Gefängnisseelsorger Woelki: Recht auf eine zweite Chance

BAD HONNEF · Der Schutz von Ehe und Familie endet vor dem Gefängnistor: Geht ein Elternteil in den Knast, leidet darunter die ganze Familie. Inhaftierte leben wortwörtlich am Rande der Gesellschaft - oft in fern abgelegenen Justizvollzugsanstalten, getrennt vom sozialen Umfeld und mit stark eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten.

 Zur Eröffnung der Studientagung im KSI in Selhof sprach auch Kardinal Rainer Maria Woelki (4.v.l.).

Zur Eröffnung der Studientagung im KSI in Selhof sprach auch Kardinal Rainer Maria Woelki (4.v.l.).

Foto: Frank Homann

In mehr als 20 000 Familien fehlt hierzulande durch diesen Umstand ein Elternteil. Ein familiensensibler Strafvollzug muss her, darin sind sich die Mitglieder der katholischen Gefängnisseelsorge in Deutschland e.V. einig. Zeitgleich mit der vatikanischen Familiensynode beschäftigen sich daher seit Montag 94 Seelsorger im Katholisch-Sozialen Institut (KSI) noch bis Freitag mit der Frage, wie den negativen Folgen der Familientrennung entgegengewirkt werden kann.

Prinzipiell sei dies kein neues Problem, doch der Justizvollzug habe sich lange Zeit nicht für Angelegenheiten außerhalb seiner Mauern zuständig gefühlt, kritisiert der Vorsitzende Heinz-Bernd Wolters. Langsam finde jedoch ein Umdenken statt.

Die Tagung greift dieses aufkeimende Bewusstsein auf und widmet sich in einer Reihe von Fachvorträgen der Vereinbarkeit von Familienleben und Strafvollzug aus humanitärer, politischer und juristischer Perspektive: Wie hat das Bundesverfassungsgericht dazu entschieden? Welche Maßnahmen sind bereits umgesetzt worden? Wie können "mitbestrafte" Familienmitglieder unterstützt werden? Zudem setzen sich die Teilnehmer in Workshops gemeinsam mit Praxisbeispielen aus verschiedenen Justizvollzugsanstalten auseinander und diskutieren die Vor- und Nachteile der jeweiligen Ansätze.

Das sei jedoch nur ein Anfang, mahnte Pfarrer Adrian Tillmann von der Konferenz der evangelischen Gefängnisseelsorge bei der Eröffnung: "Es ist noch zu vieles nicht selbstverständlich." Familiärer Besuch sei keine lästige Unterbrechung des geregelten Vollzugsalltags, sondern "das Recht des Kindes auf beide Elternteile".

Kardinal Rainer Maria Woelki erinnerte daran, die Gefangenen aus einem christlichen Blickwinkel zu betrachten - nicht als Summe ihrer Taten, sondern als Menschen mit Sorgen und Ängsten, die eine zweite Chance verdient hätten. Zudem kritisierte er die gesellschaftliche Tabuisierung: "Wie viel Scham lasten wir Familien von Inhaftierten auf, indem wir ihnen das Gefühl geben, mit ihnen sei etwas nicht in Ordnung?" Die Familie dürfe nicht außen vor bleiben, bekräftigten auch Staatssekretär Karl-Heinz Krems vom nordrhein-westfälischen Justizministerium und Hadmut Birgit Jung-Silberreis, Leiterin der JVA Wiesbaden.

Bei einer Scheidung sei die Situation für die Kinder bereits schwierig genug, erklärte Heinz-Bernd Wolters: "Aber der Vollzug ist eine noch viel abruptere und einschneidendere Zäsur, die es zu verkraften gilt." Insbesondere die Unterhaltungsmedien transportierten oft Eindrücke von Gefängnissen als Gosse der Gesellschaft, welche die Kinder nachhaltig verunsicherten: "Ist mein Papa auch so einer?" Man solle zudem nie vergessen, resümierte Wolters: "Morgen sind die Inhaftierten wieder unsere Nachbarn." Je besser die Gefangenen auf das Leben nach der Entlassung vorbereitet seien, desto höher sei die Chance, sie zu reintegrieren - die Familie sei ein wesentlicher Anker der Resozialisierung.

Je stärker die Inhaftierten während des Vollzugs jedoch von ihrer Familie getrennt seien, desto schwieriger sei später die Eingliederung in den Alltag. Wolters: "Oft hat sich die Familie mit dem Fehlen eines Gliedes arrangiert. Dann wird nichts wieder so werden, wie es vorher war." Nicht mehr gebraucht zu werden, könne ein erschütterndes Erlebnis sein. In einem Extremfall, erinnerte sich Wolters, habe ein Entlassener, den er im Gefängnis betreute, aus Verzweiflung Suizid begangen, da er von Frau und Kindern zu stark entfremdet gewesen sei. Das sei ein Einzelfall gewesen, zeige aber deutlich: Wer die Rolle der Familie im Strafvollzug vernachlässige, der richte langfristigen Schaden an. Für alle Beteiligten.

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