Interview mit Wolfgang Kaes "Vermisste sitzen mit am Tisch"

Wolfgang Kaes stellt seinen neuen Roman "Spur 24" auch im Siebengebirge vor. Der Schriftsteller und Chefreporter des General-Anzeigers arbeitet darin den realen Fall um das Verschwinden der Rheinbacherin Trudel Ulmen auf. Philipp Königs sprach mit ihm über die Hürden beim Schreiben und die enge Bindung zur Opferfamilie.

 Wolfgang Kaes hat ein neues Buch herausgebracht.

Wolfgang Kaes hat ein neues Buch herausgebracht.

Foto: privat

Ihr Roman beruht auf wahren Begebenheiten. Warum haben Sie sich nicht für eine Dokumentation entschieden, sondern für ein fiktives Buch?
Wolfgang Kaes: Ich schreibe nun mal Romane und keine Sachbücher. Die sieben Bücher, die ich bislang geschrieben habe, beruhen aber allesamt auf realen Vorlagen.

Können Sie denn Beispiele nennen, an welchen Stellen Sie fiktiv geworden sind und warum?
Kaes: Das werde ich nicht tun. Nur so viel dazu: Manchmal sind es gerade die Szenen, die kein Mensch für wahr und möglich hält, die sich genau so zugetragen haben.

Sie haben in Interviews immer wieder betont, dass Sie während der Recherchen zu den Angehörigen von Trudel Ulmen ein enges Verhältnis aufgebaut haben. Hat das Ihre Arbeit beim Schreiben verändert?
Kaes: Es war nicht einfach. Schwieriger als bei allen bisherigen Büchern. Ich bin bis heute mit der Opferfamilie in regelmäßigem Kontakt, wir haben auch diese Woche miteinander telefoniert. Aus diesem Grund habe ich mich für eine weibliche Hauptfigur entschieden, um mich selbst emotional zu distanzieren, und die Handlung in eine fiktive Kleinstadt namens Lärchtal verlegt. Die Familie hatte mich vor zwei Jahren gefragt, ob ich nicht über den Fall ein Buch schreiben möchte. Ich selbst war mir gar nicht so sicher, ob ich die ganzen Akten mit meinem Recherchematerial wieder aus dem Regal herausholen wollte.

Warum hat die Familie ein Buch über diesen Fall haben wollen?
Kaes: Damit Trudel Ulmen und das Schicksal der Familie nicht in Vergessenheit geraten.

Haben Sie Trudel Ulmens Bruder das Ergebnis ihrer zweijährigen Arbeit vor Erscheinen gezeigt?
Kaes: Bevor das Buch erschienen ist, konnte er es selbstverständlich lesen. Er ist sehr zufrieden mit dem Ergebnis.

Wenn Sie auf Lesetour sind, lesen Sie dann ausschließlich oder treten Sie auch in einen Dialog?
Kaes: Das kommt in der Regel automatisch. Es besteht anschließend immer genügend Zeit, um Fragen aus dem Publikum zu beantworten und zu diskutieren. Ganz wichtig ist mir, den Blick dafür zu öffnen, dass es viele Menschen gibt, die damit klarkommen müssen, dass Angehörige plötzlich verschwinden. In Deutschland werden jährlich rund 100.000 Menschen vermisst gemeldet, etwa 3000 von ihnen bleiben dauerhaft vermisst. Die Angehörigen erleben ein nicht enden wollendes Martyrium, weil ihnen die üblichen Rituale des Trauerns und Abschiednehmens versagt bleiben. Die Vermissten sitzen weiterhin jeden Tag als Schattenmenschen mit am Tisch.

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