Prozess im Fall Anna Kammer: Es darf keine Denkverbote geben

SIEBENGEBIRGE/BONN · Zu einer grundsätzlichen Auseinandersetzung mit der Frage, ob Mitarbeiter von Jugendämtern strafrechtlich haftbar sind, nutzte der Verteidiger der für das Pflegekind Anna zuständigen Jugendamtsmitarbeiterin den vierten Verhandlungstag.

Das Gericht machte hingegen deutlich, warum es den Prozess gegen die 46-Jährige, der die Staatsanwaltschaft fahrlässige Körperverletzung durch Unterlassen, Urkundenunterdrückung und Verwahrungsbruch vorwirft, für notwendig erachtet. "Die Kammer hat sehr wohl überlegt, ob sie das Verfahren eröffnen soll", so der Kammervorsitzende Hinrich de Vries.

Man sei sich bewusst, dass auch das Medieninteresse eine Belastung für die Angeklagte bedeute. "Aber wir mussten ihr das zumuten", weil ein Kind unter grausamen Umständen zu Tode gekommen sei - "in einer Situation, in der es hätte sicher sein sollen. Der Staat hat sich eingemischt, und so ist das Kind in diese Situation gekommen".

Es sei auch richtig, dass man nicht den Fehler machen dürfe, aus der Rückschau zu urteilen, "es darf aber auch keine Denkverbote geben". Man könne durchaus darüber nachdenken, sagte de Vries weiter, ob es nicht Aufgabe sein könnte, manches "vom Kopf zurück auf die Füße zu stellen". So erscheine ihm ein Fragebogen für künftige Pflegeeltern, der zwar abfrage, wie diese sich kennenlernten, nicht aber, ob es in der Wohnung genug Platz für ein Pflegekind gebe, wenig sinnvoll.

Verteidiger Thomas Mörsberger hatte zuvor ausführlich ausgeführt, dass in der Gesellschaft eine Verschiebung stattgefunden habe - die Jugendämter seien zum "Sündenbock" geworden. Teilweise hätten die schlimmen Fälle zu Panikreaktionen in der Jugendhilfe geführt, in der Politik zu Aktionismus. Die Mitarbeiter der Jugendämter seien in einer schwierigen Situation. Es gebe eine überhöhte Erwartungshaltung an das, was ein Jugendamt leisten könne.

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