriges.

"Jedes Brot ein Unikat"

Demgegenüber stehe handwerklich gefertigtes Brot, mit Korn aus regionalem Anbau – „Unser Roggen kommt aus dem Westerwald, der Weizen aus der Eifel“ –, eigens gezogenen Sauerteigen für Weizen-, Roggen- und Dinkelbrote, Rezepturen ohne Zusätze und so fort. „Wir können mit Fug und Recht sagen, bei uns ist jedes Brot ein Unikat, jeder Laib wird von Hand gewirkt“, so Louis.

„Es geht darum, wieder mehr Leidenschaft für dieses Produkt zu vermitteln“, so Gilgen und Louis. Eine Leidenschaft, wie sie Louis von den ersten Schritten im Bäckerhandwerk bis heute erhalten geblieben ist. „Ich wollte unbedingt etwas Handwerkliches lernen. Und meine Eltern haben mich dabei unterstützt“, erzählt sie.

Ausbildung in einer Männerdomäne

Mit 16 Jahren begann sie ihre Ausbildung zur Bäckerin, als junges Mädchen in einer Männerdomäne – „und mir wurde nichts geschenkt, ich musste mich immer wieder behaupten“. Säckeweise Mehl schleppen, zu nachtschlafender Zeit in der Backstube stehen: Alles das gehörte selbstverständlich dazu. Es folgten die Gesellenjahre in unterschiedlichen Betrieben.

2008 mit Übernahme eines Honnefer Bäckereibetriebes durch Gilgen's wurde sie Filialleiterin. 2015 wechselte sie zum betriebsinternen Schulungsteam, das aktuell 272 der 600 Mitarbeiter zum Thema Brot fortbildet. Der Anspruch sei unter anderem, noch qualifiziertere Kundenberatung bieten zu können. Inhaltsstoffe, Herstellungsverfahren, korrespondierende Beläge oder Speisen – das Thema Brot erschöpfe sich nicht im Standard „hell oder dunkel, mit Körnern oder ohne“. Louis: „Brot ist Kultur, Tradition, Heimat. Es ist der preiswerteste Luxus, den sich jeder leisten kann.“ Und eine sinnliche Erfahrung, mit Duft und Geschmack. Louis schwärmt: „Alleine auf dieser Kruste sind 600 Aromen.“

Viele Fächer von Betriebswirtschaft bis Brotkultur

Chefin Manuela Gilgen war es, die den Anstoß zur Teilnahme am Sommelier-Kursus gab. Eigentlich ist dafür der Meisterbrief Voraussetzung. Die langen Gesellenjahre samt entsprechender Alleinverantwortung in Betrieben wurden Louis stattdessen anerkannt, der Weg zum Sommelier-Kursus war frei. Der Lehrstoff und der Stundenplan an je drei Tagen pro Monat, für die Louis stets freigestellt war, hatten es in sich. Betriebswirtschaftliche Grundlagen und Präsentationstechniken, Produktkunde und Kenntnisse der Deutschen Brotkultur, Verzehrempfehlungen, sensorische Fähigkeiten und Begutachtung – die Fächer füllen drei eng beschriebene Seiten.

Am Ende steht stets eine Projektarbeit. Louis' Thema: „Schulungen zum Thema Brot“. Ihre Abschlussnote von 2,7 konnte selbst mancher Bäckermeister nicht toppen. Besonderes Schmankerl zum Abschluss: Mit Starkoch Johann Lafer wurde gemeinsam gekocht – „mit Brot in jedem Gang, das versteht sich von selbst“, so Louis.

„Das war ein ganz besonderes Jahr für mich. Ich kann die Möglichkeit, dass mein Unternehmen mir das ermöglicht hat, gar nicht hoch genug einschätzen“, sagt Louis. Manuela Gilgen ist froh und stolz, mit Louis einen hoch dekorierten Brotcoach zu haben, eine Sommelière eben, die ihr profundes Wissen im Unternehmen mit unter anderem 90 Auszubildenden weitergibt. Denn davon profitierten alle, die Firma, die Mitarbeiter – und die Kunden.

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