„Athleten und Poeten“ in Bad Honnef Noch größer, noch spannender, noch besser

BAD HONNEF · Am Ende war nicht einmal mehr eine Abstimmung nötig. Finalist Andreas In der Au alias „Aida“, seines Zeichens poetry-slammender Steuerberater, mimte den verbalen Knockout und schickte sich selbst angesichts des überwältigenden Schlussgedichts von Vorjahressiegerin Anne Linscheid, die unter dem Künstlernamen Ella Anschein auftrat, freiwillig auf die Bretter.

 Eine tolle Kulisse für Boxer und Poetry-Slammer lieferte der Kursaal.

Eine tolle Kulisse für Boxer und Poetry-Slammer lieferte der Kursaal.

Foto: Frank Homann

Mit dem aufwühlenden Vortrag ihres Textes „Mare nostrum“ porträtierte die 19-Jährige das traumatische Flüchtlingsschicksal eines von „1001 Menschen, die an Mittelmeerwasser ersticken“, um das Ausmaß der „humanitären Katastrophe“, die ihr selbst spürbar nahe ging, anzuprangern.

„Europa hat 'mare nostrum' zum Massengrab verkehrt.“ Unter lautem Jubel verkündete Moderator Fritz von Fingerhoff die Siegerin durch prosaischen technischen K.o. als Champion von „Athleten und Poeten“. Sichtlich stolz überreichte Rainer Quink, Vorsitzender des ausrichtenden Vereins „Literatur im Siebengebirge“, der alten und neuen Poetry-Slam-Gewinnerin im Bad Honnefer Kursaal die hochverdiente Sieger-Schärpe inklusive Lorbeerkranz.

Die nunmehr zweite Auflage der interdisziplinären Crossover-Veranstaltung folgte der Devise: größer, spannender, besser. Veranstaltet vom ATV Bad Honnef-Selhof, dessen Boxabteilung ihr zehnjähriges Bestehen feiert, sowie dem Literaturkreis und der Kleinkunstbühne „hautnah“, fochten am Samstagabend zehn Faustkämpfer und vier Verbalathleten im vollbesetzten Kursaal um Ehre und Sieg.

Erstmals fanden offizielle Boxkämpfe unter den Augen eines richtigen Kampfgerichts statt, nachdem es im Vorjahr lediglich Technikdemonstrationen gegeben hatte. Und es ging direkt ordentlich zur Sache: Zehn Boxer, zum Ring begleitet mit harten Rock-Riffs der Honnefer Nachwuchsband „Part of the Crowd“, trugen in fünf Partien teils regelrechte Schlachten aus.

Im Papiergewicht konnte Schüler-Kämpfer Leondrit Gashi aus Troisdorf den Hamborner Mikail Demirci bezwingen; im zweiten Kampf des Abends brach beim Punktsieg von Mittelgewicht-Lokalmatador Benjamin Salim Yeslim über Muhammed Teke aus Köln-Kalk der wohl lauteste Jubel des Abends aus. ATV-Boxer Luka Glisi musste sich anschließend seinem Kontrahenten Anis Toumi aus Köln geschlagen geben.

In einem aggressiven, hitzigen Duell mit einigen unsauberen Aktionen setzte sich Halb-Weltergewicht-Kämpfer Israilov Khavazhi aus Hamborn per TKO gegen den Selhofer Abdulhakim Salim Yeslim durch. Nach dem Kampf folgte die Versöhnung mit Umarmung und vom Publikum großer Applaus.

Sehr technisch und professionell indes der Hauptkampf im Halb-Schwergewicht, in dem Hasan Özen aus Kalk gegen Ali Kölemek vom ATV knapp nach Punkten triumphierte. Da der Gegner von ATV-Boxer Gunar Klöckner es vorzog, während der Veranstaltung spontan die Heimreise anzutreten, musste der Kampf abgeblasen werden.

Auch die Slammer teilten im Seilgeviert mächtig aus. Bevor sie ins Finale einziehen konnte, musste sich Ella Anschein einer echten Poetry-Slam-Meisterin stellen. „Ich bin zu alt für den Scheiß“, resümierte die 25-jährige Yasmin Hafedh, die auf Einladung Rainer Quinks eigens zur Veranstaltung aus Wien angereist war, in ihrem gleichnamigen Text. Mit frischem Humor und sprachlichem Feinsinn sinnierte die Ausnahme-Slammerin über das Gefühl des Aus-der-Zeit-gefallen-Seins. „In einer Zeit, in der man sich mit 25 Jahren alt fühlt, in einer Zeit, in der alles mit annähernd Lichtgeschwindigkeit passiert und fast jedes Bild seine Leuchtkraft verliert“.

Kleines Beispiel gefällig? „Lachen ist so Neunziger. Man lacht nicht mehr, man sagt Lol. Sagt, nicht schreibt. Hashtag #FeelingOld.“ Das Ergebnis der ersten Publikumsabstimmung: Gleichstand, 53 zu 53 Stimmen. Erst im zweiten Anlauf konnte sich Ella Anschein mit ihrer humorvollen Wortkaskade über olfaktorische Ekstase beim Busfahren im Hochsommer einen knappen Vorsprung und somit den Finaleinzug sichern.

Vorjahres-Vize-Champion Casjen Ohnesorge, bereits auf über 300 Slams aufgetreten, gab einmal mehr alles, schrie und röhrte, musste sich aber letztlich mit seinem anspruchsvollen Text über Reichtum, Erfolg und Größenwahn dem amüsanten und leicht verdaulichen Jugendsprache-Lamento von Aida geschlagen geben: „YOLO ist out, jetzt heißt es YOLTE – You only live till Elternsprechtag“. Das Fazit nach dreieinhalb Stunden Spannung: „Athleten und Poeten“ schreit nach Ausgabe Nummer drei.

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