Aufnahme von Flüchtlinge "Eine Tagesstruktur ist wichtig"

Linz · Anfang des Jahres haben Bruno Kirchhof und seine Frau zehn Flüchtlinge in ihr Haus aufgenommen. Derzeit kommen in der Verbandsgemeinde Linz insgesamt 35 Menschen aus Ländern unter, in denen Kriege das Alltagsleben abgelöst haben - Tendenz steigend, wie überall in Deutschland.

 Gut angekommen: Linzer Flüchtlinge luden ihre Gastgeber gestern zu einem Dankeschön-Kaffee ein - natürlich war auch Bruno Kirchhof dabei (rechts im Bild).

Gut angekommen: Linzer Flüchtlinge luden ihre Gastgeber gestern zu einem Dankeschön-Kaffee ein - natürlich war auch Bruno Kirchhof dabei (rechts im Bild).

Foto: Homann

Über seine Erfahrungen und das Linzer Prinzip der Flüchtlings-Patenschaft sprach Philipp Königs mit Bruno Kirchhof.

Herr Kirchhof, zehn Flüchtlinge unter einem Dach. Wie haben Sie alle unterbekommen?
Bruno Kirchhof: Meine Frau und ich haben unser altes Haus zur Verfügung gestellt. Zurzeit leben dort eine Familie mit zwei Kindern und sechs Männer unter einem Dach. Unsere Kinder sind längst erwachsen, und wir wohnen in einem kleineren Haus.

Unterkunft ist das eine, wie werden die Flüchtlinge in Linz darüber hinaus betreut?
Kirchhof: Die Verbandsgemeinde und die Kirche sind übereingekommen, dass die Betreuung über ehrenamtliche Paten erfolgt. Das funktioniert aus meiner Sicht sehr gut, weil die Familien einen direkten Ansprechpartner erhalten. Es gibt auch ein tolles Engagement darüber hinaus. Ein Beispiel: Unser Haus stand völlig leer. Was da nach einem Aufruf an Mobiliar und Einrichtungsgegenständen zusammengekommen ist, kann man sich kaum vorstellen. Eine Spenderin übergab völlig neue Plumeaus, wollte aber unbedingt noch mehr tun. Die Bereitschaft, zu helfen, ist unter den Linzern sehr groß.

Sprechen wir über die Flüchtlinge, die Sie betreuen: Wie lief das ab in den ersten Monaten?
Kirchhof: Wir haben die Patenschaft für die vierköpfige Familie übernommen. Der Vater kann etwas Deutsch und engagiert sich unglaublich viel bei der Integration anderer Familien. Der Sohn ist fünf Jahre alt, geht also in den Kindergarten. Fragen Sie mich nicht wie, aber irgendwie hat es meine Frau geschafft, innerhalb von zwei Tagen einen Betreuungsplatz für ihn zu besorgen.

Manchmal gibt es Schwierigkeiten, an die man zunächst nicht denkt. Sie bekommen Lebensmittel von der Tafel, aber wissen nicht, wie sie sie zubereiten sollen. Nun wollen Ehrenamtliche einen Kochkursus anbieten, auch um dabei miteinander ins Gespräch zu kommen.

Woher kommt die Familie, die Sie begleiten?
Kirchhof: Aus Aleppo in Syrien. Sie haben uns übrigens umgekehrt schon in ihre Wohnung eingeladen, und da habe ich dann Sachen gegessen, die ich noch nicht kannte.

Ein Kulturaustausch, sozusagen.
Kirchhof: Aber mit Parallelen. In einem unserer ersten Gespräche hat mich der muslimische Vater gefragt, ob ich wisse, wer der zweitwichtigste Prophet nach Mohammed im Koran sei. Es ist Jesus.

Wie funktioniert die Kommunikation?
Kirchhof: Die meisten Flüchtlinge sprechen kein Wort Deutsch und oft auch kein Englisch. Ein ehemaliger Schulrektor hat die Koordination für regelmäßigen Sprachunterricht übernommen. Eine Lehrerin in Pension und eine Lehrerin in Teilzeit unterrichten regelmäßig anderthalb Stunden täglich. Das ist wichtig, um so etwas wie eine Tagesstruktur aufzubauen.

Haben die Familie und Sie Vertrauen zueinander gefasst?
Kirchhof: Ja, das kann man schon sagen. Sie erzählen von ihren Zukunftsplänen. Dass sie die Sprache lernen wollen und überlegen, eine Ausbildung zu beginnen. Es scheint mir das Wichtigste zu sein, dass sie nach allem gute Erfahrungen machen. Viele haben unvorstellbare Geschichten erlebt. Ein Flüchtling, der nicht bei uns untergekommen ist, musste seine Familie zurücklassen. Die Tochter hat einen Granatsplitter abbekommen und wird jetzt von Krankenhaus zu Krankenhaus geschickt. Stellen Sie sich das mal vor! Und dann kommen sie in ein fremdes Land, in dem alles anders ist.

Wie wird es für sie weitergehen?
Kirchhof: Ich habe ein bisschen Sorge vor dem zweiten Schritt, den Schritt nach dem Willkommen, wenn Verzweiflung, Frust, lastende Untätigkeit, Unsicherheit bezüglich zurückgelassener Familienangehöriger zunehmen werden, wenn die Traumatisierung zunehmend Folgen zeigt. Die Caritas bietet therapeutische Betreuung an, wenn sie notwendig und gewünscht ist. Man darf aber niemanden zu etwas zwingen. Was mich umtreibt, ist die Frage: Was kann ein Mensch aushalten?

Zur Person

Bruno Kirchhof ist promovierter Mediziner und hat viele Jahre in Kliniken, später als Gesundheitsmanager gearbeitet. Mittlerweile ist der 66-Jährige pensioniert. Er lebt mit seiner Frau in Linz und hat fünf erwachsene Kinder. Ehrenamtlich sitzt er im Seniorenbeirat der Verbandsgemeinde Linz.

Zu wenige geeignete Pflegefamilien

Der Kreis Neuwied hat im vergangenen Jahr insgesamt 372 Asylbewerber aufgenommen. Das geht aus einer Anfrage der Neuwieder Landtagsabgeordneten Elisabeth Bröskamp (Grüne) an die Landesregierung hervor. Zurzeit liefen dort 500 Asylerst- und Asylfolgeverfahren.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zählte zum Stichtag, dem 31. Dezember 2014, 2106 abgeschlossene Verfahren, 1615 Asylanträge wurden abgelehnt. Die Abgeordnete fragte auch nach der Unterbringung für minderjährige Asylbewerber, die ohne Familie nach Deutschland kommen. Sie kämen, so die Antwort aus Mainz, in "geeigneten Einrichtungen unter". In der Regel seien das Kinder- und Jugendheime, denn "in der Praxis findet die Unterbringung bei einer Pflegefamilie nur in wenigen Einzelfällen statt". Es gebe in den meisten Jugendämtern "zu wenige geeignete Pflegefamilien".

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