Theaternacht am CJD Anarchisch bis spitzzüngig

Königswinter · Die dritte Theaternacht an der Jugenddorf Christophorusschule stand unter dem Thema „Ein Stück Heimat“.

 Was bedeutet Heimat? 31 Schüler der Literaturkurse am CJD zeigten in der Theaternacht ihre Interpretation des Begriffs. FOTO: FRANK HOMANN

Was bedeutet Heimat? 31 Schüler der Literaturkurse am CJD zeigten in der Theaternacht ihre Interpretation des Begriffs. FOTO: FRANK HOMANN

Foto: Frank Homann

„Heimat ist für mich der Ort, an dem ich mich geborgen fühle.“ Stimmenwirrwarr drang aus den Lautsprechern, als es sich die 31 Mitglieder der Literaturkurse an der Jugenddorf Christophorusschule (CJD) auf dem Fußboden der Aula bequem machten. „Heimat ist der Ort, an dem sich mein Handy automatisch ins WLAN einloggt.“

Einer nach dem anderen standen die Schüler auf und sinnierten, in violettes Scheinwerferlicht getaucht, über die wahre Bedeutung des vielbeschworenen Begriffs. „Heimat ist überall da, wo das Unbekannte schnell zu Vertrautem wird.“ Dann nahmen sie die Koffer in die Hand und schwirrten in Windeseile davon – die Einführung war so abrupt vorbei, wie sie begonnen hatte. Denn die einzelnen Stücke sollten fortan für sich sprechen. Die dritte Theaternacht am CJD stand – nicht zuletzt vor dem Hintergrund aktueller politischer Ereignisse – unter dem Motto „Ein Stück Heimat.“ Vier Gründe, warum der Abend ein voller Erfolg war.

Erstens: alles in Eigenregie. Im gesamten Schulgebäude verteilt, führten die beiden Literaturkurse der Klassenstufe elf ihre selbstgeschriebenen Stücke auf sechs improvisierten Bühnen je sechs Mal in Folge auf. Handlung, Orte, Figuren – die Schüler genossen völlige kreative Freiheit im Rahmen des Oberthemas; die Kurslehrerinnen Ruth Schneider und Stefanie Manz hielten lediglich ein wachsames Auge auf ihre Schützlinge und sorgten dafür, dass sie sich nicht kreativ übernahmen. Das Ergebnis: Abwechslungsreiche Auseinandersetzungen mit den Themen Heimat und Fremde, erzählt in je 15 bis 20 Minuten – mal schwermütig-melancholisch, mal poppig-rasant, mal humorvoll-anarchisch.

Zweitens: der Einfallsreichtum. Der Andrang zur ersten Vorstellung von „Logout“, einer flott erzählten Social-Media-Kritik, überraschte selbst die Schauspieler. Die Handlung: Als Mae (Stefanie Sommer) eine Stelle beim Online-Startup „The Circle“ angeboten bekommt, geht für sie ein Traum in Erfüllung – doch während sie sich zusehends in der digitalen Welt verliert, verkümmern ihre persönlichen Kontakte. Tragischer Höhepunkt dann das Selfie mit der im Koma liegenden, dem Tode nahen Mutter.

Hervorragend derweil die Inszenierung: Beim Skype-Gespräch mit ihrem Freund (Nikita Grünwald) wurde ein Live-Video-Feed per Beamer von dem einen Raumende ans andere geworfen, statt harter Szenenübergänge wanderte Mae über Tische und Bänke von einem Schauplatz zum anderen, und bei der Firmenparty riss es die ringsum sitzenden Zuschauer mit auf die Tanzfläche.

Drittens: der Mut, sich auf unsicheres Terrain zu wagen. Ein festes Skript für „Heimatverlust mit Tiger“, inspiriert vom Bestseller-Roman „Life of Pi“, gab es nicht. Stattdessen ließ das fünfköpfige Ensemble den Moment für sich sprechen und improvisierte einen Großteil seiner Dialoge. Ein Risiko, das sich auszahlte, denn hier gab es einige der amüsantesten und spitzzüngigsten Wortgefechte des Abends zu bewundern.

„Wir haben gelernt, uns nicht zu viel vorzunehmen und nicht so kompliziert zu denken“, erzählte Sarah Hauck, die im Stück mit aufgesetzten Tigerohren dem schiffbrüchigen Moritz Borstell Gesellschaft leistete. Hinter dem charmant-chaotischen Bühnenspiel verbarg sich letztlich eine tiefsinnige Botschaft: „Heimat ist unbezahlbar“, so Hauck.

Viertens: stimmungsvolles Ambiente. Tief unten im düsteren Fahrradkeller wartete mit einer freien Interpretation von „Anne Frank“ eine weitere Programmperle. In beklemmender Atmosphäre verwandelten die fünf Schauspielerinnen, allen voran Xenia Schweizer als Anne, das CJD-Kellergewölbe in das beengte Hinterhaus, in dem sich die Familie versteckt hielt. Thema: das Fremdsein im eigenen Land. „Ihr seid sicher, dass euch niemand gefolgt ist?“, fragte Otto Frank (Jannik Lohr) seine Töchter, soeben von der Lebensmittelsuche zurückgekehrt. Da klopft es plötzlich energisch an der Tür – das Licht geht aus, das Stück endet in Stille. Dann lauter Applaus.

Dass die Nachwuchsliteraten des CJD verstanden haben, was gutes Theater ausmacht, davon konnten sich die rund 400 Besucher auf eindrucksvolle Weise überzeugen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort
In der Pflicht
Kommentar zur Umstrukturierung des Sozialamts In der Pflicht