Costa Concordia Wie Gert und Christine Hammer aus Königswinter das Unglück erlebt haben

KÖNIGSWINTER · Nebel hüllt die Felder rund um Königswinter-Rauschendorf ein, die Sonne lugt hervor. Ein Segensspruch steht an der Haustür von Gert und Christine Hammer, er passt schicksalhaft: "AD 2008 Jesus Christus spricht: Ich lebe und Ihr sollt auch leben." Das Ehepaar Hammer lebt - es ist mit dem Schrecken davon gekommen, hat die Havarie der "Costa Concordia" nahezu unbeschadet überstanden.

 Der Rettungsweg: Christine Hammer zeigt auf die Leiter, mit Hilfe derer sie und ihr Mann das auf der Seite liegende Schiff verlassen konnten. Anschließend gelangten sie in ein Schlauchboot der Polizei.

Der Rettungsweg: Christine Hammer zeigt auf die Leiter, mit Hilfe derer sie und ihr Mann das auf der Seite liegende Schiff verlassen konnten. Anschließend gelangten sie in ein Schlauchboot der Polizei.

Foto: Frank Homann

Die beiden zählen zu den etwa 500 deutschen Passagieren, die sich an Bord des Unglücksschiffes befanden und unter dramatischen Umständen gerettet wurden. Die einwöchige Reise war ein Geschenk des Bezirksausschusses ihrer Kirchengemeinde zum 65. Geburtstag der ehrenamtlich engagierten Christine Hammer. Am Sonntag sprach mit beiden Uta Effern-Salhoub.

Wie geht es Ihnen jetzt? Sind Sie verletzt?
Christine Hammer: Mir tun die Hüfte weh und meine Beine, aber das ist vermutlich nur eine Verspannung. Außerdem habe ich zwei kleine Schürfwunden an der Hand und am Bein, ein paar blaue Flecken. Mein Mann hat nichts. Wir haben die Nacht gut geschlafen, von etwa 1 Uhr bis morgens um halb neun. Um 9 Uhr heute bin ich aufgestanden und dann um 11 Uhr zum Gottesdienst gefahren. Und ich habe gebetet: Gott sei Dank, wir leben.

Wie hatte die Kreuzfahrt begonnen?
Christine Hammer: Oh, es war alles wunderbar. Wir waren am Sonntag vor einer Woche nach Barcelona geflogen und gingen am Montag dort an Bord. Alles war prima. Die Tage auf dem Mittelmeer vergingen wie im Flug, wir hatten eine schöne Innenkabine auf Deck zehn, ein Superwetter, das Essen war fantastisch, die Besatzung sehr freundlich. Den Freitag verbrachten wir in Rom, standen früh auf und bummelten den ganzen Tag durch die Stadt. Es war mild und sonnig, um 18.15 Uhr waren wir zurück an Bord, freuten uns aufs Abendessen.

Wie haben Sie den Moment der Kollision mit dem Felsen erlebt?
Christine Hammer: Es war so gegen 21.30 Uhr. Wir saßen in diesem riesigen Restaurant Milano, das schätzungsweise 700 Passagiere fasst, mein Mann hatte gerade die Vorspeise mit Tintenfischringen gegessen. Was ich auf dem Teller hatte, weiß ich nicht mehr - als es plötzlich fürchterlich krachte. Das Schiff bekam leicht Schlagseite nach links. Und wir saßen auf der linken Saalseite. Das gesamte Geschirr kam uns entgegen, Teller, Flaschen, Gläser. Ich bin sofort aufgesprungen und reflexartig weggelaufen. Ich habe völlig instinktmäßig gehandelt. Ich dachte, mein Mann käme mir hinterher.
Gert Hammer: Das tat ich aber nicht, sondern stellte die Weinflaschen wieder hin und blieb sitzen. Ich dachte: Es wird gleich weitergehen. Aus irgendwelchen Gründen macht der Kapitän halt ein ruppiges Wendemanöver. Ich bin nicht so emotional wie meine Frau - eine Eigenschaft, mit der ich früher schon meine Mitarbeiter nervös gemacht habe. Je brenzliger eine Situation wird, desto ruhiger werde ich. Die Bediensteten im Restaurant sagten, man solle nicht herumlaufen - wegen der ganzen Scherben.

Wie haben Sie einander wiedergefunden?
Christine Hammer: Ich bin durchs Treppenhaus auf die vierte Etage gelaufen, wo sich die Rettungsboote befinden. So solle man sich im Notfall verhalten, hatte es zu Beginn der Fahrt bei den Sicherheitsinstruktionen geheißen. Klar war: Man begibt sich aufs Außendeck auf der vierten Etage und geht auf keinen Fall in die Kabine zurück.
Gert Hammer: Ich bin noch eine Viertelstunde im Restaurant sitzen geblieben und habe dann gedacht: Ich gucke mal, wo meine Frau ist. Sie stand auf Deck vier links vom Treppenausgang, ich bin allerdings rechts herumgegangen und habe das Vorderschiff umrundet, bis ich sie schließlich auf der linken Seite des Ausgangs am ersten Rettungsboot gefunden habe.

Gab es Durchsagen?
Christine Hammer: Zunächst hieß es etwa viermal in zwei Stunden: "Wir haben technische Probleme, aber wir haben alles im Griff." Danach, also zwei Stunden nach dem Knall, gab es einen Sirenenalarm. Da hatte ich bestimmt schon eine Stunde draußen gestanden. Meine Schuhe hatte ich da noch an, außerdem Jeans, Bluse und einen Pulli über die Schultern geworfen. Die Schuhe habe ich später ausgezogen, weil ich dachte, ich hätte so beim Klettern über die Treppe mehr Halt. Die Kälte hat mir nichts ausgemacht.

Dann spitzte sich die Lage zu...
Christine Hammer: Erst nach dem ersten Alarm fing das Personal an, die Rettungsboote mit Passagieren zu füllen und das auch nicht sofort. Jedes Mal, wenn das Schiff sich etwas senkte, schrien die Leute, das Licht ging an und aus, irgendwann ging es ganz aus. Wir wurden mit 38 Personen in ein Rettungsboot gelotst, die Costa-Mitarbeiter versuchten, es mit Stangen von der Bordwand wegzudrücken - vergebens. Das Boot war schon zu sehr in Schräglage, hatte sich verkeilt und konnte nicht mehr zu Wasser gelassen werden. Wir mussten wieder raus aus unserem Rettungsboot. Und da fing die Panik an.
Gert Hammer: Es hieß nun, man solle zur Vorderseite des Schiffes gehen. Einige Leute drängten nach vorne, weil sie dachten, sie wären schneller, wenn sie an der Reling entlanghangelten, rutschen jedoch ab, fielen auf andere und verletzten sich und andere. Ich habe ein paar Leute aufgefangen, die mir entgegenkamen. Viele drängten und riefen "avanti, avanti". Wir fühlten uns wie in der Falle, machten alle zehn Minuten einen Schritt nach vorne. Das Schiff neigte sich immer mehr, es war abenteuerlich. Es gab nur eine feste Leiter, um auf die Außenwand des Schiffes zu gelangen, da kletterten wir hoch. Ich wäre beinahe die Bordwand heruntergerutscht.
Christine Hammer: Ich bin nicht schwindelfrei, habe gebetet und mir gesagt: Was andere schaffen, das schaffst du auch.

Fühlten Sie Panik in sich aufsteigen?
Christine Hammer: Man hat unendliche Angst und kein Zeitgefühl. Ich habe die ganze Zeit gebetet, dass wir alle heil herunterkommen. Es ging einfach nur ums Überleben. Ich zitterte, mir war kalt. Mein Mann hingegen blieb stets gelassen, der hat da oben sogar ein Pfeifchen geraucht. Über Strickleitern rutschten wir auf dem Gesäß über die Außenwand des Schiffes. An der Unterseite des Schiffes ging es eine Strickleiter hinunter, bis uns ein kleines Polizei-Schlauchboot aufnahm.
Gert Hammer: Schließlich erreichten wir mit einem zweiten Schlauchboot die Insel Giglio. Um 4.50 Uhr habe ich eine SMS an unsere Tochter Maja in Bingen geschrieben, damit sie sich nicht ängstigt, wenn sie morgens die Nachrichten hört: "Schiff abgesoffen, wir gerettet. Herzliche Grüße Gert und Christine." Das Handy hatte ich zum Glück in der Hosentasche, außerdem hatte ich meine Pfeifentasche mit Kreditkarten und Personalausweis dabei.

Wie haben Sie die Helfer erlebt?
Gert Hammer: Ganz besonders nett war ein Bewohner der Insel Giglio, der sah, dass meine Frau keine Schuhe anhatte. Er zog seine eigenen zünftigen Schnürschuhe aus und sagte: "Bitte, das macht nichts, ich wohne hier und habe noch mehr Schuhe zu Hause." Auf der Insel herrschte großes Gewusel, bis wir dann zum Hafen Santo Stefano übersetzten.

Was wurde aus Ihrem Gepäck?
Gert Hammer: Alles ist mit der Kabine untergegangen, mein Lieblingshemd ist weg, die Kamera auch. Aber diese Dinge sind ersetzbar. Meine Frau hatte keinerlei Papiere, was jedoch kein Problem darstellte. Mitarbeiter der Deutschen Botschaft in Rom haben sich später im Hotel sehr gut um uns gekümmert und für den Rückflug nach Frankfurt am Samstagabend alles in die Wege geleitet. Um 22.45 Uhr waren wir zurück in Siegburg. Allerdings hatten wir keinen Hausschlüssel. Unser Schwiegersohn kam aus Bingen und hat einen Ersatzschlüssel mitgebracht.

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