Kunst in leeren Läden Künstler erobern Bad Honnefer Ladenzeile

BAD HONNEF · Für ein Projekt auf Zeit ist die Gruppe Antiform in eines der verlassenen Geschäfte an der Bahnhofstraße eingezogen. Es ist nun künstlerisch gestaltet - inklusive der dahinter liegenden vergessenen Schutzräume aus der Zeit des Kalten Krieges.

Massive Metalltüren, mit schweren Vorhängeschlössern verriegelt. Seit Jahrzehnten nicht geöffnet. Und das mitten im Herzen des Post-Gebäudes. Damit hatten die Antiform-Künstler wahrlich nicht gerechnet, als sie die leerstehende Ladenzeile in der Bahnhofstraße bezogen. Das Staunen war groß, als die Schlösser schließlich fielen: „Uns hat sich ein ganzer Kosmos eröffnet“, sagt der Vereinsvorsitzende Helmut Reinelt.

Drei sogenannte Selbstschutzräume, komplett ausgestattet und funktionstüchtig, taten sich auf. Einst mit großem Kostenaufwand eingerichtet, dann von der Stadt und dem Gebäudeeigentümer vergessen. 15 000 schwarze Säcke für die Toiletten, so steht es auf einem Lieferschein aus den frühen 80er Jahren. Hunderte Trinkwasserkanister, 50 Betten in jedem Raum. Decken, in den Raumecken zu Türmen gestapelt.

Die Räume waren eine Art Bunker

Auch Bürgermeister Otto Neuhoff sei bei einer Besichtigung perplex gewesen, so Reinelt. „Das Wissen über die Schutzräume ist einfach verloren gegangen.“ Allerdings sei gerade das ein gutes Zeichen: „Die Bedrohung, der man sich offenbar ausgesetzt sah, ist verflogen, die Räume waren schlichtweg nicht mehr nötig.“ In Auftrag gegeben worden, mutmaßt der Antiform-Chef, seien die Miniaturbunker wohl in den späten Siebzigern, im Kalten Krieg – vermutlich angetrieben von der Angst vor einem atomaren Angriff und der Wiederkehr des RAF-Terrors.

Nun obsolet geworden, sollen die Schutzräume jetzt als Kunsträume dienen – und einem breiten Publikum offen stehen. Unter dem Titel „Eine Reise nach Much und das Snoezelen“ verwandeln Bildhauer Wolfgang Klüver alias „WolfRabe“ und Lichtkünstler Rainer Drüke einen der drei Schutzräume in ein ebenso tiefgründiges wie einfühlsames Panoptikum. Um die Symbolik der Schuld, des Leids und der Hoffnung kreist das Werk Klüvers, der eigene traumatische Erlebnisse zu verarbeiten sucht.

Besucher können im Schrott wühlen

Die Interaktion der Besucher mit dem Sammelsurium an Objekten und Abbildungen – in die verhüllten Leuchtkästen schauen, einen Blick hinter die Trennvorhänge wagen, im Schrotthaufen wühlen – ist erwünscht. In einer Raumecke etwa, unter dem Überdruckventil zur Belüftung, sind Rentier-Beckenknochen verstreut als Symbol für Tod und Geburt zugleich, nebst kreuzförmigen Gerüstteilen und vom Kruzifix abgelösten Jesusfiguren.

Klüvers Werk ist noch nicht abgeschlossen: Im Frühjahr soll es um einen zweiten Schutzraum erweitert werden. Dann wird die Bedeutung des Titels „Eine Reise nach Much“ in Gänze ersichtlich: An die einstigen „Judenhäuser“ an Bergstraße und Rommersdorfer Straße soll erinnert werden, in denen Honnefer Juden im Dritten Reich zusammengelegt wurden, bevor sie schließlich über das Arbeitslager Much in Vernichtungslager abtransportiert wurden.

Während Klüver den Widerspruch ausreizt, entsetzliches Leid in einem Sicherheit spendenden Schutzraum anzuprangern, spendet das intime Panoptikum von Lichtkünstler Rainer Drüke Geborgenheit. Er stellt der Tristesse des fensterlosen Raums die spontane Lebendigkeit und Dynamik von Licht und Klang gegenüber. Drüke nutzt dazu die kuriosesten Materialien, von Festplatten bis zu Beamer-Linsen. Hauptsache, es spiegelt, glänzt und leuchtet.

Sanfte Musik und Köpfe mit Nägeln

Selbst schwer an Parkinson erkrankt, legt Drüke mittels seiner Kunst die eigene Wunde offen, setzt sich mit der Krankheit auseinander. In seinem „Snoezelen-Raum“, ein mit Decken und Kissen ausgekleideter Raum in Anlehnung an das gleichnamige therapeutische Konzept, sollen die Besucher mittels kaleidoskopischer Lichtmuster, zarter Düfte und sanfter Musik zu sich selbst finden und sich auf einen Sinnenrausch einlassen.

„Nägel mit Köpfen“ – respektive Köpfe mit Nägeln – macht indes Kostümbildnerin Beata Prochowska im Konzept-Raum „Artist in residence“. Ein Kopf sackt weg, von einem massiven Bolzen aufgespießt, die anderen beiden tragen einen Irokesenschnitt aus Nägeln und eine rostige Dauerwelle. Eine Anspielung auf die schmerzhaften Schattenseiten des Lebens? Auf zerstörerisches Gedankengut? Der große Interpretationsspielraum ist beabsichtigt.

Die Kunst in der Ladenzeile, Bahnhofstraße 1 in Bad Honnef,ist bis Ende Februar sonntags von 14 bis 18 Uhr oder nach Vereinbarung unter 0172/6000485 zu besichtigen.

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