Brennender ICE bei Dierdorf "Verdammt viel Glück gehabt"

Sankt Augustin/Dierdorf · Am 12. Oktober vergangenen Jahres ist auf der Strecke Köln-Frankfurt bei Dierdorf ein ICE in Brand geraten. Rund 500 Fahrgäste mussten evakuiert werden. Bundespolizist Thomas Schmitt aus Sankt Augustin startete die Rettung. Er blickt zurück auf das Erlebte.

 Nur noch ein verkohltes Stahlgerippe blieb von dem am 12. Oktober 2018 in Brand geratenen ICE-Waggon übrig.

Nur noch ein verkohltes Stahlgerippe blieb von dem am 12. Oktober 2018 in Brand geratenen ICE-Waggon übrig.

Foto: picture alliance/dpa/Thomas Frey

Die Bilder vom ausgebrannten ICE-Waggon wirken auch ein Jahr später noch bedrohlich. Wie leicht hätte es am 12. Oktober 2018 zur Katastrophe kommen können, wäre der brennende Zug in einer Röhre der Schnellstrecke Köln-Frankfurt stehen geblieben, statt auf freier Strecke bei Dierdorf. Dass Nothalt und Evakuierung der rund 500 Fahrgäste so schnell ausgelöst wurden, ist einem erfahrenen Bahnpendler zu verdanken, der zugleich als Bundespolizist über die entsprechende Ausbildung im Krisenmanagement verfügt: Thomas Schmitt (32) aus Sankt Augustin. Am Mittwoch blickte der Mitarbeiter der Bundespolizeidirektion Flughafen Frankfurt am Main auf das Erlebte zurück. "Auch mit einem Jahr Abstand kann ich nur sagen: Wir haben Glück im Unglück gehabt", sagt Schmitt im Gespräch mit dem GA.

 Rettungsengel für 500 Fahrgäste: Thomas Schmitt.

Rettungsengel für 500 Fahrgäste: Thomas Schmitt.

Foto: Bundespolizei

Als er an jenem Morgen in Siegburg in den ICE steigt, fällt ihm nichts Ungewöhnliches auf. Er fährt die Strecke seit neun Jahren regelmäßig und kennt sie gut. Der Zug ist in Doppeltraktion unterwegs, Schmitt sitzt im letzten Wagen des hinteren Zugteils, als ihm gegen 6.30 Uhr ein Knall "durch Mark und Bein" geht. "Es war gar nicht klar, was passiert ist, aber der Zug ist merklich in die Knie gegangen durch die Druckwelle", erinnert sich der 32-Jährige. Der ICE rollt weiter und Schmitt steht auf, um nachzusehen, was passiert sein könnte. Draußen ist es noch stockdunkel. Anhand der Reflektionen an der Böschung kann er sehen: "Der Zug hat bei voller Fahrt Feuer gefangen." Er weiß, dass es auf der Hochgeschwindigkeitsstrecke viele Tunnel gibt. Sein erster Gedanke ist: "Der Zug muss sofort anhalten."

Bundespolizist geht sofort zur Zugchefin

Was dann folgt, liest sich wie aus dem Lehrbuch. Der Bundespolizist, der mit Gefahren an Bahnstrecken vertraut ist, geht sofort zur Zugchefin, die er beim Einsteigen etwas weiter vorne gesehen hat. "Ich habe sie kurz in die Lage eingewiesen." Seine Ansagen sind klar: Zug stoppen, Strecke sperren lassen und alle Rettungskräfte alarmieren. Der 32-Jährige weiß, dass ein ICE weiterrollt, selbst wenn man die Notbremse zieht, bis ein Korridor für Evakuierungen erreicht ist.

ICE-Brand bei Dierdorf
20 Bilder

ICE-Brand bei Dierdorf

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Rückblickend sagt Schmitt: "Ein glücklicher Umstand war, dass durch die Explosion nichts in den Innenraum gedrungen ist." Mit der Zugchefin geht er zurück in den letzten Wagen und hat dank Uniform sofort die nötige Überzeugungskraft, als er die Reisenden auffordert, ruhig, geordnet und ohne Gepäck so weit wie möglich im Zug nach vorne zu gehen. "Ich habe nicht offen kommuniziert, dass der Zug brennt, um keine Panik auszulösen", berichtet der Sankt Augustiner. Ein weiterer Glücksfall: "Es waren fast ausschließlich Berufspendler mit wenig Gepäck und keine Personen im Rollstuhl unterwegs."

Als die letzten drei Wagen geräumt sind, geht Schmitt noch einmal zurück, um sich zu vergewissern, dass kein Reisender zurückgeblieben ist. "Ich konnte schon sehen, wie die Flammen an den Fenstern hochschlugen." Der Bundespolizist riegelt die Zwischentüren der Wagen ab. Dann sucht er sich weitere erfahrene Helfer - und findet sie. "Ich habe dann mit einem Feuerwehrmann und einer Krankenschwester die Evakuierung angeleitet." Er öffnet die vordere Tür des Zugteils und denkt im selben Moment: "Das kann auch schiefgehen." Die Flammen lodern lichterloh, die stromführende Oberleitung ist bereits durchgeschmort und hängt lose herunter.

Feuerwehr rückt über die A3 an

Die Böschung ist steil, es geht rund eineinhalb Meter nach unten. Schmitt weiß nicht, wie schnell sich der Rauch ausbreiten wird. Er merkt: Durch nur eine Tür geht die Evakuierung zu langsam, obwohl bereits junge Männer den Fahrgästen beim Sprung in die Tiefe helfen. Als ihn die Nachricht erreicht, dass die Schnellstrecke gesperrt ist, entscheidet er, auch die gegenüberliegende Tür zum Nachbargleis zu öffnen. Über die benachbarte Autobahn 3 rückt die Feuerwehr an und kommt schnell nah an die Unglücksstelle heran. Thomas Schmitt meldet dem Einsatzleiter, was passiert ist. Dann übernimmt die Feuerwehr.

Wie lange das alles gedauert hat? "Das kann ich nicht sagen, man verliert jedes Zeitgefühl", so der Bundespolizist im Rückblick. Er kann sich nur daran erinnern, dass ihm ein Stein vom Herzen fiel.

Thomas Schmitt bleibt an jenem Tag als Ansprechpartner für die Gutachter der Bahn vor Ort, denn noch ist nicht klar, was Auslöser für das Feuer war. Später stellt sich heraus, dass ein Trafo explodiert ist. Die Bahnstrecke bleibt eine Woche lang gesperrt, dann läuft der Verkehr nur einspurig an der Baustelle vorbei - mit weitreichenden Folgen auch für die Pendler vom Siegburger Bahnhof. Zwei Monate lang müssen sie Umwege und Zugausfälle in Kauf nehmen.

Im Juni hat Thomas Schmitt die hessische Rettungsmedaille bekommen. Ministerpräsident Volker Bouffier lobte: "Ihr mutiges, gezieltes und selbstloses Handeln hat Schlimmeres verhindern können."

Der Bundespolizist pendelt weiterhin von Sankt Augustin zum Frankfurter Flughafen. Ein Anliegen hat er: "Gerade an dem Beispiel hat man gemerkt, wie wichtig es ist, dass im Zug die Rettungswege freigehalten werden." Wenn sich an den Türen mal wieder die großen Koffer türmen, dann denkt er schon darüber nach, was alles hätte passieren können.

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