Rodewalds Rolle und die RAF "Sein Leben geriet komplett durcheinander"

Königswinter · Fritz Rodewald trug 1972 zur Verhaftung von RAF-Terroristin Ulrike Meinhof bei. Sein Bruder Bernd erinnert sich

Mit dem Tod von Helmut Schmidt in der vergangenen Woche war auch die Rote Armee Fraktion (RAF) wieder ein Thema. Schließlich bestimmte der linke Terror, der seinen grausamen Höhepunkt im "Deutschen Herbst" 1977 fand, einen großen Teil von Schmidts Kanzlerschaft. Ansonsten geht diese Epoche der deutschen Zeitgeschichte - mal abgesehen von Jahrestagen - in der öffentlichen Wahrnehmung zumeist etwas unter. Das findet zumindest Bernd Rodewald.

"Die RAF-Zeit hat mehr als 25 Jahre die Bundesrepublik geprägt, das Thema gerät aber immer mehr in Vergessenheit", sagt er. In Nordrhein-Westfalen sei es noch nicht einmal mehr Unterrichtsthema, und auch die Museen werden seiner Meinung nach der Aufarbeitung der RAF-Geschichte nicht wirklich gerecht. Rodewald möchte das Bewusstsein an die Terroristen und ihre Opfer wachhalten. Der 71-Jährige, der seit mehr als 20 Jahren in Königswinter-Stieldorf wohnt, hat dafür zudem einen persönlichen Grund: Er möchte auch das Andenken an seinen Bruder bewahren.

Sein im Jahr 2009 verstorbener Bruder Friedrich - genannt Fritz - Rodewald galt als Hassfigur der RAF und Verräter von Ulrike Meinhof. Er hatte am 15. Juni 1972 dem Landeskriminalamt (LKA) den entscheidenden Hinweis gegeben, der zur Verhaftung der Führungsfigur der zwei Jahre zuvor gegründeten Terrorgruppe führte.

Einen Tag zuvor, am 14. Juni 1972, hatte eine sogenannte Quartiermacherin bei Fritz Rodewald und seiner damaligen Freundin und späteren Ehefrau Ulrike Winkelvoß in deren Wohnung in Langenhagen bei Hannover angefragt, ob am folgenden Tag zwei Übernachtungsgäste bei ihnen unterkommen könnten. Da Rodewald hin und wieder desertierenden US-Soldaten bei der Flucht behilflich und daher bekannt dafür war, vorübergehend Leute bei sich aufzunehmen, sagte er ohne Weiteres zu. "Er hat zuerst keinen Verdacht geschöpft", ist sich sein Bruder Bernd noch heute sicher. Wohl auch deshalb, weil sich Fritz Rodewald als Funktionär in der Lehrergewerkschaft GEW selbst mehrfach von der RAF abgegrenzt und deren Ansichten und mörderischen Akte verurteilt hatte. Dessen Freundin jedoch hatte kein gutes Gefühl bei der Sache, und so diskutierten die beiden in der Nacht über den bevorstehenden Besuch. Schließlich waren genau zwei Wochen zuvor, am 1. Juni 1972, bereits die anderen Terroristen der ersten RAF-Generation, Andreas Baader und Holger Meins, in Frankfurt festgenommen worden.

Am 7. Juni 1972 ging Gudrun Ensslin in Hamburg den Fahndern ins Netz. Die RAF war nach der sogenannten Mai-Offensive mit den Sprengstoffanschlägen und den darauffolgenden Verhaftungen also mehr als präsent - und Ulrike Meinhof die wohl meistgesuchte Frau in der Bundesrepublik. Und so wies Rodewald an jenem 15. Juni Beamte des LKA darauf hin, dass er befürchte, RAF-Mitglieder könnten bei ihm übernachten. Dass am Ende Ulrike Meinhof persönlich bei ihm in Langenhagen Unterschlupf finden wollte, war für den Rest seines Lebens eine unheimliche Hypothek.

Als Fritz Rodewald an jenem Tag gegen 17 Uhr nach Hause kam, verhaftete die Polizei, die zuvor das Haus observiert hatte, in einer nahen Telefonzelle das RAF-Mitglied Gerhard Müller. Meinhof wurde von den Polizeibeamten aus der Wohnung geführt, zu der sie sich zuvor Zugang verschafft hatten.

In Meinhofs Handtasche wurde eine Liste mit Adressen gefunden, darunter handschriftlich hinzugefügt die Anschrift Rodewalds. Zudem hatte sie Pistolen, Bomben und Geldbündel bei sich. Den Moment der Verhaftung sahen Millionen Fernsehzuschauer in den Nachrichten, der Name Rodewald auf dem Klingelschild war deutlich zu lesen.

"Sein Leben ist dadurch komplett durcheinander geraten", sagt Bernd Rodewald, der damals als jüngster von vier Brüdern mit seinem älteren Bruder telefonisch in engem Kontakt stand. "Er hat fast alles verloren, was er hatte", erinnert er sich. Der von der RAF und auch vielen Linken als Verräter verurteilte Fritz Rodewald tauchte wegen der Gefahr eines Anschlags auf ihn jahrelang in Spanien unter, arbeitete dort unter anderem als Reiseleiter. Die Polizei bot ihm mehrfach eine neue Identität an, doch er lehnte ab. Einige Jahre später, zurück in Deutschland, versuchte er sich in verschiedenen Berufen, musste aber sowohl beruflich als auch privat mit Schikanen und Ablehnung zurecht kommen.

"Das hat ihn sehr betroffen gemacht. Er hatte öfter Selbstmordgedanken, denn ganz frei von Schuldgefühlen war er nicht", sagt Bernd Rodewald, der 2011 die von seinem Bruder begonnene Autobiografie "Von Brüchen und Sprüngen" vollendete und herausgab. Vor allem der Selbstmord von Meinhof im Stammheimer Gefängnis im Jahr 1976 habe ihn schwer getroffen. Bleibt die Frage, ob Bernd Rodewald selbst - immerhin zu der Zeit beim Bundesverband der Volksbanken Raiffeisenbanken in Düsseldorf, später in Bonn tätig - wegen seines Namens nie Sorge um sein Leben hatte? "Angst hatte ich nicht. Es wurden zwar immer mal wieder Bedenken von anderer Seite geäußert, aber ich hatte ja keinerlei Bezug zur RAF außer der Namensverbindung. Räumlich und gedanklich war ich recht weit weg davon", sagt er rückblickend. Der dramatische Höhepunkt des RAF-Terrors 1977 mit den Morden an Buback, Ponto und Schleyer sowie der Entführung der Lufthansa-Maschine "Landshut" weckte bei ihm und der ganzen Familie jedoch noch einmal Erinnerungen an jene Ereignisse im Juni 1972 und deren Folgen für ihren Fritz.

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