Urteil im Bockeroth-Fall Stiefvater nach Schüssen auf Elfjährigen zu vier Jahren Haft verurteilt

Bockeroth/Bonn · Vor rund einem Jahr ist ein Elfjähriger in Bockeroth durch Schüsse schwer verletzt worden. Nun hat das Landgericht Bonn den Stiefvater des Jungen zu einer vierjährigen Haftstrafe verurteilt.

 Auf diesem Spielplatz in Bockeroth sollen die Schüsse auf den Elfjährigen gefallen sein. Diese Vermutung stellte sich rasch als falsch heraus.

Auf diesem Spielplatz in Bockeroth sollen die Schüsse auf den Elfjährigen gefallen sein. Diese Vermutung stellte sich rasch als falsch heraus.

Foto: Ralf Klodt

Für das Bonner Jugendschwurgericht gab es am Ende keinerlei Zweifel: Es war der Stiefvater, der am 8. April vergangenen Jahres in Bockeroth dreimal mit einem Luftgewehr auf seinen damals elf Jahre alten Stiefsohn geschossen und ihn schwer verletzt hat. Wegen Misshandlung eines Schutzbefohlenen und gefährlicher Körperverletzung wurde der Hausmeister (33) gestern zu vier Jahren Haft verurteilt. Vom dritten Anklagevorwurf, eines Mordversuchs durch Unterlassen einer Hilfeleistung, wurde er frei gesprochen, weil er einen Rettungswagen gerufen und den Jungen in die Kinderklinik Sankt Augustin hatte bringen lassen.

„Ich war es nicht. Ich habe auf meinen Sohn nicht geschossen“, hatte der Angeklagte in seinem letzten Wort beteuert. Doch die Kammer glaubte dem Mann am Ende eines viermonatigen, manchmal überraschend turbulenten Indizienprozesses nicht, in dem unter anderem versucht worden sei, durch zahlreiche von Beteiligten und Nichtbeteiligten des Verfahrens geschickte E-Mails Einfluss auf das Gericht auszuüben. „Das war schon sehr besonders“, sagte Vorsitzender Richter Volker Kunkel, der auch betonte: „Wir lassen uns nicht beeinflussen, wir haben uns auf die Sache konzentriert.“

Und die sah so aus: Am Mittag des 8. April 2021 fuhr die Mutter des Elfjährigen mit ihrem Vater zu einem Impftermin nach Bonn, ihr Mann kümmerte sich um die insgesamt vier Kinder der Familie. Der Älteste, das spätere Opfer, bedarf der besonderen Fürsorge, er ist schwerhörig, in der Entwicklung stark zurückgeblieben und auf dem Stand eines Dreijährigen; er kann sich nur durch Gesten verständlich machen. Der Angeklagte versorgte an dem Tag zunächst den Jüngsten, ein Jahr alt, schickte dann zwei Geschwister nach draußen, während der behinderte Sohn in seinem Zimmer mit Autos spielte. Zwischen etwa 14 Uhr und 16.30 Uhr, so die Überzeugung der Richter, schoss der Angeklagte dreimal mit einem Luftgewehr, das er im September 2020 gekauft hatte, gezielt und von vorn auf die linke Brustkorbseite des Elfjährigen.

Gab er die Schüsse draußen oder im Haus ab? Die Kammer traf dazu keine Feststellung. Staatsanwalt Martin Kriebisch ist sich sicher, dass der 33-Jährige im Haus die Waffe angelegt hatte; hätte er außerhalb geschossen, wäre das in dem Dorf bemerkt worden, glaubt der Ankläger, nachdem er sich den vor Ort umgesehen hatte. Kriebisch nannte die Tat „widerwärtig und sadistisch“ und forderte, wie auch Nebenklagevertreter Michael W. Staffel, sieben Jahre Haft. Er war vom Familiengericht des Amtsgerichts Königswinter als Nebenkläger im Namen des Kindes entsandt worden.

Das Opfer hatte schwere innere Verletzungen erlitten und wurde am Abend in der Uni-Klinik notoperiert; die Ärzte holten dabei zwei Projektile aus dem Körper, sogenannte Spitzkopfdiabolos heraus; das dritte war ein Streifschuss.

Da es für den Vorfall keinen Zeugen gab und der Junge nicht sprechen kann, gab das ballistische Gutachten des Landeskriminalamts den Ausschlag für das Urteil. Der Sachverständige hat für das Gericht glaubhaft nachgewiesen, dass aus dem Luftdruckgewehr des Hausmeisters geschossen worden ist. Verteidiger Uwe Krechel zweifelte die Expertise jedoch an, weil es, anders als etwa bei Untersuchungen von Schüssen aus einer Pistole keine vergleichenden Gutachten gebe; deswegen fehle diesem „die Signifikanz“. Krechel plädierte auf Freispruch: Nicht zuletzt, weil es für die Tat kein Motiv gibt. Er sei ein liebender Vater, warum solle er seinem Sohn so etwas antun?

Der Junge lebt inzwischen in einem Heim. Der Staatsanwalt kündigte Ermittlungen gegen Angehörige der Familie wegen möglicher Falschaussagen an. Sie hätten alles getan, um den Angeklagten zu entlasten, hätten sich aber nicht schützend vor das Kind gestellt

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(dpa)
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