Die Armut nimmt zu Unterstützung der Soziallotsen in Königswinter ist immer häufiger gefragt

Königswinter · Wer arm ist, hat häufig Probleme, den Alltag zu regeln. Diese Erfahrung machen die Ehrenamtlichen der Lotsenpunkte in Königswinter. Und die Zahlen steigen.

 Bei einem Treffen besprechen die Lotsinnen und Lotsen ihre Erfahrungen aus der ehrenamtlichen Begleitung im „Netzwerk für Hilfe“.

Bei einem Treffen besprechen die Lotsinnen und Lotsen ihre Erfahrungen aus der ehrenamtlichen Begleitung im „Netzwerk für Hilfe“.

Foto: Frank Homann

Soziale Armut hat viele Gesichter, diese Erfahrung machen die ehrenamtlichen Mitarbeiter der Lotsenpunkte in Königswinter jede Woche aufs Neue. Arm sein heißt nicht nur, mit wenig Geld auskommen zu müssen und von der sozialen Teilhabe ausgeschlossen zu sein – wer arm ist hat häufig auch Probleme, den Alltag und alles was damit zusammenhängt regeln zu können. Vielen Betroffenen wachsen die Sorgen und Probleme über den Kopf und sie wissen nicht, wo sie konkrete Hilfe erhalten können.

Ein offenes Ohr und eine erste Ablaufstelle finden sie bei ehrenamtlichen Lotsen wie Gerd Wiebe oder Helga Bogdanski. Einmal wöchentlich stehen sie in den Lotsenpunkten in Oberpleis und in der Altstadt als Ansprechpartner zur Verfügung – und das seit drei Jahren. Im „Netzwerk der Hilfe“ in Königswinter haben sich die rund 20 ehrenamtlichen Soziallotsinnen und Soziallotsen inzwischen zu einem wichtigen Baustein entwickelt – stets in enger Abstimmung mit der Stadt. Um Rat und Hilfe noch niederschwelliger anbieten zu können, gehen die Lotsen jetzt direkt dorthin, wo bedürftige Menschen anzutreffen sind: Seit September gibt es zusätzlich zu den Sprechzeiten in den Lotsenpunkten eine Sprechstunde bei der Königswinterer Tafel.

Sprechstunde auch bei der Königswinterer Tafel

„Leute, die kein Geld haben, sich Lebensmittel zu kaufen, haben oft auch Probleme in anderen Bereichen“, erklärt Klaus Fömpe, Koordinator der ehrenamtlichen Lotsen. Insbesondere wenn es um Behördenangelegenheiten wie Formulare oder Anträge und sonstigen Schriftverkehr geht, seien viele Menschen überfordert.

„Viele Klienten können sich zwar mündlich gut artikulieren, haben aber große Probleme, das auch schriftlich zu tun“, berichtet Lotsin Inge Seifert. So saß bei ihr kürzlich eine verzweifelte Frau, die nicht wusste, wie sie die Ratenzahlungen an einen Online-Händler wieder stoppen konnte, der per Bankeinzug regelmäßig Geld vom Konto abbuchte, obwohl der fällige Betrag beglichen war. Seifert nannte ihr die erforderlichen Schritte und half ihr auch beim Formulieren eines Briefes. „Von so etwas wie einem Einschreiben hatte sie noch nie gehört.“

Betroffene sind auch bei Behördenfragen überfordert

Manchmal führt das Gespräch mit den Lotsen aber auch nicht zum Ergebnis, dass sich die Ratsuchenden erhofft haben. „Eine behinderte Klientin bat um Unterstützung, um einen Antrag auf Befreiung von der Rundfunkgebühren zu stellen“. Lotse Ulrich Richard machte sich schlau und fand heraus, „dass die Frau gar nicht die erforderlichen Voraussetzungen für eine Befreiung erfüllte“. Zwar hätte man ihr keine Hoffnung machen können, dass ein Antrag Aussicht auf Erfolg hat, am Ende sei sie aber doch sehr froh gewesen, dass ihr jemand erläutert hat, wieso.

Auch wenn die Lotsen stets mit viel Engagement und Mitgefühl ihrem Ehrenamt widmen, ist es wichtig, eine innere Distanz zu wahren, „damit einem manche Fälle nicht nach Wochen zuhause noch schlaflose Nächte bereiten“, so Fömpe. Das lernen Lotsen auch in einer Grundlagenschulung, die alle Neueinsteiger absolvieren. Auch spielt der Austausch mit anderen Mitstreitern eine wichtige Rolle, weshalb sich alle Lotsen einmal regelmäßig zu Gesprächen treffen – wie jüngst im Hotel Bergischer Hof. Hier kommen auch Fälle zur Sprache, die die Ehrenamtler besonders betroffen gemacht, verunsichert oder auch schonmal ratlos zurückgelassen haben.

Aufkommen im Tal höher als am Berg

Wieviele Menschen in die Sprechstunden kommen, sei unterschiedlich: „Manchmal sind es zwei, manchmal sechs“, so Lotse Thomas Flink. Grundsätzlich sei das „Klientenaufkommen im Talbereich deutlich höher“ als in Oberpleis – was auch den Sozialdaten entspricht, die die Leiterin des Geschäftsbereichs „Soziales und Generationen“, Yvonne Gozdzik, vorstellte (siehe Infokasten). Die Pandemie hat auch die Arbeit der ehrenamtlichen Lotsen zurückgeworfen: Seit Corona würden viele Bedürftige den Weg in die Präsenzsprechstunden nicht mehr finden, „als wäre die persönliche Hürde höher geworden, sich Hilfe zu holen“, so Flink.

Die für die Lotsenpunkte im Rhein-Sieg-Kreis zuständige Leiterin der „Stabsstelle Gemeindecaritas“ des Caritasverbandes Rhein-Sieg, Claudia Gabriel, geht davon aus, dass die Zahl der Menschen, die Rat und Hilfe suchen, wieder zunehmen wird: „Wir haben im letzten halben Jahr bereits festgestellt, dass aufgrund der steigenden Energiepreise und der Inflation auch Menschen zu uns kommen, die vorher keine Beratung benötigt haben“. Es gebe Klienten, die völlig verzweifelt seien, weil sie am Ende des Monats nicht wüssten, „wie sie die Butterbrotdose ihrer Kinder füllen sollen“.

In den Lotsenpunkten vor Ort würden diese Menschen erstmal ein offenes Ohr finden und falls erforderlich direkt an Fachberatungsstellen weitervermittelt. „Wichtig ist eine Begegnung auf Augenhöhe. Wir machen uns mit den Menschen gemeinsam auf den Weg.“ Eine große Hilfe sei es, dass in den Lotsenpunkten Menschen arbeiten, die unterschiedliche Kompetenzen und Erfahrungen aus dem Berufs- und Privatleben einbringen können. So gibt es in Königswinter mittlerweile auch das Projekt Lern-Lotsen, bei dem Ehrenamtler Schulkinder in Abstimmung mit den Schulen Hilfe beim Lernen geben.

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