Fall Anna Und noch immer ist nichts geklärt

Bad Honnef · Heute vor einem Jahr wurde in Bad Honnef das neunjährige Mädchen in der Badewanne seiner Pflegeeltern ertränkt. Das Ende des Prozesses ist aber weiterhin nicht in Sicht.

Als am 22. Juli 2010 um kurz vor 21 Uhr ein Notruf bei der Rettungsleitstelle eingeht, ahnt niemand die Dimension, die dieser Vorfall erhalten wird: Ein neunjähriges Mädchen liegt leblos in der Badewanne seiner Pflegeeltern in Bad Honnef.

Die Notärztin kämpft vergeblich um das Leben der kleinen Anna und alarmiert schließlich die Polizei, weil sie die Unfallversion der Pflegeeltern bezweifelt. Wenige Stunden später wird das Paar festgenommen, und der Mann gesteht, seine Frau habe die Pflegetochter öfters aus Erziehungsgründen in der Badewanne unter Wasser gedrückt - auch an diesem Abend.

Die Pflegeeltern müssen sich mittlerweile vor dem Bonner Schwurgericht verantworten in einem Verfahren, in dem es zunächst um Misshandlung mit Todesfolge ging, und in dem nun auch Totschlag oder Mord nicht mehr ausgeschlossen werden.

Es gab Hinweise Mehrfach gab es Hinweise, dass Anna misshandelt werde. Nachbarn, die im Haus Schreie hörten, alarmierten im November 2009 die Polizei; Annas Schulrektor wandte sich, so sagte er vor Gericht aus, mehrfach an die Jugendämter in Bad Honnef und Königswinter; und auch an Annas Todestag bemühte sich eine Nachbarin darum, dass die Behörden eingreifen. Sie rief im Honnefer Rathaus an. Dort wurde sie ans zuständige Königswinter verwiesen. Doch geholfen wurde Anna nicht.Die Jugendämter von Königswinter und Bad Honnef sind ebenfalls ins Visier der Staatsanwaltschaft geraten. Ermittlungen gegen Mitarbeiter laufen, denn schon kurz nach Annas Tod stellte sich heraus: Es gab zahlreiche Hinweise, Anna werde möglicherweise misshandelt. Die Kontrollmechanismen bei der Unterbringung von Pflegekindern, die Zusammenarbeit der Behörden, wenn es um die Sorge für in Not geratene Kinder geht, stehen auf dem Prüfstand.

Ein Jahr ist seit Annas Tod vergangen. Ein Jahr, in dem gleichzeitig viel geschah und doch so wenig. Nach wie vor ist nichts endgültig geklärt: Die für den Tod des Pflegekindes Anna mutmaßlich direkt Verantwortlichen sind noch nicht verurteilt. Der Prozess, im Januar 2011 begonnen, war zwischenzeitlich geplatzt und wurde wieder aufgenommen. Nach einem Termin am Donnerstag wird die Hauptverhandlung erst einmal für 30 Tage unterbrochen.

Mögliche Verantwortliche in den Jugendämtern von Königswinter, das mit dem Fall Anna betraut war, und Bad Honnef, bei dem an Annas Todestag der Anruf einer besorgten Nachbarin einging, wurden bislang nicht zur Rechenschaft gezogen. Im Januar 2011, kurz vor dem Auftakt des Prozesses gegen Annas Pflegeeltern, stellte die Bonner Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen Mitarbeiter im Bad Honnefer Jugendamt zunächst sogar ein.

Was den Ermittlern zu diesem Zeitpunkt bereits bekannt war, die Öffentlichkeit aber erst im Februar erfuhr: Kurz nach Annas Tod hatte es im Königswinterer Jugendamt Manipulationen gegeben. Die Mitarbeiterin, die mit Anna betraut war, räumte bereits Ende Juli ein, dass sie die entsprechende Fallakte ausgedünnt hat.

Es brauchte jedoch noch weitere sechs Monate, bis die Ermittler selbst tätig wurden. Im Februar stellten sie in den Jugendämtern von Königswinter und Bad Honnef Akten sicher. Wiederum gut einen Monat später nahm die Bonner Staatsanwaltschaft, nach einem rechtlichen Hinweis der Generalstaatsanwaltschaft Köln, das Verfahren gegen Mitarbeiter der Stadt Bad Honnef wieder auf. Doch wann und ob es zu einem Prozess kommt, ist nach wie vor unklar.

Vor dem Ende des Hauptverfahrens gegen die Pflegeeltern rechne er mit keinen Ermittlungsergebnissen, hat Oberstaatsanwalt Fred Apostel im Mai mitgeteilt. Daran hat sich offenbar nichts geändert.

Derweil ist der Prozess gegen die Pflegeeltern zur Belastung für alle Beteiligten geworden. Anfang März platzt er. Denn die Verteidigung besteht auf einer Neuverhandlung, nachdem erst bei der Aussage des Gerichtsmediziners deutlich wird, dass es sich bei Annas Ertrinkungstod angesichts der Dauer des Untertauchens auch um Totschlag oder Mord handeln kann.

Meinung Lesen Sie dazu auch den Kommentar " Höchste Zeit"

Die Verteidigung will sich auf die geänderte Ausgangslage einstellen, ein neuer Prozess heißt aber: Das gesamte Hauptverfahren beginnt von Neuem, sämtliche Zeugen müssen noch einmal vor Gericht aussagen. Kein einziges Mal hat dies bisher Annas Pflegemutter getan. Die Frau, die ihre gesamte Umgebung - so der Eindruck aus dem Prozess - manipuliert hat, schweigt. Ohnehin gestaltet sich die neue Hauptverhandlung, die im Mai beginnt, schwierig. Nach einer Operation ist der Gesundheitszustand der Angeklagten labil, immer wieder muss die Verhandlung unterbrochen werden.

In Königswinter wächst bei manchem der Unmut. Ein Jahr ist vergangen, und noch immer sind die Strukturen im Jugendamt, die den Tod Annas vielleicht mit ermöglicht haben, nicht grundsätzlich überarbeitet. Die Stadt hat zwar einen Gutachter beauftragt, doch der will seine Untersuchungen erst beginnen, wenn der Prozess gegen Annas Pflegeeltern abgeschlossen ist.

Ein Jahr nach Annas Tod zeigt sich: Die Misshandlung eines Pflegekindes ist kein Einzelfall. Diese Woche stand eine 50-jährige Erzieherin als Angeklagte vor dem Königswinterer Amtsgericht. Sie hat, so die Überzeugung des Richters, ihren Pflegesohn misshandelt und ihn gezwungen, eine Woche in einem Gäste-WC zu bleiben. 2007 kam der Fall zur Anzeige, verhandelt wurde er vier Jahre später.

Das lag zum einen an einem langwierigen Glaubwürdigkeitsgutachten. Das lag aber auch daran, dass Richter Ulrich Feyerabend der Fall nicht gründlich genug aufgeklärt erschien und er die Akten zwei Mal zurück verwies an die Ermittlungsbehörden. Auch dies erinnert fatal an den Fall der neunjährigen Anna: Mehrere Jugendämter hatten Kontakt zu der Pflegefamilie.

Das Jugendamt des Rhein-Sieg-Kreises, zuständig für ein Mädchen, das bei der jetzt Angeklagten ebenfalls zur Pflege war, nahm dieses aus der Familie, als es Hinweise auf Missstände gab. Doch das Kölner Jugendamt, zuständig für den misshandelten Jungen, zog daraus keine Konsequenzen. Und, so Feyerabend: Die Verantwortlichen in den Behörden beschäftigten sich mit den Pflegeeltern, berieten und betreuten diese. Mit den Kindern aber beschäftigten sie sich nicht.

Chronologie der Ereignisse##ULIST##

22. Juli 2010: Die neunjährige Anna stirbt, nachdem sie in der Badewanne ihrer Pflegeeltern zu lange unter Wasser war. Die Polizei nimmt die Pflegeeltern fest.

  • 24. Juli: Die mit dem Pflegekind Anna betraute Mitarbeiterin im Königswinterer Jugendamt manipuliert die Fallakten der Behörde und vernichtet Unterlagen.
  • 26. Juli: Ein Mitarbeiter der Stadtverwaltung bringt Akten auf Anforderung zur Staatsanwaltschaft nach Beuel.
  • 30. Juli: Die Jugendamts-Mitarbeiterin informiert ihre Vorgesetzten über die Manipulationen, die Stadt informiert die Staatsanwaltschaft. Die Akten werden rekonstruiert.
  • 24. Januar: Der Prozess gegen Annas Pflegeeltern vor dem Bonner Schwurgericht beginnt.
  • 25. Januar 2011: Die Staatsanwaltschaft stellt das Ermittlungsverfahren gegen Mitarbeiter des Honnefer Jugendamtes wegen unterlassener Hilfeleistung ein.
  • 12. Februar: Der Königswinterer Bürgermeister informiert über die Aktenmanipulation in seinem Hause.
  • 23. Februar: Die Staatsanwaltschaft besucht das Königswinter und das Bad Honnefer Jugendamt und nimmt Akten mit.
  • 24. Februar: Der rechtsmedizinische Gutachter erklärt vor Gericht, dass Anna länger unter Wasser war, als bislang von der Staatsanwaltschaft angenommen.
  • 28. Februar: Der Strafverteidiger der Pflegemutter beantragt, den Prozess neu aufzurollen, weil nun auch Totschlag oder Mord in Betracht kommen.
  • 2. Mai: Die neue Hauptverhandlung gegen Annas Pflegeeltern beginnt vor dem Bonner Schwurgericht. Die Staatsanwaltschaft teilt mit, dass sie die Ermittlungen gegen Mitarbeiter des Honnefer Jugendamtes wieder aufgenommen hat.
  • 20. Juni: Vor Gericht sagt die Jugendamtsmitarbeiterin aus, die mit dem Fall Anna betraut war.
  • 21. Juli: Letzter Verhandlungstag vor einer dreiwöchigen Sommerpause.
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