Interview mit Benjamin Bidder Von Rheinbreitbach an die Moskwa

Bad Honnef · Benjamin Bidder war sieben Jahre für den Spiegel in Russland und hat ein Buch über die „Generation Putin“ geschrieben. Nun ist er zurück in Deutschland

 Korrespondent und Autor: Benjamin Bidder vor dem Kreml (l.) und der Basilius-Kathedrale.

Korrespondent und Autor: Benjamin Bidder vor dem Kreml (l.) und der Basilius-Kathedrale.

Foto: Privat

Tut es Ihnen nicht leid, Moskau verlassen zu haben, in diesen spannenden Zeiten, in denen Putin bei einer Meinungsumfrage ausgerechnet in Tschechien, im Land des 68er Prager-Frühlings, noch vor Merkel liegt, deren Beliebtheitswerte dort von 70 auf 18 Prozent abstürzten?

Benjamin Bidder: Nein, nach sieben Jahren möchte ich etwas anderes machen. Ich habe jedoch nicht mit Russland abgeschlossen, ich werde auch von Hamburg aus Osteuropa weiter betreuen, mich um Themen kümmern wie den Aufschwung der russischen Landwirtschaft. Vor den Duma-Wahlen am 18. September reise ich erneut nach Moskau.

Beneiden Sie manchmal die früheren Journalisten-Generationen um deren internetlose Zeit?

Bidder: Nein. Das Internet eröffnet so viele Möglichkeiten und erlaubt den 360-Grad-Blick. Ich komme schneller an Informationen, kann schneller mit anderen in Kontakt treten. Die Russen sind sehr stark in sozialen Netzwerken unterwegs.

Und wenn Sie selbst in Internetforen angegriffen werden?

Bidder: Das ist kein großes Thema für mich. Viele Leute, die in Putin jemanden sehen, der für das Gegenteil steht von all dem, was sie ablehnen, reagieren sich da ab. Weil sie Amerika ablehnen oder unzufrieden sind mit Deutschlands Platz in der Welt, suchen sie ein Idol. Und Putin erfüllt das Bild. Aber sie wissen sehr wenig über den Mann und was in Russland passiert. Ich ignoriere das, und es werden weniger E-Mails, wenn man nicht darauf antwortet. Diese Attacken kommen nur von selbst ernannten Russland-Verstehern, die eben nicht verstehen, was da passiert.

Weshalb Moskau?

Bidder: Ich hatte null Berührungspunkte mit Russland. Nach dem Abitur hatte ich mich um Zivildienststellen in Westeuropa und in Israel beworben – und bekam eine Stelle in einem Heim für behinderte Kinder in Sankt Petersburg.

Wie haben Sie sich verständigt?

Bidder: Das war superschwer. Ich hatte zwar einen Crashkurs absolviert, aber die Leute redeten schneller. Ich habe Vokabeln und Grammatik gelernt und später beim Studium in Petersburg mir auch das politische Vokabular erworben.

Nach dem Studium wurden Sie sofort Spiegel-Korrespondent?

Bidder: Das war ein großer Glücksfall. Ich hatte die Idee, ein Urlaubssemester in Moskau anzuhängen und mich auch beim Spiegel um eine Praktikumsstelle beworben. Und dann wurde ich der erste Korrespondent von Spiegel online in Moskau und habe auch für den gedruckten Spiegel gearbeitet.

Dabei entstand Ihr Buch. Worum geht es darin?

Bidder: Um junge Leute, die Gorbatschow nur aus dem Geschichtsunterricht und die Sowjetunion nur aus den Erinnerungen ihrer Eltern kennen. Alle sind 1991 geboren: Lena aus der „Putin-Jugend“ träumt von einer Karriere in der Politik. Taissa ist eine modevernarrte Tschetschenin. Wera, eine junge Oppositionelle, die mittlerweile nach Kiew ausgewandert ist, versuchte, das Land von unten her zu ändern. Marat aus Moskau, der durch die Welt reisende Roofer, den die Politik, der er mit Skepsis gegenübersteht, einholte: Als die Ukraine-Krise ausbrach, haben tausend Ukrainer seinen Blogg abbestellt, weil er Russe ist. Außerdem geht es um Diana, eine Patriotin, die bei den Olympischen Spielen in Sotschi als Freiwillige im Einsatz war, und den geistig und körperlich behinderten Alexander, den ich im Kinderheim kennengelernt hatte. Sie alle haben die Zeitspanne von jetzt genau 25 Jahren seit dem Zerfall der Sowjetunion erlebt.

Der Titel zeigt eine Faust und auch den Untertitel „Das neue Russland verstehen“. Welche Intention steckt dahinter?

Bidder: Die Faust trifft die Stimmung – die jungen Leute haben viel Energie, sie machen sehr viel, wissen aber noch nicht, was sie wollen. Sie sind noch formbar. Es sind tolle Typen, auch wenn ich bei einigen nicht einverstanden bin mit der politischen Richtung. Alexander geht zu Podiumsdiskussionen mit Politikern, tritt für seine Rechte ein. Die Buchhelden formen das neue Russland.

Haben Sie Putin kennengelernt?

Bidder: Gesehen habe ich ihn, gesprochen nicht. Moskau-Korrespondenten bekommen nur selten Interviews. Dazu werden eher hochrangige Vertreter von Verlagen und Sendern eingeflogen, die Putin leicht aufs Glatteis führen kann.

Was halten Sie von Putin?

Bidder: Ihn zu dämonisieren, ist nicht sinnvoll. Als er 2000 in den Kreml einzog, schien er wie einer, der viele Probleme lösen kann. Viele Russen vertrauen ihm. Aber inzwischen ist er nicht mehr Teil der Lösung, sondern des nächsten Problems. Ich zweifle, ob er nach 16 Jahren im Amt jetzt noch notwendige Reformen angeht.

Was bedeutet Ihnen Russland heute?

Bidder: Es ist Teil meines Lebens. Sankt Petersburg ist meine zweite Heimat nach dem Rheinland.

„Generation Putin – das neue Russland verstehen“, 336 Seiten, Spiegel Buchverlag, Deutsche Verlagsanstalt, 16,99 Euro.

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