Prozessauftakt im Fall Anna

Königswinter · Vor dem Bonner Schwurgericht beginnt am Montag der Prozess gegen die Pflegeeltern der neunjährigen Anna. Dem Paar wird vorgeworfen, das Mädchen seit August 2009 in ihrer Wohnung in Bad Honnef immer wieder misshandelt und seinen Tod verursacht zu haben.

 Spielplatz ohne Kinder: An der Austraße in Bad Honnef lebte Anna zusammen mit ihren Pflegeeltern in einem Mehrfamilienhaus. Am 22. Juli 2010 starb sie, nachdem sie in der Badewanne zu lange unter Wasser getaucht wurde, so die Staatsanwaltschaft.

Spielplatz ohne Kinder: An der Austraße in Bad Honnef lebte Anna zusammen mit ihren Pflegeeltern in einem Mehrfamilienhaus. Am 22. Juli 2010 starb sie, nachdem sie in der Badewanne zu lange unter Wasser getaucht wurde, so die Staatsanwaltschaft.

Foto: Frank Homann

Ein schlichtes Holzkreuz. "Anna" steht darauf und zwei Daten: 12.1.2001 und 22.7.2010. Vor zwölf Tagen wäre Anna zehn Jahre alt geworden. Sie starb im Alter von neun Jahren bei ihren Pflegeeltern in Bad Honnef. Der Prozess gegen die 52-jährige Pflegemutter und ihren 51-jährigen Mann beginnt am Montag vor dem Bonner Schwurgericht.

Der Fall hat bundesweit für Aufsehen gesorgt, zahlreiche Medienvertreter und andere Zuschauer werden wohl nach Bonn kommen, um den Eröffnungstag zu verfolgen; in Saal S.0.11, der 114 Menschen fasst, wird es eng werden. Der erste Verhandlungstag wird schwer zu ertragen sein, weil der Staatsanwalt die Anklage mit all ihren grausigen Details verlesen wird.

Anna starb am 22. Juli, nachdem sie wieder einmal in der Badewanne unter Wasser gedrückt worden war. Diesmal zu lange. Die Bestrafung in der Wanne war eine von zahlreichen Misshandlungen, die Anna spätestens seit August 2009 bei ihren Pflegeeltern in Bad Honnef erdulden musste. Auch Nahrungs- und Flüssigkeitsentzug, Stiche mit spitzen Gegenständen und Fesselungen gehörten laut Anklage dazu.

Die Geschehnisse##ULIST##

22. Juli 2010: Annas Pflegemutter ruft die Rettungsleitstelle an, weil das Mädchen beim Baden verunglückt sei. Anna stirbt in der Sankt Augustiner Kinderklinik.

  • 23. Juli: Die Polizei nimmt die Pflegeeltern fest.
  • 24. Juli: Oberstaatsanwalt Robin Faßbender teilt mit, die Pflegeeltern hätten gestanden, Anna misshandelt zu haben. Das Paar kommt in Untersuchungshaft. Schon bald nach Bekanntwerden der Tat werden privat Strafanzeigen gegen die Jugendämter Königswinter und Bad Honnef gestellt.
  • 19. November: Die Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen die Pflegeeltern: wegen zum Teil schwerer Misshandlung Schutzbefohlener in 55 Fällen, im letzten Fall mit Todesfolge.
  • 24. Januar 2011: Vor dem Bonner Schwurgericht beginnt der Prozess gegen die Pflegeeltern.

Wie konnte mindestens zwölf Monate lang unbemerkt bleiben, dass ein kleines Mädchen in seinem Zuhause die Hölle auf Erden erlebte? Haben die Erwachsenen in Annas Umgebung - Lehrer, Nachbarn, Mitarbeiter des Jugendamtes, Ärzte - versagt? Jeder, der Anna kannte, muss sich dieser Frage stellen.

Das Tragische: Unbemerkt blieb Annas Martyrium nicht. Im November riefen Nachbarn die Polizei, die in der Wohnung an der Austraße nach dem Rechten sah. Im selben Monat setzte sich der Rektor von Annas Grundschule mit den Jugendämtern von Bad Honnef und Königswinter in Verbindung, weil ihn Dritte besorgt auf Anna angesprochen hatten. Bald darauf, so schilderte er im August dem General-Anzeiger, hätten Mitarbeiter des Königswinterer Jugendamtes, das für Anna zuständig war, die Schule besucht, man habe ausführlich über die gemeldeten Vorgänge gesprochen. Er habe "sehr deutlich den Eindruck gewonnen, dass es fortan regelmäßige Kontrollen in der Pflegefamilie geben werde".

Annas Pflegeeltern haben es offenbar verstanden, alle Bedenken zu zerstreuen, alle Hinweise abzutun. Auch Ärzte soll die Pflegemutter dafür eingesetzt haben. Anna habe eine Wasserphobie, weshalb es zu Anfällen in der Badewanne komme, soll sie zwei Medizinern erklärt haben. Die blauen Flecken jedoch könnten ein falsches Licht auf sie, die Pflegeeltern, werfen. Die Ärztinnen erstellten daraufhin Gutachten, ohne Anna untersucht zu haben, lautete der Vorwurf der Staatsanwaltschaft. Inzwischen sind die Verfahren eingestellt. Den Ärztinnen sei nicht nachzuweisen, dass sie wider besseres Wissen gehandelt haben.

Auch am 22. Juli, Annas Todestag, gab es einen Hinweis, auch er führte nicht zur Rettung des Mädchens. Und er führte in den Tagen nach Annas Tod zu Verwicklungen zwischen den beiden Städten Bad Honnef und Königswinter, gegen die nach wie vor Ermittlungen wegen unterlassener Hilfeleistung laufen.

Eine Nachbarin wandte sich an diesem Donnerstagnachmittag an das Bad Honnefer Jugendamt, um einen Vorfall vom Vortag zu melden. Zunächst hieß es dazu aus Bad Honnef, man habe die Anruferin nach Königswinter weitergeleitet, später wurde man präziser: "Im Gespräch zwischen der Mitarbeiterin des Jugendamtes und der Anruferin wurde deutlich, dass es zu dem Zeitpunkt des Anrufes jedoch keinen Hinweis auf eine akut vorliegende Gefährdung des Kindes gab", ist auf der Homepage der Stadt Bad Honnef zu lesen. Man sei überein gekommen, dass die Anruferin ihre Sorge dem zuständigen Königswinterer Jugendamt direkt mitteilen werde.

Die Stadt Königswinter zog sich auf Feinheiten zurück. An Annas Todestag habe es einen Anruf bei der Erziehungsberatungsstelle gegeben, räumte die Stadtverwaltung ein. Ergebnis der internen Untersuchungen sei, "dass eine anonyme Anruferin am 22. Juli 2010 gegenüber der Erziehungsberatungsstelle auf ein Problem mit einem Kind aus der Nachbarschaft hinwies, wobei dem Anruf jedoch nicht zu entnehmen war, auf welches Kind sich dieser Hinweis bezog", lautete die offizielle Verlautbarung.

Warum hat sich Anna niemandem anvertraut? Nach GA-Informationen war sie in psychologischer Betreuung, auch dort hat sie geschwiegen.

Der ProzessDas Bonner Schwurgericht unter Vorsitz von Josef Janßen beginnt am Montag mit dem Prozess gegen Annas Pflegeeltern. Nächster Termin ist Donnerstag, 27. Januar.

Das Verfahren ist sehr umfangreich: Mehr als 30 Zeugen werden vor Gericht aussagen, darunter Annas Lehrer, Ärzte, Jugendamts-Mitarbeiter und Nachbarn. Ein Rechtsmediziner und zwei Psychiater werden ebenfalls zur Wahrheitsfindung herangezogen.

Zum Prozessauftakt wird der Staatsanwalt die Anklage gegen die 52-jährige Pflegemutter und den 51-jährigen Pflegevater verlesen. Üblicherweise haben die Angeklagten danach das Wort. Auf die schweren Misshandlungen, die den beiden vorgeworfen werden, im letzten Fall mit Todesfolge, stehen bis zu 15 Jahre Haft.

Ob es auch zu einem Prozess gegen die Jugendämter Königswinter und Bad Honnef - wegen unterlassener Hilfeleistung oder fahrlässiger Tötung durch Unterlassen - kommen wird, ist unklar. Die Ermittlungen dauern an.

Anna war zwei, als ihr Vater starb. Nur kurze Zeit ihres Lebens verbrachte sie bei ihrer Mutter; wohl auch wegen Alkoholproblemen hatte diese kein Sorgerecht. Anna besuchte einen Kindergarten und, kurz, eine Grundschule in Königswinter, bevor sie in eine Pflegefamilie nach Bad Honnef kam.

Ein Intermezzo, denn danach kam Anna in ein Kinderheim und 2008 erneut in die Pflegefamilie nach Bad Honnef. Annas Kindergartenleiterin schilderte Anna als ein Mädchen, das gerne träumte, sie hörte gerne Musik der Band "Juli", "Die perfekte Welle" zum Beispiel. Annas Grundschulrektor in Bad Honnef beschrieb sie als ein freundliches Kind. "Sie hielt einem die Tür auf, wenn man schwere Taschen dabei hatte, war aufmerksam, lächelte." Ihre Leistungen und ihr Verhalten hätten "im normalen Bereich" gelegen.

Nach dem Hinweis und dem Gespräch mit den Mitarbeitern des Jugendamtes sei das Kollegium sensibilisiert gewesen, es habe aber weiterhin keine Anzeichen für Probleme gegeben. Seine Vermutung, warum Anna sich nicht öffnete: Sie hatte jegliches Vertrauen in Erwachsene verloren. Offenbar, so scheint es, lag ihr daran, jede Minute, die sie unbehelligt war, so normal wie möglich zu verbringen.

Und sie glaubte, keine Alternative zu haben zu dem, was sie am Nachmittag zu Hause erwartete. "Die Anna war immer so traurig", sagte ein Mädchen, als es von dem gewaltsamen Tod seiner Mitschülerin erfuhr.

Unabhängig von dem Ergebnis des Strafprozesses gegen Annas Pflegeeltern, der am Montag beginnt, unabhängig davon, zu welchem Ergebnis die Ermittlungen gegen die Städte Bad Honnef und Königswinter am Ende führen: Die beiden Städte werden noch geraume Zeit mit der Aufarbeitung des Falles Anna beschäftigt sein.

Das Thema ist präsent, das zeigt nicht zuletzt die Tatsache, dass beide Kommunen Erklärungen zum Fall Anna auf den ersten Blick sichtbar auf ihren Homepages platziert haben. Ihr Entsetzen und ihre Fassungslosigkeit über die "Misshandlungen, die Anna offenbar seit August 2009 in ihrer Pflegefamilie über sich ergehen lassen musste" drückten die Mitarbeiter der Stadt Königswinter aus, nachdem die Staatsanwaltschaft im November Anklage erhoben und die furchtbaren Details von Annas Martyrium geschildert hatte. "Ein solch tragischer Todesfall darf sich nicht wiederholen", heißt es auf der Bad Honnefer Internetseite unter der Überschrift "Rat und Verwaltung trauern".

Das Holzkreuz auf Annas Grab ist schlicht, aber es ist geschmückt von einem glänzenden Prinzessinnenkrönchen. Auf dem Grab verteilt liegen zahlreiche Gegenstände: ein rosafarbenes Barbieauto samt Barbiepuppe am Steuer ebenso wie Engelfiguren, Plastikblumen, echte Rosen. Und ein Plüschhund, den jemand links neben dem Holzkreuz platziert hat. Es sieht so aus, als würde er dort Wache halten.

Die FolgenDer Fall Anna blieb in Bad Honnef und Königswinter nicht ohne Folgen, beide Städte ringen um die Aufarbeitung. Zuständig für das Pflegekind aus Königswinter war die Stadt Königswinter. In Bad Honnef, Annas Wohnort zur Tatzeit, ist jedoch am 22. Juli, Annas Todestag, der Anruf einer besorgten Nachbarin eingegangen.

In Königswinter hat der städtische Jugendhilfeausschuss die Einrichtung eines Unterausschusses für den Bereich "Hilfen zur Erziehung" beschlossen, der sich mit dem Tod des Mädchens und den Konsequenzen für die Arbeit des Jugendamtes beschäftigen soll.

Ein externer Gutachter soll dabei helfen. Ähnlich wie in Bad Honnef fordern einige Königswinterer Politiker für die Zukunft unangemeldete Besuche bei Pflegeeltern. Wie in Bad Honnef müssten die Vereinbarungen mit den Pflegeeltern aber entsprechend angepasst werden. Bad Honnef diskutiert unter anderem über die Einrichtung eines 24-Stunden-Notrufdienstes des Jugendamts.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort