Therapie bald nur auf Rezept Theos Welt ist noch in Ordnung
BAD HONNEF · Was für ein Charmeur. Gut gelaunt schäkert Theo mit dem Fotografen. Und alle, die ihm zusehen, sind seinem Lächeln sofort verfallen. Theo ist zweieinhalb Jahre alt. Wie so viele Kinder in seinem Alter besucht er den Kindergarten. Theo hat das Down-Syndrom, er benötigt besondere Förderung.
Laufen lernen, sprechen lernen: Was für andere Kinder eine Selbstverständlichkeit ist, fordert ihm weit mehr ab. Aber Theo macht Fortschritte, jeden Tag. Großen Anteil daran hat das Team des integrativen Montessori-Kinderhauses Die Wolkenburg. Denn dort werden Kinder ganz individuell in ihrer Entwicklung gefördert.
Seit mehr als 25 Jahren gibt es die Wolkenburg, ein eingetragener Verein, der am Konzept der Ärztin und Pädagogin Maria Montessori ausgerichtet ist. Es ist ein Montessori-Grundsatz: Hilf mir, es selbst zu tun. Ein anderer, so Einrichtungsleiterin Alexandra Weiß: "Es ist normal, anders zu sein." Ein festes, interdisziplinäres Team kümmert sich um das Wohl der Kinder - es gibt drei Gruppen mit jeweils 15 Kindern, davon in der Regel je fünf mit Förderbedarf.
Neben zwei Fachkräften pro Gruppe gibt es therapeutische Mitarbeiterinnen, die Motopädie, Sprach- und Musiktherapie anbieten und mit den Kindern arbeiten, orientiert an deren Bedürfnissen und an deren Rhythmus, der je nach Förderbedarf höchst unterschiedlich sein kann.
Keine Einbahnstraße
Dabei ist Integration keine Einbahnstraße: Alle Kinder, ob mit oder ohne Förderbedarf, lernen den selbstverständlichen Umgang miteinander. Theos Mutter Monika Klann bringt es auf eine einfache Formel: "Ziel ist es auch, dass sich die Gesellschaft ändert." Von Kindesbeinen an gelingt das am besten. Alle profitieren davon, glauben Weiß und Klann.
Zweifel an der Umsetzung der Inklusion sind dennoch angebracht. Grund: Der Landschaftsverband Rheinland (LVR) hat die Abschaffung fest angestellter Therapeuten beschlossen. Greifen soll die Regelung ab dem Kindergartenjahr 2016/17. Von da an zahlen die Krankenkassen die Therapien der Förderkinder auf ärztliche Verordnung, egal ob sie eine integrative Kita oder einen Regelkindergarten besuchen.
Die Gleichbehandlung der Kitas in Zeiten, da Inklusion rechtlich verankert ist, sei folgerichtig, sagt Weiß, die auch Sprecherin der AG 78 Kindertageseinrichtungen ist. Nicht umsonst arbeiten alle Einrichtungen in Bad Honnef eng zusammen, wirken mit an einem Inklusionskonzept für die ganze Stadt.
Aber, so Weiß: Die Voraussetzungen müssten stimmen. Und die kosteten Geld. Immerhin plane der LVR Härtefallregelungen für langjährige therapeutische Mitarbeiterinnen. Vorerst. Weiß: "Das ist keine angenehme Aufgabe: Die LVR-Mitarbeiter müssen uns klarmachen, dass wir weniger Geld bekommen. Aber der Grundgedanke der Inklusion, den sich der LVR immer auf die Fahne geschrieben hat, leidet schon."
Neue Hürden
Ohne Auswirkungen wird die Regelung für integrativ arbeitende Einrichtungen jedenfalls nicht bleiben, befürchten Weiß und Klann - nicht nur für bislang fest angestellte Therapeuten, die sich beruflich neu orientieren müssen. Auch für Kinder und Eltern entstehen neue Hürden, wie Klann am Beispiel der Physiotherapeutin aufzeigt: Anders als früher komme diese nur noch einmal wöchentlich zum festen Termin in die Kita. "Was aber, wenn Theo dann gerade müde ist oder an dem Tag krank?", fragt seine Mutter.
Die Flexibilität, orientiert an den Bedürfnissen des Kindes, sei dahin, sagt Klann. "Alles ist getaktet, nach festem Zeitplan." Das bringt auch Stress für die Förderkinder und ihre Familien: Häufigere Arztbesuche wegen der Verordnungen, Besuche in therapeutischen Praxen statt Therapie in der Kita, damit verbunden das Herausgerissenwerden aus der Gruppe. Klann: "Und über die Neuregelung geht auch viel vom Charakter der Einrichtung verloren. Alle Kinder haben hier profitiert, mit und ohne Förderbedarf." Nicht zuletzt gingen die Therapeuten als Ansprechpartner im Alltag verloren.
Theo, für den auch Einzelfallhilfe bewilligt ist, ficht das nicht an. Ein strahlendes Lächeln für Mama, dann erkundet er die Kameras des Fotografen aus der Nähe. Eigentlich, so Klann, war geplant, Theo mit drei Jahren in der Kita anzumelden, wenn sie selbst in den Beruf als Lehrerin zurückkehrt. Dann gab es Platz in der Wolkenburg.
Klann: "Alle in unserem Umfeld sagten: Das kannst Du alleine ihm nicht bieten." Stimmt, sagt die 43-Jährige heute, verbunden mit einem Kompliment an die ganze Kita-Familie: "Hier guckt keiner, wenn Du mit einem Down-Syndrom-Kind kommst." Theo ist längst in "seiner" Kita heimisch, bekommt Spieleinladungen "über Sprachnachrichten auf meinem Handy", so die Mutter. Das Rundum-Paket in der Kita sei ein Glücksfall. Vor allem für Theo. "Er weiß ja nicht, dass er anders ist."
Inklusionskonzept
Wolkenburg-Leiterin Alexandra Weiß moderiert auch die Treffen der seit 2010 bestehenden AG 78, einem vom städtischen Jugendamt organisierten Zusammenschluss von Kinder- und Jugendeinrichtungen in Bad Honnef.
Thema in der Runde ist auch ein gesamtstädtisches Inklusionskonzept. Die AG 78 möchte dazu in einer Werkstatt die Bürger mit ins Boot holen. Sie sollen zu Themen wie Infrastruktur, Senioren oder Baumaßnahmen beraten, wie die Stadt ein besseres Miteinander unterstützen kann.
Landschaftsverband will UN-Konvention erfüllen
Laut Beschluss des Landschaftsverbands Rheinland (LVR) sollen die Krankenkassen ab August 2016 die Kosten für die Therapeuten übernehmen. Externe Therapeuten können in die Einrichtungen kommen oder externe Praxen besucht werden.
Seit 30 Jahren fördert der LVR die Kinder in den integrativen Kitas, in vielen Einrichtungen sind Therapeuten fest angestellt. Das erhöht die Flexibilität: Therapiestunden können nach Bedarf verschoben werden oder Kinder, für die keine Therapie vorgesehen ist, könnten andere Kinder zur Förderstunde begleiten.
Der LVR zahlt generell eine Kindpauschale von jährlich 5000 Euro pro behindertem Kind. Ziel jetzt ist nach seinen Angaben die Regelversorgung von Kindern mit Behinderung in möglichst allen Kitas und damit wohnortnah. Das erfülle die Ziele der UN-Behindertenrechtskonvention, die den Zugang von allen Kindern zu allen Bildungsangeboten fordert. Kritiker befürchten aber, dass so aus einem flexiblen ein starres System wird.