„Der Kinderzug“ Königswinterin schreibt über Kinderlandverschickung im Zweiten Weltkrieg

Oberpleis · Die Königswinterin Michaela Küpper hat ein Buch über die Kinderlandverschickung geschrieben, die die Nationalsozialisten in Kriegszeiten anordneten. In die Handlung des Romans „Der Kinderzug“ hat die Autorin authentische Erlebnisse eingebaut. Auch ihr Vater war als Kind dabei.

 Mehr als zwei Millionen Mädchen und Jungen wurden im Zweiten Weltkrieg aufs Land geschickt.

Mehr als zwei Millionen Mädchen und Jungen wurden im Zweiten Weltkrieg aufs Land geschickt.

Foto: picture alliance / dpa/dpa

Mehr als zwei Millionen Mädchen und Jungen wurden nach heutigen Schätzungen zwischen 1940 und 1945 aus luftkriegsgefährdeten Gebieten verschickt. Die erweiterte Kinderlandverschickung, kurz KLV, war von Adolf Hitler durch einen Führerbefehl Ende August 1940 angeordnet worden. Die Königswinterer Autorin Michaela Küpper hat zu diesem Thema den Roman „Der Kinderzug“ veröffentlicht.

Auf Einladung der Katholischen Öffentlichen Bücherei und der Bibliothek Oberpleis stellte sie im Propst-Gerhard-Saal ihr Buch vor. Dabei las sie nicht nur Passagen, sondern informierte auch über ihre Recherchen. „Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, der sich 2020 zum 75. Mal jährt, ging auch dieses Kapitel der Kinderlandverschickung zu Ende, das bisher wenig Beachtung fand“, sagte sie.

Typische Verdrängung der Kriegsgeneration

Ihr Vater, der im Jahr 1933 geboren wurde und im Ruhrgebiet aufwuchs, habe ihr berichtet, dass er vom Krieg eigentlich nicht viel mitbekommen habe. „Fast beiläufig erzählte er, er sei nach Kriegsende allein von Österreich nach Hause gelaufen.“ Michaela Küpper erschien das als typischer Fall von Verdrängung der Kriegsgeneration. Sie fragte nicht nach. Bei ihrer Suche nach Material stieß sie jedoch auf ganz ähnliche Aussagen.

„Je mehr Originalbriefe und Tagebuchaufzeichnungen aus jenen Lageraufenthalten ich las, desto stärker faszinierte mich das Thema“, sagte sie bei der gut besuchten Veranstaltung. „Zugleich wuchs meine Verwunderung darüber, dass es nie so recht ins öffentliche Bewusstsein gerückt ist. Dabei waren Ansinnen und Durchführung der KLV einmalig in unserer Geschichte und die psychosoziale Dimension enorm: Der oft jahrelange Lageraufenthalt hatte nicht nur die individuelle Persönlichkeit dieser Kinder und Jugendlichen geprägt, sondern auch die kollektive Identität einer ganzen Generation.“

Einblicke in Nöte und Ängste der Kinder

Die Sichtung der Originaldokumente habe ihr einen Einblick in Kinderseelen, ihre Nöte und Ängste, aber auch ihre Freuden und ihre erstaunliche Widerstandsfähigkeit erlaubt. Und: „Die Kinder konnten sehr gut formulieren und hatten eine gute Rechtschreibung“, so die Erfahrung der Autorin. „Diese feinen, oft widersprüchlichen Nuancen in den Figuren meines Romans aufleben zu lassen, war mir ein großes Anliegen.“

Auch die Rolle der Lehrer rückte Küpper ins Blickfeld. So hatte Professor Gerhard Sollbach, der eine der bedeutenden Quellen für die Autorin war, betont, es sei vor allem den Lehrern zu verdanken, dass die beabsichtigte totale ideologische Vereinnahmung der Kinder nicht verwirklicht wurde. Ja, dass nicht selten Lehrer „Kinderleben, wo die NSDAP sich längst nicht mehr zuständig fühlte“, gerettet hätten.

Läuse, Krankheiten und Heimweh

Die junge Lehrerin Barbara Salzmann ist dann auch die Hauptperson des Romans. Sie soll im Sommer 1943 eine Gruppe Mädchen aus dem Ruhrgebiet nach Usedom begleiten. Aus den drei Monaten wird eine Odyssee von 819 Tagen quer durchs Reich. Küpper beschreibt die Gefühle beim Aufbruch. Sie erklärte: „Die KLV war zu meinem Erstaunen gar nicht beliebt, sie wurde im Volksmund schlicht als ,Kinderlandverschleppung‘ bezeichnet.“

Landet die Gruppe um Barbara Salzmann zunächst in einem feinen Hotel auf Usedom, so sind nachfolgende Quartiere längst nicht mehr so komfortabel. Enge, Läuse, Krankheiten gehören vielmehr dazu. Unter den Schützlingen der Lehrerin befindet sich auch Gisela, deren Eintragungen in ihr „liebes Tagebuch“ Bestandteil des Romans sind.

Es geht um ihre kleine Schwester Edith. Auch um Jungs wie Karl, die von der KLV direkt an die Front müssen. Und um Barbara Salzmanns Einsatz für die Mädels – und ihren Mut gegenüber den Machthabern in der Stunde der Entscheidung. Stoff, der zur Diskussion anregte.

Michaela Küpper, Der Kinderzug, Verlag Droemer und Knaur, 348 Seiten, 20,40 Euro

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