Lesung in Dollendorf "So andächtig kenne ich die Rheinländer gar nicht"

KÖNIGSWINTER · Wenn die Einladung zu einer Lesung den Titel "Amore Amore - Italienische Geschichten über die Liebe" trägt, mag bei dem ein oder anderen leicht der Gedanke an Kitsch aufkommen.

 Was ist die Liebe? Reinhold Joppich (links) und Mario Di Leo versuchten im Gemeindezentrum Antworten zu geben.

Was ist die Liebe? Reinhold Joppich (links) und Mario Di Leo versuchten im Gemeindezentrum Antworten zu geben.

Foto: Frank Homann

Die evangelische öffentliche Bücherei Dollendorf hatte in Kooperation mit der Dollendorfer Bücherstube unter eben einem solchen Motto zu einem Abend eingeladen, bei dem Reinhold Joppich las und Mario Di Leo auf seiner Gitarre "canzoni d'amore" spielte.

Wie häufig bei den Veranstaltungen dort war das Gemeindezentrum auch am Abend der italienischen Liebe bis auf den letzten Platz besetzt. Reinhold Joppich, der schon mehr als 600 Leseabende bestritten hat, setzte sich an seinen Tisch auf der Bühne und wunderte sich über die gespannte Stille in den Zuschauerreihen: "So andächtig kenne ich die Rheinländer gar nicht." Anne Alfen, die Inhaberin der Dollendorfer Bücherstube, begrüßte die Gäste und stellte die Frage, die die Menschen schon seit Jahrhunderten beschäftigt: "Was ist die Liebe?"

Unabhängig davon, wie die Antwort ausfiele, "wir kriegen einfach nicht genug von ihr" , so Alfen, "und deshalb haben wir zwei Herren eingeladen, die sich in diesem Metier besonders gut auskennen." "In der Theorie und Praxis", so Joppich mit einem Augenzwinkern. "Naja, mehr Theorie als Praxis", wendete Di Leo ein. Und "weil Liebe durch den Magen geht", hatten Alfen und Rosemarie Gesche von der evangelischen öffentlichen Bücherei Dollendorf italienische Köstlichkeiten und Rotwein vorbereitet. Auch eine Spendenbox stand bereit, deren Einnahmen den Opfern des Erdbebens in Nepal zugute kommen sollen.

Und so begann der Abend mit einer kurzen Einführung Joppichs in die italienische Liebe: "Die Liebe in Italien ist etwas ganz anderes als in Deutschland. Sie ist leidenschaftlich, melancholisch, aufrührerisch und kann beizeiten ganze Gesellschaftskreise auseinanderreißen und wieder zusammenbringen", lautete die Charakterisierung Joppichs. Verallgemeinerungen und das Spiel mit Klischees gehörten an diesem Abend dazu - der erwartete Kitsch jedoch nicht. Das erste Werk aus dem gelesen wurde: ein Liebesmärchen aus dem 20. Jahrhundert von Italo Calvino, übersetzt und modernisiert, und doch hatte es nichts von seiner Wirkung verloren.

In der Geschichte wird mit einem schwarzen Humor gestorben, wie es bei den Grimms üblich war. Es ist die Rede von entzückenden Jungfrauen, holden Damen und heiratswilligen Königen. Umso stärker der Kontrast zum nächsten Stück "Noch ein Schuft". Eine zeitgenössische Kurzgeschichte der Autorin Rossana Campos über das Klischee italienischer Muttersöhnchen, in dem ein postmoderner Ausdruck den nächsten jagt: "Idioten", "Typen, die starren", "positive Vibrationen" oder das "sich maßvolle vollschlagen" auf Partys - das Publikum honorierte die außergewöhnliche Sprache mit Gelächter und Applaus.

Di Mario indes schaltete sich zwischen den Leseelementen ein und zeigte an seiner Gitarre die mal humoristisch vergnügten, mal melancholischen Nuancen italienischer Liebe. Und als er "Bella Ciao", eines der Lieder der italienischen Partisanen im Zweiten Weltkrieg, interpretierte, sah wohl jeder Zuhörer im Geiste ein Paar, dass sich auf einem umkämpften Revolutionsplatz eng umschlungen küsste.

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