75 Jahre Kriegsende in Bad Honnef Honnefer versteckten sich vor den Granaten der Amerikaner

BAD HONNEF · Vor 75 Jahren marschierten die amerikanischen Soldaten durch die Honnefer Innenstadt. Die Honnefer verkrochen sich vor dem Granaten-Beschuss in den Kellern.

 Vom Markt aus rücken am Morgen des 10. März 1945 amerikanische Soldaten in den mittleren Teil der Hauptstraße in Richtung des heutigen Vogelbrunnens vor, am einstigen Weinhaus Kickel (rechts) und dem früheren Feinkost-Geschäft Lange (links) vorbei.

Vom Markt aus rücken am Morgen des 10. März 1945 amerikanische Soldaten in den mittleren Teil der Hauptstraße in Richtung des heutigen Vogelbrunnens vor, am einstigen Weinhaus Kickel (rechts) und dem früheren Feinkost-Geschäft Lange (links) vorbei.

Foto: Siebengebirgsmuseum

Die letzte Kriegsausgabe der Honnefer Volkszeitung erschien am 5. März 1945 und bestand aus einem Blatt. Vorn der „Gauleiter-Aufruf zu härtestem Widerstand“. Auf der Rückseite Gefallenenanzeigen, die Nachricht über die Verkürzung der Lebensmittelzuteilungen; Juwelier Weiß drängt seine Kunden auf Abholung der Reparaturen und lehnt jede Haftung ab. Und das Weinhaus Kickel fragt, wer mit einem Lastwagen nach Wöllstein fährt und ein Fuder Wein mit zurückbringt. Es ist nicht bekannt, ob der Wein nach Honnef gelangte.

Vor 75 Jahren, im Morgengrauen des 10. März, drangen die Amerikaner vom Markt aus auch in die heutige Fußgängerzone vor – im Gänsemarsch, im Abstand von drei Metern, vorbei am Weinhaus Kickel, dokumentiert auf einem Foto, das die HVZ später aus dem US-Nationalarchiv in Washington erhielt.

 Amerikanische Militärpolizei der 1. US-Armee bewacht Oberst Henke, der mit etwa 100 Mann seiner Leute an der Asbacher Straße, der heutigen Schmelztalstraße, durch Teile der 78. Infanterie-Division gefangen genommen wurde.

Amerikanische Militärpolizei der 1. US-Armee bewacht Oberst Henke, der mit etwa 100 Mann seiner Leute an der Asbacher Straße, der heutigen Schmelztalstraße, durch Teile der 78. Infanterie-Division gefangen genommen wurde.

Foto: Honnefer Volkszeitung

Als die US-Soldaten am 9. März, einem Freitag, das Honnefer Stadtgebiet erreichten, nahmen sie Straße für Straße ein. In der Nacht auf den Samstag wies ein deutscher Luftwaffenfeldwebel im Pfarrgarten Pfarrer Hubert Wüsten an: „Verkriechen Sie sich im Keller! Bringen Sie sich in Sicherheit! Honnef wird dem Erdboden gleichgemacht. Die Amis decken es mit Bomben zu. Oder aber die deutsche Artillerie haut es zusammen!“

Beerdigung endete vorzeitig

Nachdem ein Stoßtrupp der 9. US-Panzerdivision am 7. März über die Ludendorff-Brücke in Remagen den Rhein überquert hatte, rollte der Krieg gen Honnef. Die Gerüchteküche brodelte. Die einen berichteten, amerikanische Truppen rückten Richtung Honnef vor, die anderen hatten von einem erfolgreichen Gegenstoß der Deutschen gehört. Vom Rodderberg her schlugen die ersten Granaten in der Stadt ein. Das Geheul begleitete auch die Gebete der letzten Bestattung vor dem Frontübergang am Nachmittag des 8. März. Hastig verließ die kleine Trauergesellschaft den Neuen Friedhof.

Kurz hinter dem Friedhofseingang waren Vierlingsflak-Geschütze postiert. Die Kanoniere lagen in schnell ausgehobenen Deckungslöchern und in angrenzenden Häusern. In dieser Nacht und am Morgen des 9. März, so die Erzählungen, füllten Honnefer Frauen so manche Feldflasche mit Tee, packten ihre kargen Lebensmittel in die Brotbeutel der deutschen Soldaten.

Über die Linzer Straße ging ein müder Zug: Keuchende Soldaten, hoffnungslos und ausgebrannt, zerrten ihre Geschütze teilweise selbst und schleppten die Munition. Sie hatten kaum noch Benzin für Panzer und Laster. In Höhe der Einmündung der heutigen Kardinal-Frings-Straße errichteten sie eine Barrikade aus Pferdefuhrwerken – die Fuhrgeschäfte Weis und Vierkotten mussten dafür ihre Karren und Wagen abgeben.

Der letzte Zug war ein Lazarettzug

Der letzte Zug verließ Honnef am 7. März, abends gegen zehn Uhr: Ein Lazarettzug, der nicht mehr nach Süden kam, fuhr wieder zurück mit mehr als 300 Schwerverletzten, sechs Toten und mehreren Sterbenden. Das Honnefer Krankenhaus hatte kein Bett mehr frei. Der verzweifelte Oberstabsarzt konnte einige seiner Schützlinge in einem Rhöndorfer Lazarett unterbringen, in Königswinter und Niederdollendorf wurden Hilfslazarette eingerichtet, in Oberkassel erhielten die restlichen Männer Hilfe.

Am Bahnhof war am 7. März ein Zug mit 40 Wagen mit Vierlingsflak-Geschützen stecken geblieben. Die Lok aus Linz kam nicht mehr durch; so entluden die Soldaten die Geschütze und brachten sie in Bahnhofsnähe in Stellung. Aus der Konservenfabrik Weierhaus holten sie sich Eingemachtes und Marmelade.

Die US-Soldaten hielt das nicht auf. Die Frontgeräusche kamen näher. Gegen 10 Uhr am 9. März pfiffen Garben aus amerikanischen Maschinengewehren durch die Luft. Eine wilde Knallerei war im Lohfeld zu hören. Ein deutscher Panzer gelangte am Mittag noch bis zum Alten Friedhof. Maschinengewehrnester auf dem Feld im Bereich der Menzenberger Straße und Karlstraße versuchten, die US-Spitze aufzuhalten, ein amerikanischer Panzer vernichtete sie schließlich von hinten. Bis zur Ecke Hauptstraße rückten die US-Soldaten auf der Linzer Straße vor und dann ganz langsam bis zur Kirchstraße, wo sie in der Nacht pausierten.

Letzter Widerstand

„Ich lief den Amerikanern an der Bahnhofstraße direkt in die Arme. Ich hatte sie gar nicht gehört, ihre Stiefel waren ja mit Gummi besohlt“, erinnerte sich die 2018 verstorbene Annemarie ten Haaf. Sie hatte einen verwundeten deutschen Soldaten ins Krankenhaus gebracht und trug ihr Rot-Kreuz-Käppchen und die Armbinde. „Nurse“, sprach ein GI sie an und machte ein Zeichen, sie möge zur Seite gehen. „Meine Angst hatte ich schnell im Griff!“ Die Vorhut, die sich aus dem Lohfeld die Bahnhofstraße hochwalzte, blieb am Markt stehen, die Panzer am Abzweig Schülgenstraße.

Die Stadt schien ausgestorben, die Stille wurde nur vom Heulen der Granaten unterbrochen. Die Menschen hockten in ihren Kellern, hatten das Rasseln der Panzer gehört. Eine Gruppe Amerikaner stand vor dem HVZ-Gebäude an der Hauptstraße 38f und wartete den Morgen ab. Unbemerkt pirschten sich zwei deutsche Soldaten bis zur Stadtkasse an und warfen eine Panzerfaustgranate. Die Landser versuchten, zu entkommen, sanken aber, von Schüssen durchsiebt, in den Rinnstein der Schülgenstraße. Einer stöhnte die ganze Nacht „Kamerad, Hilfe!“, ehe er im Morgengrauen verstarb. Mehrere Tage wurden die Leichen auf der Straße liegen gelassen, Kaplan Müller segnete sie und deckte sie mit einer Plane ab. Zwei Amerikaner fielen auf dem Markt und lagen ebenfalls mehrere Tage vor dem Kreuz.

Tote lagen tagelang auf der Straße

An der Rommersdorfer Straße stand ein deutsches Geschütz, an der Clemens-Adams-Straße befanden sich die Amerikaner, und zwischen den Fronten hasteten am Samstagmorgen einige Zivilisten zum Bäcker Figge, von den Soldaten kopfschüttelnd beobachtet. Dann ging der Kampf weiter, die Leute flüchteten in die Keller. Harten Widerstand erlebten die Amerikaner an der Führerschule im Feuerschlösschen. Die Anwohner der Rommersdorfer Straße räumten wegen der Kämpfe teilweise ihre Wohnungen und suchten bei Verwandten Zuflucht. Auch hier lagen die deutschen Soldaten tagelang tot an der Straße. Wenn die Honnefer Wasser vom Römerbrunnen holten, murmelten sie ein Gebet beim Vorbeigehen.

An der Hauptstraße/Kreuzweidenstraße gab es noch ein schweres Gefecht, dann hatten die Amerikaner Honnef besetzt. Doch die Menschen atmeten zu früh auf; noch zwei Wochen lang heulten die Granaten über Honnef. Das Haus des Lehrers Römer stürzte ein und begrub ihn unter sich, der NS-Kindergarten an der Mülheimer Straße war nur noch ein Trümmerberg. Erst am Karfreitag zog Ruhe ein. Die Stadt hatte überlebt. Pfarrer Wüsten notierte später: „Nach zwei Wochen durften wir als Befreite zum ersten Mal für zwei Stunden auf die Straße gehen.“

Der General-Anzeiger zeichnet das Kriegsende in Bonn und der Region auf seiner Internetseite unter ga-story.de im Tagebuchstil nach.

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