Als der Schultheiß noch im Kirchturm Recht sprach Geschichtbote arbeitet historische Gerichtsakten aus Unkel auf

Unkel · Was blühte Übeltätern früher, wenn sie erwischt und überführt wurden? Aufschluss darüber gibt die neueste Publikation des Geschichtsvereins Unkel. Betrug, Bigamie, Diebstahl oder Körperverletzung: Historische Gerichtsakten entführen ins 18. Jahrhundert.

 Einem besonders interessanten Kapitel der Geschichte von Unkel widmen sich die Autoren des Geschichtsboten.

Einem besonders interessanten Kapitel der Geschichte von Unkel widmen sich die Autoren des Geschichtsboten.

Foto: Frank Homann

Auch früher waren nicht alle Engelchen. Der „Unkeler Geschichtsbote“ liest sich wie ein Krimi. Denn in der neuen Nummer geht es um Fälle wie Betrug, Bigamie, Diebstahl, Kindesentzug, Körperverletzung. Und zwar vor mehreren Hundert Jahren. „Das Unkeler Gerichtswesen im 18. Jahrhundert - Strafrechtsfälle im Spiegel der Zeit“ ist der Titel der spannenden Schrift, die Rudolf Vollmer und Werner Mayer vom Geschichtsverein Unkel (GVU) erstellt haben. Und weil es damals so viele interessante Verhandlungen gab, wird dem ersten Teil dieser Boten-Nummer 32 schon bald Teil II folgen.

Schultheiß von Unkel hat Recht gesprochen

Auf 59 Seiten des reich illustrierten Heftes kann der Leser nachvollziehen, wie der Schultheiß von Unkel, der im Auftrag des Kölner Erzbischofs Recht sprach, seine Urteile fällte. Sieben Strafverfahren, die zwischen 1726 und 1800 von der „Niederen Gerichtsbarkeit“ in Unkel durchgeführt werden, sind nachzuvollziehen. Aber die Autoren erteilen auch einen generellen Überblick über das Rechtswesen im Erzstift Köln und die Organisation der Gerichtsbarkeit. Zudem werden juristische Begriffe von damals erläutert und die verwirrende Vielfalt der in jener Zeit verwendeten Zahlungsmittel.

Der Schultheiß wurde auf Lebenszeit vom Erzbischof ernannt und war das einzige hauptberufliche Mitglied des Gerichts, hatte aber noch andere Einnahmequellen; er berief Schöffen, im Hauptberuf meist Winzer, zu den Sitzungen ein, die als „Aufwandsentschädigungen“ Naturalien erhielten etwa in Form von Deputaten an Holz und Heidestreu. Fest angestellt waren der Schreiber, der Protokoll und Korrespondenzen zu erledigen hatte, und der Gerichtsdiener, zuständig für Vorladungen und das Eintreiben von Geldstrafen. Zivile Belange des Gemeinwesens, private Streitigkeiten oder die Aburteilung von Straftaten gehörten zu ihren Zuständigkeiten.

Sitzungen im Turm der Pfarrkirche

Nicht nur Fälle aus Unkel wurden am Unkeler Gerichtshof verhandelt, sondern auch die aus Scheuren und Breitbach, dem heutigen Rheinbreitbach. Die Gerichtstage und Fristen wurden nach dem Heiligenkalender festgelegt. Sitzungen fanden im Turm der Pfarrkirche statt, auch im Bürgerhaus, womit wohl das älteste Rathaus Unkels am Kirchhof gemeint ist, das 1857 abgerissen wurde, und auch im Privathaus des Schultheißen.

Um diesen Einblick in die Lebensumstände der Vorfahren zu erhalten, knieten sich Vollmer und Mayer in Aktenberge des Unkeler Stadtarchivs. Alte Handschriften, Bandwurmsätze, eigenartige Wortwahl, wechselnde Schreibweisen forderten die Autoren enorm. Aber es gelang der Redaktion dieses Heftes, zu der auch Piet Bovy, Wilfried und Gisela Meitzner sowie Gestalter Hubert Groß gehörten, dennoch, die Lektüre auch für Laien angenehm zu machen.

Diebstahl von 1726 ist der älteste Fall

Der älteste ausgewählte Fall spielte sich 1726 ab, als Gertrud Zimmer aus Asbach, die wegen Diebstahls festgenommen worden war, vor Gericht stand. Denn: Ein „Frawmensch“, so führte es Schultheiß Paffenbroich aus, sei bei dem Gastwirt Johann Schultes in Breitbach drei Tage hintereinander eingekehrt. Als die Wirtsleute am dritten Tag ein Begräbnis aufsuchten, habe Gertrud Zimmer eines von deren Kindern beauftragt, ein Brot für sie zu besorgen. Derweil brach sie eine Kiste auf und nahm sich Geld heraus. Ein Geschwisterkind beobachtete allerdings das Geschehen und erzählte es den Eltern.

Während der Wirt den Schultheiß informierte, brachte Frau Schulte die Diebin „durch vieles Zusprechen" zu einem Geständnis. Vor Gericht schilderte Gertrud, dass die Wirtin ihr versprochen habe, ihre Tat keinem zu offenbaren, wenn sie das Geld zurückgebe. Zwar habe Frau Schulte kein Geschrei gemacht, aber sich in die Tür gestellt. Nur die vom Schultheißen geschickten Schützen hätten Schlimmeres verhindert, als sie von Frauen vor dem Wirtshaus an den Haaren gezogen worden sei.

Ein Indizienprozess des 18. Jahrhunderts

Die Geldkiste im Schlafzimmer habe der Hausmann der Wirtsleute ihrem Mann bei einem vorherigen Besuch gezeigt. Aber: Immer weitere Anschuldigungen kamen zur Sprache. Das Gericht forderte Berichte aus Bingen, Plittersdorf und Dollendorf an. Die Autoren: „Heute würde man von einem Indizienprozess sprechen.“ Gertrud Zimmer wurde nach ihrem Vorleben befragt. Ob sie Kontakt zu der „Menschengemeinschaft der in hiesiger Gegend gehaltenen Flotzen", den Flößern, gehabt habe, wird sie gefragt. Und sie gab an, einen Herrn Wilhelm von Dehlen zu kennen, der „wohl Gedanken gehabt habe, sie zu versuchen“. Aber auf dem Floß habe auch ihr jetziger Mann gearbeitet.

Sie wurde mit Fragen konfrontiert wie: Habe sie ein Kind in Plittersdorf entführt? Habe sie 1720 in Niederdollendorf Kleider entwendet? Habe sie einer Magd in Bruchhausen 1716 Kleider gestohlen? Die Strafe: Gertrud Zimmer wurde nach dem Schwur der Urfehde des Erzstifts verwiesen. Über das weitere Schicksal der Verurteilten ist nichts bekannt. Spannend auch die weiteren Prozesse - ein toller Ausflug in die Vergangenheit.

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