Festjahr „1700 Jahre Juden in Deutschland“ Sechs neue Stolpersteine in Oberdollendorf verlegt

Oberdollendorf · Sechs neue Stolpersteine erinnern in Oberdollendorf an die Schicksale zweier Familien. An der Bachstraße wurden fünf Gedenksteine für die jüdische Familie Keller in den Boden eingelassen. An der Rennenbergstraße erinnert erstmals ein Stein auch an einen vom NS-Regime politisch Verfolgten.

 Fünf Stopersteine erinnern in Oberdollendorf an Rosa, Erna, Ruth, Hilde und Edith Keller.

Fünf Stopersteine erinnern in Oberdollendorf an Rosa, Erna, Ruth, Hilde und Edith Keller.

Foto: Frank Homann

Neue Stolpersteine in der Stadt Königswinter. Der Anlass: das Festjahr 1700 Jahre Juden in Deutschland und 875 Jahre Juden in Königswinter. An der Bachstraße von Oberdollendorf wurden fünf Gedenksteine für die jüdische Familie Keller in den Boden eingelassen. An der Rennenbergstraße 42 erinnert nun erstmals ein Stein auch an einen vom NS-Regime politisch Verfolgten: Ludwig Klaes.

Bürgermeister Lutz Wagner verfolgte in seiner Ansprache vor dem ehemaligen Haus der Familie Keller die Geschichte jüdischen Lebens in Königswinter von der Ersterwähnung im Jahre 1146 über die Einrichtung eines jüdischen Friedhofs im 16. Jahrhundert bis zur Verfolgung im Dritten Reich. „Immer wieder gibt es Nachrichten von einer jüdischen Gemeinde“, erinnert Wagner.

Das jüdische Totengebet sprach Eli Harnik, nachdem Gabriele Wasser die Geschichte der Familie Isaak Keller erzählt hatte (siehe Kasten). Der Heimatverein Oberdollendorf hat die Spurensuche von Gabriele Wasser und Eli Harnik anlässlich der Verlegung der Stolpersteine für die Kellers in einer Broschüre herausgegeben.

Nach dem Ortswechsel zum ehemaligen Wohnhaus der Familie Klaes lud Pfarrer Georg Kalckert zum gemeinsamen Gebet ein. Erstmals in Königswinter wurde hier ein Stein für einen Mann verlegt, der wegen seiner potitischen Gesinnung von den Nazis verfolgt wurde. Hier konnte Heimatvereinschef Peter-Wilhelm Kummerhoff noch Zeitzeugen begrüßen – Else Herhold, Tochter von Ludwig Klaes, die nach der Zeremonie auch noch im Brückenhof über ihren Vater erzählte, und Karl Schumacher, der als Nachbarsjunge Erinnerungen vortrug und diese übrigens auch in einem Vorwort zum Heft „Lyrik aus der Gefängniszelle“ mit Gedichten von Ludwig Klaes niedergeschrieben hat.

Else Herhold hat die Originale der Gedichte und auch die Briefe ihres Vaters sorgsam gehütet; ihr Vater hatte die Zettelchen seiner Frau Anna bei den wenigen Besuchen im Gefängnis heimlich zugesteckt. Sie sprechen vom großen Schmerz, nicht bei seinen Lieben zu sein, und der Einsamkeit in der Gefängniszelle.

Ludwig Klaes, geboren 1900 in Thomasberg, war Mitglied der KPD und 1933 Kandidat bei der Gemeindewahl. Er wurde im März 1933 in Schutzhaft genommen und im November des Jahres wegen des Verteilens von Flugblättern zu einem Jahr Gefängnis und im Mai 1936 in einem weiteren Verfahren zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt. Ihm wurde vorgeworfen, zur linksintellektuellen Gruppe um den Bonner Wissenschaftler Walter Markov zu gehören, die mit einfachen Mitteln der staatlichen Propaganda entgegenwirkte, Infoschriften verteilte und eine Untergrundzeitschrift publizierte.

Karl Schumacher erinnerte sich: „Eine schwarze Limousine hielt vor unserem Nachbarhaus, drei Männer in langen Ledermänteln stiegen aus. Else wollte ins Haus, durfte aber nicht. Die Männer führten ihren Vater heraus, fuhren mit ihm weg. Nachmittags hörten wir, dass Herr Klaes verhaftet worden sei.“

Einmal durfte seine Tochter ihn in all den Jahren im Siegburger Gefängnis besuchen – anlässlich ihrer Kommunion; auch davon zeugt ein Gedicht. Zwei Söhne hatte das Ehepaar außerdem, Ludwig und Rudi. Als der Vater am 9. November 1940 aus dem Gefängnis entlassen worden war und die Rennenbergstraße hochging, begegnete er einem kleinen Jungen. „Bist du ming Rudichen?“ hatte er den Knaben gefragt und war mit ihm Hand in Hand nach Hause zurückgekehrt. Eine anrührende Szene, an die sich die beiden Zeitzeugen bewegt erinnerten.

Karl Schumacher wusste auch zu berichten, wie Ludwig Klaes, der als Kellner und Hausdiener in großen Hotels beschäftigt war, sich nach seiner Rückkehr bei den Nachbarn zurückmeldete. „Er war aufrecht und ungebrochen.“ Tochter Else erzählte, dass ihr Vater ihr Schach beigebracht hatte, dafür sorgte, dass Bruder Ludwig Geige erlernte. „Während der Haft hat mein Vater nach der Zwangsarbeit viel gelesen und gelernt, Englisch, Schach. Eigentlich war er Sozialist“, so die jetzt 93-Jährige. „Jeden Abend mussten wir Kinder nach seiner Rückkehr lesen.“

1942 wurde Ludwig Klaes für „bedingt wehrwürdig“ erklärt, im Januar 1943 einberufen in ein Strafbataillon der berüchtigten Strafdivision 999. Nach der Ausbildung im Schwarzwald wurde seine Einheit in Griechenland eingesetzt, dann in Russland. Sein letzter Brief stammt vom 27. Februar 1944 aus Odessa. „Wir haben nichts mehr von ihm gehört.“ Er gilt als verschollen.

1985 verstarb seine Frau Anna. Sohn Rudi, der das Anstreicherhandwerk erlernt hatte, lebte bei ihr, Ludwig studierte und wurde Direktor bei Siemens. Tochter Else bekam fünf Kinder, ihren Traum vom Lehrerinnenberuf, den eine Betreuerin bei dem aufgeweckten Mädchen entfachte, erfüllte sich nicht. Die Absage zur Aufnahmeprüfung beschied 1941: „Eine Ausbildung ist nicht möglich, der Vater ist politisch vorbelastet.“ Wieder anders ergangen ist es der Familie Keller – alle verloren in der NS-Zeit ihr Leben. Nachzulesen in dem neuen Heft des Heimatvereins.

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