Fronhof in Unkel Günter Wallraff nimmt den GA mit auf eine exklusive Führung

UNKEL · Das Eingangstor zum Fronhof ist an diesem Nachmittag nicht abgeschlossen, die Haustür steht sperrangelweit offen. Ein Spalier von zurechtgeschnittenen Buchsbäumchen säumt den Weg von der einen zur anderen irritierenden Offenheit.

Der Mann, den man in einer Festung vermutet, eilt die Holztreppe hinunter, grüßt höflich und fragt noch auf der letzten Stufe irritiert: "Haben Sie gar nichts zu schreiben bei?" Doch, doch, in der Hosentasche. "Hätte ja sein können, dass Sie schon alles wissen." Er lächelt schelmisch. So abwegig ist das gar nicht, bei einem Mann wie Günter Wallraff.

Doch heute kommt eine noch unerzählte Episode hinzu. Eine, die fernab jeder Enthüllung spielt, eine, für die Wallraff in keine Rolle schlüpfen muss. Er zeigt dem General-Anzeiger seinen Rückzugsort, "sein Refugium", wie er es selbst nennt: den Fronhof an der Rheinuferpromenade in Unkel. Es ist das älteste, steinerne Gebäude der Stadt, im Jahr 1057 erbaut, das als Herrendiensthaus des Klosters Maria ad Gradus so viel Geschichte erlebt hat, dass es längst selbst zu den Höhepunkten jeder Stadtführung zählt.

Günter Wallraff bittet ins Arbeitszimmer. Es ist lichtdurchflutet, mit hohen Decken. Der Fußboden ist mit historischen Flößerholzdielen ausgelegt. Ein ausladender Schreibtisch steht mitten im Raum. Unzählige Zeitungen, Zeitschriften, Bücher, Notizen liegen darauf. Seit 22 Jahren gehört der Fronhof Wallraffs Töchtern. Er ist regelmäßig hier, um zu schreiben, vor allem aber, um zu entspannen. "Unkel ist eine Oase", schwärmt er, "Das hat hier etwas Verschlafenes. Hier ist kein Remmi-Demmi, hier an der Schiffs-Anlegestelle steigen meist nur müde Wanderer aus."

Beinahe wäre es zu der Verbindung Fronhof und Wallraff gar nicht gekommen. Eigentlich war ihnen das Anwesen anfangs eine Nummer zu groß. Doch als Günter Wallraff hörte, dass bereits jemand einen Vorvertrag unterschrieben hatte und das denkmalgeschützte Gebäude aus Spekulationsgründen sowie meistbietend in fünf neuen Einheiten verkaufen wollte, entschied er: "Das muss ich verhindern. Ich will den Fronhof retten." Es gelang ihm.

Jeder Winkel erzählt hier eine Geschichte. "Sehen Sie hier, dieser Zauberstuhl", sagt Wallraff, lässt die Finger über dieses mittelalterliche, dunkelpatinierte Möbel gleiten, interpretiert die Schnitzereien, die biblische Motive neben Dämonenfratzen, aber seltsamerweise kein Kreuz zeigen, und fügt hinzu: "Ich setze eine Belohnung für den aus, der mir sagen kann, was das für ein Thron ist und wo er herkommt. Ich habe bereits lange, aber erfolglos nachgeforscht." Wenn ein Günter Wallraff erfolglos recherchiert, dann heißt das schon was.

Der Enthüllungsjournalist, der derzeit für RTL die Fernseh-Serie "Team Wallraff" vorbereitet, für die er Nachfolger für sozialkritische Fälle schult, ist auch heute, mit 70 Jahren, noch ständig auf Achse. "Ich bin ein Getriebener", sagt er, "Ich kann mich nicht dagegen wehren. Jeden Tag erreichen mich neue Hinweise auf grausame Arbeitsbedingungen." In vielen Fällen handele es sich tatsächlich um gravierende Arbeitsrechtsverletzungen. Und da fühle er sich eben gefordert.

Zurück in den Fronhof, zurück ins Arbeitszimmer: Eine historische Wendeltreppe führt von hier hoch aufs Dach des Turms. Dieses war früher nicht begehbar. Wallraff hat das geändert. Auch mithilfe des Zufalls: Die Wendeltreppe, fast passgenau, stand ursprünglich im Bauturmtheater in Köln. Er sah sie, erfuhr, dass sie dort nicht benötigt würde, und erwarb sie gegen eine Spende. Seitdem ist er häufig hier oben. "Ich bin ein Luftmensch. Meine Frau ist bodenständiger", sagt Wallraff.

Dort oben, auf der Dachterrasse, ist der Ausblick malerisch: Der Rhein liegt hier zu Füßen. Jener Rhein, der den Wallraffs anfangs so viele Sorgen bereitet hatte. Die Familie war erst ein Jahr in Unkel, da überflutete das Hochwasser auch den Fronhof. Ein Jahr später, es war Weihnachten 1993, folgte das Jahrhunderthochwasser. Die alte Bausubstanz hielt Stand, alles andere: aufgeweicht. "Ein Schock", erinnert sich Wallraff.

Von den Folgen ist nichts mehr zu sehen. Im Gegenteil: Der Garten ist ein Erlebnis. Rosensträucher wachsen, Naturskulpturen stehen auf Podesten, daneben eine fünf Meter hohe Wasser-Basaltsäule. Das Gras ist sattgrün. Vor dem hinteren Eingangstor liegen heute meterbreite Natursteinplatten, wo früher nur Matsch war. "Für mich hört die Verantwortung nicht vor der eigenen Haustür auf", sagt der Journalist.

Er ist ein umsichtiger Wahl-Unkeler, einer, der sich interessiert für das, was in der Stadt passiert. Wenn Wallraff über Unkel redet, schwärmt er vom ältesten, im Familienbesitz befindlichen Gasthof "Zur Traube" und vom kürzlich eröffneten Café "Treibgut" an der Anlegestelle ("Mit kleinen Mitteln - großer Respekt"). Oder schimpft über das einsturzgefährdete und dem Verfall preisgegebene Hotel Drachenburg ("Ein Schandfleck") und sagt dann doch: "Es muss einen Ort geben, wo ich mich nicht ärgere oder einmische." Wallraff lehnt sich zurück, lächelt verschmitzt.

Nicht einmischen widerstrebt diesem Mann, der unter anderem als Dunkelhäutiger Deutschland den Spiegel vorhielt, als getarnter Journalist die Methoden der Bild-Zeitung offenlegte und jüngst als Paketzusteller und Mitarbeiter in einer Brötchenfabrik die Arbeitsbedingungen einer ganzen Branche enttarnte.

Wenn Wallraff ins Plaudern gerät, beginnen seine Sätze oft mit den Worten "Das könnte auch noch interessant sein..." Das ist es dann meist auch: Dass er zum Beispiel den britischen Schriftsteller Salman Rushdie, auf den ein Kopfgeld in Höhe von einer Million Dollar ausgesetzt war, im Fronhof versteckt hat. Dass er einen von der PKK verfolgten Kurden samt Familie untergebracht hat, der hier seine Memoiren schrieb. Auch eine Zigeunerfamilie, der die Abschiebung drohte, sowie ein Obdachloser wohnten hier. Dass vier Personen einen Schlüssel zu dem Anwesen haben, die nicht zur Familie gehören. Wobei Wallraff den Familienbegriff nicht allein auf seine Ehefrau und seine fünf Töchter begrenzt: "Da kommen immer neue Wahlverwandtschaften hinzu." Auch eine Verwandte von Heinrich Böll lebt hier.

Wallraff ist ein auskunftsfreudiger Mensch. Einer, der kein Geheimnis um sich und seine Person macht. Der erzählt, dass er auf der Insel Grafenwerth Tennis spielt, dass er von Unkel sechs bis zehn Kilometer gen Bonn und wieder zurück joggt und der sich ab und an ins Kajak setzt und sich bis nach Köln treiben lässt. Und der vor allem eines hat: den schönsten Rückzugsort Unkels.

Ein Interview mit Günter Wallraff über das Leben als Getriebener, auch mit Blick auf die Späh-Affäre und die Rolle Edward Snowdens, lesen Sie in einer der kommenden Ausgaben.

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