Serie: Menschen im Siebengebirge Sachin Kamaths Leidenschaft für die Musik

Königswinter · Sachin Kamath ist Inder und absolviert in Bad Honnef einen Masterstudiengang. Sein Traum ist indes ein anderer: Er möchte gerne Musiker werden. Vorbild für ihn ist der "King of Pop".

Es ist ein sonniger und warmer Tag in Königswinter, doch auf der Terrasse am Alten Fährhaus ist noch reichlich Platz. Sachin Kamath sitzt unter einem kleinen Baldachin und schaut auf den Rhein. Der junge Inder schließt die mandelbraunen Augen, legt den Kopf leicht zur Seite und summt ein Lied. Nicht irgendeins – sondern den Song, der seinem Leben eine neue Wendung gab.

„Meine Eltern hatten mal wieder Streit“, erinnert sich der 24-jährige Sachin an diesen Moment vor mehr als zehn Jahren, an dem er, wie so oft, traurig das Haus an seinem Wohnort Manipal in Südindien verließ, durch die staubigen Straßen zog und schließlich vor einem Restaurant stehen blieb. Aus Lautsprechern dröhnte „Doorie“, ein Liebeslied des pakistanischen Sängers Atif Aslam – und ab diesem Moment wird ihm klar, was er will: „Singen“, sagt er, reißt die Augen wieder auf und lehnt sich zurück in den Korbstuhl. Bevor er noch einmal die Melodie ansetzen kann, ist die freundliche Bedienung da und nimmt die Bestellung auf.

Doch es ist nicht das georderte Weizenbier, das an diesem Tag Sachins Seele öffnet. Es ist vor allem die ruhige und friedliche Atmosphäre in Königswinter, die ihn dazu verleitet, einem Fremden mehr von sich und seinen Träumen zu erzählen als jemals zuvor. Zumal es Träume sind, die sein Vater in dieser Form nicht teilt. Der Restaurantbesitzer hat einen anderen Plan für seinen Filius. Er strebt ein Studium für ihn an. Doch der Sohn will seine Musikerkarriere weiter verfolgen – obwohl ihm niemand dabei hilft. Das macht ihn erfinderisch. Auch in Indien gibt es zahlreiche Casting-Shows im Fernsehen, und anhand der Beurteilungen der Juroren versucht er zu lernen, worauf es ankommt.

Lernen von Casting-Shows

Um sich weiter zu verbessern, schleicht er sich nachts aufs Feld, der gläubige Hindu singt vor Kühen, die aber mangels Feedback ein eher schlechtes Publikum sind. Etwas fehlt ihm an den Darbietungen, das merkt er – und erst, als Michael Jackson stirbt und im indischen Fernsehen zahlreiche Musikvideos und Shows des „King of Pop“ gezeigt werden, weiß er, was das ist. „Performance“, sagt er und sein Körper macht rhythmische Bewegungen. „Das ist es, worauf es zusätzlich ankommt.“

Wieder findet er keine Unterstützung, niemand bringt ihm das Tanzen bei. Doch Sachin findet einen Weg: Das Internet hilft. Da die Familie damals nicht ans Datennetz angeschlossen ist, weil der Vater will, dass sein Sohn sich auf die Schule konzentriert, zieht es ihn in Cybercafés, um sich Michael Jackson-Videos anzusehen und seinen Tanzstil zu studieren. Um sich diese Internetrecherche leisten zu können, spart er sich das Geld, das eigentlich für das Schulessen sein soll. „Sollte ich irgendwann einmal berühmt werden“, scherzt Sachin und nippt an seinem Weizenbier, „ist es das Ergebnis von mehr als 50 hungrigen Tagen“.

Seinen Leistungen schadet das nicht. Als einer der Klassenbesten schließt er die Schule ab und nimmt bald darauf ein Bachelorstudium zum Maschinenbauingenieur auf. „Das Beste, das mir einfiel“, sagt er und gesteht, dass er gar keinen rechten Draht zu der Materie hat. Doch egal, drei Jahre später hat er es geschafft – nicht, ohne ernüchtert in die Zukunft zu blicken. „Der Markt für Ingenieure in Indien ist dicht, die Konkurrenz ist zu groß“, weiß er.

Studium in Bad Honnef

Sein Vater sieht nur einen Ausweg: Sachin soll sein Heimatland verlassen und nach Deutschland gehen, um dort noch seinen Master zu machen. „Mein Vater hatte viele Gäste im Restaurant, die von den deutschen Universitäten schwärmten“, erinnert sich Sachin. Sein Vater überlässt ihm die Wahl des Fachs und auch des Studienortes – Sachin bewirbt sich erfolgreich für den internationalen Studiengang Transport & Logistics an der IUBH in Bad Honnef.

Von Deutschland hat der junge Inder erst einmal keine Ahnung, er weiß nicht, was ihn erwartet. Aber er sieht es als Prüfung an, die man mit dem entsprechenden Engagement auch meistern kann. Er wolle so viel wie möglich lernen, sich „immer verbessern, in allem“, sagt er mit ernstem Gesicht.

Es ist indes keine Phrase, von der er ausgeht, dass sein Gegenüber sie hören will. Mit der Kellnerin im Alten Fährhaus parliert er auf Deutsch, nicht perfekt, aber mehr als ausreichend. Und das, obwohl er erst im Februar vergangenen Jahres am Frankfurter Flughafen ankam. Erneut ein einschneidender Moment in seinem Leben, wie er sagt. „Was für ein tolles Gefühl“, erinnert er sich an den winterkalten Morgen seiner Ankunft, „ich konnte zum ersten Mal frei atmen“.

Tanzen an der Rheinpromenade

Zwar bezieht er dies eher auf die verglichen mit indischen Verhältnissen reine Luft, aber es bedeutete mehr. „Hier kann ich sein, wie ich will“, beteuert er. Und er merkt: Auch seiner angestrebten Karriere als Musiker kommt das Gastland entgegen. Beinahe wäre er in der Fußgängerzone von Bad Honnef für ein spontanes Konzert aufgetreten, doch er hatte kein passendes Outfit. Auch die Casting-Show-Formate im deutschen Fernsehen schätzt er, eine Teilnahme hat er sich für die nächsten Jahre vorgenommen.

Doch das ist im wahrsten Wortsinn Zukunftsmusik, erst einmal steht Büffeln auf seinem Lebensplan. Er zweifelt nicht daran, seinen Master auch wirklich abzuschließen. Mutmaßlich mit Bravour, wie auf seinen bisherigen Stationen auch. Und arbeiten, natürlich. Zwar reichte es bislang nur zu einem Nebenjob im dem Alten Fährhaus gegenüberliegenden Maritim Hotel, aber er gewinnt der Tätigkeit einiges ab.

„Ich lerne viel über die Hotellerie und Gastronomie“, sagt er und verrät, dass er irgendwann gerne ein indisches Restaurant in Deutschland eröffnen will. Oder indische Restaurants in seiner Heimat über die kulinarischen Vorlieben der Deutschen aufklären. „Denen ist das Essen in Indien oft zu stark gewürzt“, weiß Sachin, selbst ein passionierter Koch.

Und was ist mit der Sängerkarriere? „Ich bin da realistisch“, sagt er, noch sei er nicht gut genug. Obwohl er weiterhin hart daran arbeiten wird – und vielleicht wird er ja zufällig in den warmen Sommermonaten mal abends am Rhein entdeckt, wo er tanzen und singen übt. Er mag die schmucke Promenade, nur wenige Hundert Meter von seiner Wohnung entfernt. Dann aber vor Menschen – nicht mehr vor Kühen.

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