Biografie in Königswinter "Es hat auch Wunder gegeben"

INTERVIEW Beatrix Theobold hat die Geschichte ihrer Eltern und Großeltern erforscht

Beatrix Theobold (63) lebt in Nürnberg. Sie ist die Tochter von Ruth und Pieter Dekker. Bis 1958 wohnte sie in dem Haus an der Falltorstraße, bevor ihre Familie nach Wetzlar zog. Mit ihr sprach Roswitha Oschmann.

Ist das Ihr erster Besuch in Oberdollendorf?

Beatrix Theobold: Ich bin schon häufig hier gewesen. Oberdollendorf ist kuschelig. Hier hoffe ich auch immer, mein Lieblingsessen Himmel un Ääd zu bekommen. Meine Mutter hatte hier eine gute Freundin - Adele Lichtenberg. Sie hat meiner Mutter viel geholfen, mit Kleidung und Lebensmitteln.

Wie wirkt diese Zeit auf Sie?

Theobold: Ich betrachte sie nüchtern. In habe meine Abitur-Arbeit über das NS-Regime geschrieben. Meine Großeltern und meine Mutter haben diese Zeit überlebt. Bei Alec ist das etwas anders. Seine Großmutter Lili ist wie ihre Zwillingsschwester Meta in Auschwitz vergast worden. Lilis drei Kinder Max, Else und Emi Wijgaard konnten sich durch einen Sprung in den Garten retten als die SS kam und gelangten nach Buenos Aires. Else ist Alecs Mutter und zog in die USA. Alec lebt im Gegensatz zu mir die jüdische Tradition.

Ihre Mutter hat überlebt. Wem hat sie das zu verdanken?

Theobold: Ruth lernte 1942 im Arbeitsdienst in einer Fabrik in Bonn den holländischen Kriegsgefangenen Pieter Dekker kennen. Er war Chemiker und arbeitete im Labor. Als die Gestapo Ruth und ihre Mutter Else abholte, verfolgte Pieter mit dem Rad den Lastwagen ein Stück. Ein anderer Gefangener auf dem Wagen wusste, dass es ins Sammellager Much ging. Ruth schrieb Pieter eine Nachricht. Als der Lkw hielt, bat sie einem wildfremden Mann, den Zettel weiterzuleiten. Es hat funktioniert. Es hat Wunder gegeben. Pieter durchschnitt in Much den Zaun und hat die beiden Frauen rausgeholt. Sonst wären auch sie ins Vernichtungslager gekommen. So konnten sie sich bei einem Bauern bei Wernigerode verstecken. Dort stand Ruth auf dem Hof, als nach dem Krieg Pieter mit dem Rad ihr entgegenfuhr. Ein schönes Bild.

Und wie ging es weiter?

Theobold: Pieter hat meinen Großvater, der 1943 ins KZ Theresienstadt deportiert worden war, mit einem alten Feuerwehrauto dort abgeholt. So konnte Ludwig seine Frau, die keine Jüdin war, wieder in die Arme schließen. Ludwig Süskind starb 1951 und ist der letzte Jude, der auf dem Königswinterer Friedhof beerdigt wurde.

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