Schlaganfallpatienten im Rhein-Sieg-Kreis Selbsthilfegruppe Gehirn: Das Schicksal gemeinsam meistern

Rhein-Sieg-Kreis · Heinz Wolter ist Ansprechpartner der Selbsthilfegruppe Gehirn, die sich vor allem an Schlaganfallpatienten im Rhein-Sieg-Kreis. richtet. Er selbst erlitt mit 19 Jahren einen Schlaganfall und kämpfte sich ins Leben zurück.

 Zeichnet gerne zur Entspannung: Heinz Wolter steht Menschen zur Seite, die wie er einen Schlaganfall erlitten haben.

Zeichnet gerne zur Entspannung: Heinz Wolter steht Menschen zur Seite, die wie er einen Schlaganfall erlitten haben.

Foto: Frank Homann

Es war ein Tag wie jeder andere, an dem sich das Leben für Heinz Wolter für immer änderte. Der damals 19-Jährige wachte morgens auf und ging zur Toilette. Doch plötzlich brach er bewusstlos zusammen. Atemstillstand. Reanimation. „Die Ärzte machten meinen Eltern keine großen Hoffnungen auf ein Überleben“, erzählt er. Als er nach Tagen im künstlichen Koma im Krankenhaus wieder aufwachte, war sein rechter Arm mit Lederriemen ans Bett gebunden, Schläuche steckten in seinem Körper. Er konnte nicht richtig sehen, nicht vernünftig sprechen, sich kaum bewegen. Die niederschmetternde Diagnose: ein Hirnzentrum irreparabel zerstört aufgrund einer plötzlichen Blutung in die Hirnhäute. Die Folge: halbseitige spastische Lähmung mit Verlust des Tastsinns linksseitig, Sprach- und Konzentrationsstörungen, Wortfindungsstörungen und Sehstörungen.

Quasi Endstation für einen jungen Mann mit 19 Jahren. „Wenn ich mich damals nur auf die Ärzte verlassen hätte, dann wäre ich heute vermutlich nicht mehr. Oder allenfalls ein Pflegefall der höchsten Stufe“, sagt der 65-Jährige. Doch er hat sich damals nicht mit dem Schicksal abgefunden, „ich habe es akzeptiert“. Dass er nicht nur überlebt hat, sondern in ein eigenständiges Leben zurückkehren konnte, ist seinem eisernen Willen und Kämpferherz zu verdanken. Heute hilft Heinz Wolter anderen Betroffenen: Er ist Ansprechpartner der Selbsthilfegruppe Gehirn für den Rhein-Sieg-Kreis.

Rund 270.000 Menschen pro Jahr erleiden in Deutschland einen Schlaganfall

Etwa 270.000 Menschen pro Jahr erleiden in Deutschland einen Schlaganfall. Hinzu kommt eine Vielzahl von Menschen, die nach Unfällen oder Tumoren Schädigungen im zentralen Nervensystem haben. „Über die körperlichen Folgen ist vieles bekannt. Selten aber wird über die seelischen Schäden gesprochen. Dabei wäre das so wichtig“, so Wolter. 28 Männer und Frauen treffen sich in der Selbsthilfegruppe regelmäßig zum Gedanken- und Erfahrungsaustausch sowie zu gemeinschaftlichen Aktivitäten. Der Jüngste in der Gruppe ist 36 Jahre alt und nach einem Schlaganfall rechtsseitig gelähmt. „An uns können sich alle Betroffenen und ihre Angehörigen nach einem Schlaganfall, Hirnblutungen, Hirntumoren, einem Schädel-Hirntraume oder anderen Hirnverletzungen wenden“, so Wolter. Gerade die Angehörigen wüssten meist nicht, wie sie mit der Situation umgehen sollten. Warum Betroffene zum Beispiel oftmals mit Aggressivität reagieren. „Das geschieht aus reiner Hilflosigkeit“, weiß Wolter.

Der Krankenhausaufenthalt sei für ihn der reinste „Horror“ gewesen, Reha-Kuren erlebte er wie Gefängnisaufenthalte: „So stellte ich mir die Altenheimunterbringung vor“. Die Behandlung empfand er als erniedrigend: „Sicher, ich musste vieles wie ein Kind wieder neu lernen. Aber muss man deshalb wie ein Kind behandelt werden.“ „Ich alleine“, habe er immer wieder gesagt, „um nicht immer geholfen zu bekommen“. Den Rollstuhl lehnte er ab. Heute geht er wieder, auch wenn jeder Schritt für ihn „Spitzensport“ ist.

Aus Eigeninitiative heraus Umschulungen und Weiterbildungen gemacht

Er machte aus Eigeninitiative heraus Umschulungen und Weiterbildungen, fasste beruflich wieder Fuß, gründete eine Familie. Er lernte Selbsthilfetechniken, „die selbstständig machen“. Und er absolvierte Ausbildungen im Gesundheitsbereich, praktiziert heute das, was ihm selbst geholfen hat: alternative Behandlungsmethoden wie die DORN/Breuß-Methode, Feldenkrais oder Raiki. Sein Credo: „Um deine Krankheit kümmern sich – so ist es staatlich geregelt – die Mediziner und die Pharmaindustrie, davon leben die. Um deine Gesundheit musst Du Dich schon selber kümmern.“ Nach zahlreichen ehrenamtlichen Tätigkeiten, unter anderem als Vertrauensmann von Schwerbehinderten und als Ehrenamtlicher Richter am Landessozialgericht in Essen, rief er im Januar dieses Jahres die Selbsthilfegruppe Gehirn ins Leben, „weil der selbst Betroffene den ebenfalls Betroffenen, Angehörigen und Unterstützer auf gleicher Augenhöhe am besten verstehen und beratend unterstützen kann“.

Wolter weiß aus Erfahrung, wie sehr Betroffene und Angehörige nach der Diagnose unter Strom stehen: „Plötzlich tauchen viele Fragen auf und man weiß nicht, wie es weitergehen soll. Es ist alles Mögliche zu regeln, es gibt tausend Termine. Und dann müssen auch noch Anträge gestellt werden, deren Bescheide wiederum Konsequenzen für die Zukunft haben.“ In der Selbsthilfegruppe soll das Schicksal gemeinsam bewältigt, sollen eigene Kräfte neu mobilisiert werden. Ziel ist es, durch Erfahrungsaustausch „individuelle praxisnahe Ideen für die Wiedererlangung eines zielgerichteten, selbstbestimmten, hoffnungsvollen Lebens als Hilfe zur Selbsthilfe zu vermitteln“.

Die Gruppe trifft sich an jedem ersten Donnerstag im Monat, 16 Uhr, im Rheinhotel Loreley in Königswinter, so am 7. Dezember. Info: www.selbsthilfegruppe-gehirn.de oder bei Heinz Wolter,01 51/61 41 00 11 (Die. und Do. von 15 bis 18 Uhr).

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort