Spuren von Annas Todeskampf
Bad Honnef · Der Anblick des Badezimmers, in dem Anna ertränkt wurde, ist schwer zu ertragen: Der Boden ist nicht gesäubert worden, seitdem die Notärztin am 22. Juli 2010 vergeblich um das Leben des Kindes kämpfte, das sich erbrochen und eingekotet hatte.
Es ist eine gespenstische Szenerie, die das Bonner Schwurgericht und alle Prozessbeteiligten am Montagmittag beim Ortstermin in Bad Honnef vorfinden. Es herrscht drängende Enge in der kleinen Wohnung, in der die neunjährige Anna vor ihrem Tod laut Anklage mindestens ein Jahr lang gequält wurde.
Und in der die Spuren von Annas Leben zu sehen sind: Im Kinderzimmer liegt ihr rosa Schulranzen, auf ihrem Bett ein blauer Kinderkoffer. Auf dem Schreibtisch hat sich die angeklagte Pflegemutter ein Denkmal gesetzt: Urkunden bescheinigen ihr, dass ihre Tagespflegekinder sie "Tanti" und ihr Sohn sie "beste Mama der Welt" nennen dürfen.
Die 51-Jährige, die wie ihr Mann seit damals in U-Haft sitzt, sieht nun zum ersten Mal ihre Wohnung wieder. Ihr Mann will sie nicht betreten, er bleibt an der Tür stehen. Zu groß sei sein Trauma, sagen seine Verteidiger, er werde die furchtbaren Bilder nicht los, als er Anna leblos im Wasser fand.
Der 52-Jährige ist den Anwälten zufolge seit ein paar Tagen ohnehin "fix und fertig" seitdem er die jüngsten Briefe seiner Frau kenne, in denen sie ihn der Tat beschuldigt. Das Gericht hat sie morgens vor dem Ortstermin verlesen. Noch gespenstischer wird die Szenerie dadurch, dass in der mit Wasser gefüllten Wanne eine Puppe liegt. Mit einer Rekonstruktion will das Gericht eine Behauptung der Pflegemutter überprüfen.
Die Frau, die ihrem Mann zufolge das Kind am Tat unter Wasser drückte, bis es kein Lebenszeichen mehr von sich gab, bestreitet die Tat. Und hat diesen Ortstermin beantragt, um zu beweisen, dass ihr Mann von der Tür aus ohnehin nicht habe sehen können, dass Annas Kopf unter Wasser war und sie Anna herunter gedrückt habe.
Denn ihre massige Figur hätte ihm den Blick verstellt. Als sie sich nun in dem kleinen Bad vor die Wanne stellt, schauen alle genau hin - und sehen den Kopf der Puppe unter Wasser. Oberstaatsanwalt Robin Faßbender sagt nur: "Danke, ich habe jetzt genug gesehen." Die Erleichterung, diese Wohnung verlassen zu können, ist allen anzusehen.
Hat dieser Ortstermin nun der Angeklagten geholfen? Und entlasten die beiden Briefe, um die es morgens im Gerichtssaal ging, die Angeklagte? Einen hat sie kürzlich an das Schwurgericht geschrieben. Wie der Brief die Postkontrolle des Gefängnisses umgehen konnte, will die Angeklagte nicht sagen. Und Oberstaatsanwalt Faßbender stellt fest: Ihre einzige Kontaktperson in der Zeit war ihr Verteidiger.
Über den die Angeklagte in dem Brief sagt: Der wäre stocksauer, wenn er von dem Schreiben wüsste. Ist das Ganze also eine Inszenierung? Sie liebe ihren Mann, heißt es in dem Brief, sie wolle ihn nicht belasten, aber sie ersticke, wenn sie nicht endlich die Wahrheit sage, zu der er nicht stehe: Er sei es gewesen. auch wenn sie es nicht gesehen habe, da sie im Wohnzimmer gewesen sei.
Ihr Mann versichert anschließend: "Das ist falsch." Der zweite Brief ging an ihren Mann, wurde vom Gericht beschlagnahmt und wird nun verlesen: Darin fordert sie ihn auf zu tun, was sie ihm tags zuvor im Gericht aufgetragen habe: zu gestehen, was er verdrängt oder vergessen habe. Sie bedrängt ihren Mann, der laut Gutachten von ihr völlig abhängig ist, und zählt ihre schweren Krankheiten auf.
Während Richter Josef Janßen den Brief verliest, fixiert die Angeklagte ihren Mann. Der blickt sie nicht an. Wie sie es am 17. Oktober unbemerkt im Saal schaffte, auf ihren Mann einzuwirken, ist unklar. Am Donnerstag soll der Staatsanwalt plädieren.