Rüstzeug für Ross und Reiter Michael Otto aus Thomasberg ist Sattlermeister

Thomasberg · Michael Ottos Beruf ist nach heutigen Maßstäben exotisch: Der 26-Jährige aus Thomasberg ist Sattlermeister. Konkurrenz hat kaum.

 Michael Otto ist von Beruf Sattler – ein Handwerksberuf, der heute Seltenheitswert hat.

Michael Otto ist von Beruf Sattler – ein Handwerksberuf, der heute Seltenheitswert hat.

Foto: Sven Schneider

Die alte „Adler“-Nähmaschine in seiner Werkstatt schmeißt Michael Otto nur noch selten an. Damit könnte er neben dem notwendigen Zaumzeug auch noch einen individuell gefertigten Sattel machen. Als Sattlermeister hat er das gelernt, und passendes Leder hätte er auch vorrätig. In mehreren Lagen quillt die gegerbte Rinderhaut aus den Regalen in seiner vielleicht 15 Quadratmeter kleinen Werkstatt, der Ledergeruch überlagert alles.

Doch es lohnt sich einfach nicht. Gut eine Woche würde es dauern, einen Sattel selbst anzufertigen, neben den eigentlichen Werkschritten müsste er zuvor auch noch das Tier vermessen und anschließend immer wieder die Polsterung so anpassen, dass der Sattel perfekt sitzt. Viel zu viel Aufwand, „das könnte man kaum bezahlen“.

Die meisten Kunden, die in „Franky's Vierbeinershop“ kommen, das Geschäft seines Vaters Frank Otto, wählen einen Sattel von der Stange. Mehr als 300 verschiedene Modelle hat das Unternehmen dauerhaft auf Lager, zu Preisen zwischen 1.500 und 4.000 Euro. Industriell gefertigt, aber von guter Qualität. Wer aufs Geld schauen muss, interessiert sich dann eher für Varianten aus Synthetik-Stoffen. „Die gibt es schon für unter 1.000 Euro, aber vor allem auf die Passform kommt es an“, weiß er. Und da sei Leder einfach die bessere Wahl. „Es ist organisches Material, das sich gut bearbeiten und anpassen lässt.“

"Auf die Feinheiten kommt es an"

Letzteres ist mittlerweile sein Hauptjob. Denn obwohl jeder Sattel mit Verstellmöglichkeiten versehen wird, sei es nicht damit getan, „lediglich ein paar Gurte festzuziehen“. Der Körperbau jedes Tieres sei anders. Nachdem ein Kunde sich ein Modell ausgesucht hat, fährt Michael Otto raus, um das jeweilige Pferd zu beobachten und den Sattel auszuprobieren.

Sitzt er perfekt oder liegt das Gebilde asymmetrisch auf, was zu Fehlhaltungen führen könnte? Werfen Leder und Füllmaterial Dellen oder kleine Beulen, was in Kombination mit dem Schweiß des Tieres zu scheuernden Druckstellen und fiesen Wunden führen könnte? Kann der jeweilige Sattelbaum, das hölzerne Innenleben einer jeden Sitzmöglichkeit für Pferde, das individuelle Reitverhalten des Nutzers ausgleichen? Und wenn nicht, wie lässt sich das anpassen?

„Auf die Feinheiten innerhalb der Bewegung kommt es an“, sagt er – und auch bei seiner Arbeit folgt der 26-Jährige einem Rhythmus. Während aus dem Radio die neusten Hits dudeln, stopft er im Takt der Musik ein feines Wollvlies in eine der Öffnungen eines Sattels vor ihm. Die Muskeln an seinen Oberarmen spannen sich, die große Arbeitsplatte vibriert. Immer wieder streicht er über die Oberfläche der kleinen Tasche, tastet nach Unebenheiten, bessert nach – und legt alsbald zufrieden den Untersitz zur Seite. Wer Michael Otto so vor sich sieht, mag sich kaum vorstellen, dass hier jemand sitzt, der auch gut und gerne im Hörsaal einer Universität pauken oder als Polizist auf Streife gehen könnte.

Drei Fachrichtungen

Den man eher nicht auf irgendeinem Gestüt antrifft, um den Körperbau seiner tierischen Klientel zu studieren. Jung, sportlich, leger gekleidet, mit wachen Augen, einem gewinnenden Lächeln und einer guten Portion Humor. Sein gewählter Lebensweg ist wirklich erklärungsbedürftig. Was er auch weiß. Wie und was ein Sattler eigentlich genau macht, weiß kaum jemand. Dabei sind die Erzeugnisse fest im Alltag verankert. Die passende Lederhandtasche zum kleinen Schwarzen muss ja jemand herstellen, und die edlen Sitze eines Mercedes oder BMW sind nicht grundlos aufpreispflichtig: „Da steckt echte Handwerkskunst dahinter“, sagt Otto.

Generell untergliedert sich die Branche in drei grobe Bereiche: Feintäschner verarbeiten Leder zu Taschen und Koffern, Fahrzeugsattler stellen Sitzbezüge und die ledernen Innenausstattungen von Autos, aber auch Motorradsättel her. Michael Otto entschied sich für den dritten Bereich: Als Reitsportsattler ist er für die Ausrüstung, Ausbesserung und das Herstellen von Sätteln, Zaumzeug oder Sportbekleidung zuständig.

Im ersten Jahr lernen Azubis aller drei Fachrichtungen das Gleiche. „Warenkunde über Leder und seine Verarbeitung, die unterschiedlichen Klebstoffe und ihre Anwendung oder welche Nähte man wofür nutzt“, zählt Otto auf. Allerdings alles eher allgemeingültig, die Spezialisierung erfolge dann in den späteren Berufsschuljahren und im Betrieb.

Mischung aus Kenntnis über Anatomie und Empathie

In Ottos Fall ist das dann eine spannende Mischung aus der Kenntnis über die Anatomie und Gesundheit der Pferde, von den Bewegungsabläufen und den unterschiedlichen sportlichen Anforderungen und natürlich einer gehörigen Portion Empathie und Menschenführung. Letzteres sei sogar die schwierigere Aufgabe, wie er zugibt. „Wer ein Pferd einschätzen kann und seine Bedürfnisse erkennt, kann es auch schnell zufriedenstellen“, sagt er und kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Menschen sind da anspruchsvoller.“

Genau diese Gemengelage war es auch, die ihn für die Ausbildung begeisterte – finanzielle Gründe gäben bei den wenigsten den Ausschlag. „Nur vom Handwerklichen allein können die wenigsten leben“, sagt er, ohne das bereits existierende Familienunternehmen der Ottos würde es kaum funktionieren. Einstiegsgehälter von etwa 1.800 Euro brutto seien schon viel. Was auch ein Grund dafür ist, dass Michael Otto als Sattler in seiner Region nahezu konkurrenzlos ist. In einem Umkreis von etwa 80 Kilometern sei er der einzige, erst „in Köln, Aachen oder Koblenz“ gebe es weitere Kollegen.

Das Alleinstellungsmerkmal im Siebengebirge führt zu vollen Auftragsbüchern bei Otto – und „leider“ auch dazu, dass er seiner Leidenschaft, dem Reiten, kaum noch nachkommen kann. Abwechslung und Ausgleich findet er dagegen nicht über, sondern unter der Oberfläche: als Taucher, der möglichst alle drei Wochen die Seen rund um Leverkusen oder im holländischen Roermond erkundet. Und dann nach Hause kommt und froh ist, mal zur Abwechslung nichts mit Sätteln oder Leder zu tun gehabt zu haben.

Es sei denn, er braucht dringend eine neue Handytasche: Dann kann es auch schon mal sein, dass er seine alte Adler-Nähmaschine anschmeißt und sich eine neue Hülle aus Lederresten näht. Einfach so. Weil er es kann.

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