Opern-Sängerin Edda Moser "Ich vermisse das Glück des Singens"

RHEINBREITBACH · Sie thront haltungsvoll. Sie redet nicht, sie formuliert, pointiert und gestenreich. "Die Schamgrenze ist längst, längst überschritten", formuliert sie, wenn sie sich über Facebook echauffiert. "Mein Mann war eine bittere, bittere Enttäuschung", formuliert sie, wenn sie über ihre Scheidung klagt.

 Edda Moser, 74, sitzt an ihrem Flügel aus der Kaiserzeit. Sie wohnt seit vielen Jahren in Rheinbreitbach.

Edda Moser, 74, sitzt an ihrem Flügel aus der Kaiserzeit. Sie wohnt seit vielen Jahren in Rheinbreitbach.

Foto: Frank Homann

Die Klaviatur des ausdrucksstarken Seins hat Edda Moser, die auf den Bühnen dieser Welt zu Hause war und heute in Rheinbreitbach wohnt, längst nicht verlernt.

Doch nicht alles ist so, wie es einmal war. Edda Moser spricht. Und das ist ganz abgesehen von dem, was sie sagt, schon eine Besonderheit. "Ich habe 35 Jahre geschwiegen, um meine Stimme zu schonen." Manchmal habe sie sich sogar großflächig Pflaster über den Mund geklebt, um dem wachsenden Mitteilungsbedürfnis zu entrinnen.

Es war ihr Opfer für eine Kunst, die sie wie kaum eine andere Opernsängerin beherrschte. "Ich wollte dem Werk erfolgreich dienen, jedem einzelnen Wort Bedeutung geben. Mein Körper war mein Instrument. Das musste ich pflegen", sagt Moser. Stattdessen schrieb sie den Menschen, die ihr wichtig waren, Briefe. Unzählige waren es, viele Seiten lang. Die an ihre Eltern kann sie bis heute nicht lesen, "weil sie mich so bewegen".

Früher war sie für ihre barsche Art in der Szene gefürchtet. Es hieß, sie sei rechthaberisch. "Aber das stimmt nicht: Ich wusste nur immer, dass ich Recht habe", sagt sie und lacht. Heute ist diese Anspannung, dieser Druck, immer besser sein zu wollen als bei der Aufführung zuvor, nicht mehr da. Vielleicht sagt sie deshalb Sätze wie: "Sie können mich alles fragen: Ich habe keine Geheimnisse!"

Der Morgen neigt sich gerade dem Ende zu, auf dem Tisch steht gekühltes Mandelgebäck, daneben ein Flügel aus der Kaiserzeit. An den Wänden hängen Bilder, viele Bilder für eine Frau, die von sich selbst sagt: "Ich bin kein Bildermensch. Ich habe da kein Auge für." Die an der einen Wand hat sie in Venedig erworben, sie zeigen Musiker.

Die an der gegenüberliegenden Wand, "die Ikonen", hat sie von Altkanzler Helmut Kohl, ihrem einst guten Freund, geschenkt bekommen. Etwa drei Mal im Jahr saß dieser bei Edda Moser im Wohnzimmer, ließ sich bekochen und klönte mit dem Weltstar. Sie unterhielten sich oft über Musik, von der Kohl laut Moser so wenig Ahnung gehabt haben soll wie sie selbst von Malerei.

Jetzt um diese Zeit kam früher der Briefträger. Er brachte Liebesbriefe, Fanpost, Autogrammwünsche. Das ist lange her. Edda Moser wird Ende dieses Monats 75 Jahre alt. Vor 17 Jahren hat sie ihre schillernde Karriere, die sie auf die Bühnen der Opernhäuser in Wien, Paris, New York und zuletzt in Bonn führte, beendet.

"Früher hatte ich keine Zeit zum Nachdenken. Heute wohne ich, bin endlich mal zu Hause", sagt sie und zeigt auf eine hochgewachsene Tanne in ihrem Garten, "und lobe meinen Baum, wie er wächst." Ihre größte Emotion während ihrer Karriere sei immer die Dankbarkeit gewesen. "Die ist noch heute da."

Sie hat Frieden mit sich geschlossen, doch die Traurigkeit bleibt bis heute: "Ich vermisse das Glück des Singens." Sie müsse sich noch heute täglich mit sich selbst arrangieren, sagt sie: "Diese ewigen Kompromisse, in die ich mich ständig einlassen muss, sind fürchterlich." Sie meint das Altern.

Dabei wisse sie ja, dass jedes Gesicht seine Geschichte hat, auch ihres. Sie meint auch die Gesundheit, die Einsamkeit, die eigene Leistung. Jeden Abend steht sie vor dem Spiegel und legt, wie früher, Rechenschaft ab: Hat sich dieser Tag gelohnt? "Mittlerweile antworte ich nur noch sehr selten: Ja." Es gab aber schon mal eine Zeit, da sah Edda Moser nicht nur grau, sondern schwarz.

Wiener Staatsoper, die Oper "Salome", Februar '96: Es ist ein perfekter Auftritt der Edda Moser. Der Vorhang fällt. Es ist der letzte Vorhang. Eine der besten Opern-Sängerinnen der Welt verlässt die Bühne und kehrt nie wieder zurück. Und fühlt sich fortan selbst verlassen, Freundschaften bröckeln, das Telefon steht still.

"Ich dachte damals an Selbstmord. Meine Neugierde aufs Leben war weg. Ich habe es nur meiner Mutter zuliebe nicht durchgezogen", erzählt sie. In dieser Phase traf sie sich mit ihrem guten Bekannten Hans-Dietrich Genscher auf einen Kaffee. Er fragte: "Wie geht es Ihnen?" Moser antwortete: "Wenn ich ehrlich bin: gar nicht gut. Mein Beruf fehlt mir so sehr." Genschers Antwort hat sie nie vergessen: "Wem sagen Sie das."

Als ihre Rettung bezeichnet sie unter anderem eine Professur an der Kölner Hochschule für Musik. Sie durfte lehren, wurde wieder gebraucht. Doch sie wollte mehr, wollte ihr eigenes Ding machen. 2006 initierte sie das "Festspiel der deutschen Sprache", das bis heute im historischen Goethe-Theater in Bad Lauchstädt stattfindet. "Unsere Sprache ist ein reicher Schatz, der uns bei all diesen Anglizismen verloren zu gehen droht", sagt Moser, die im März 2011 ihre Autobiographie "Ersungenes Glück" veröffentlicht hat.

Kürzlich war sie in der Oper, bei den Salzburger Festspielen. Der Sänger sei fabelhaft gewesen, doch die Regie, "oje, die Regie war vollkommen sinnlos", stöhnt Moser, lehnt sich zurück und sagt: "Das war für lange Zeit wieder das letzte Mal, dass ich in die Oper gegangen bin." Sie sei auch schon davor erbost gewesen, von "diesen Modeerscheinungen", durch die das Stück so verändert wird, dass das Original gar nicht mehr zu erkennen sei.

Und spricht man die Frau, die früher für ihre barsche Art so gefürchtet war, auf Katharina Wagner, die Initiatorin der Bayreuther Festspiele, an, dann ist sie wieder ganz die Alte: "Eine fürchterliche Frau", schimpft sie, "Ich verachte diese Frau, weil sie jeden Respekt vor diesem großen Erbe vermissen lässt."

Persönlich kennt sie sie nicht. Und doch ist es der emotionalste Ausbruch eines intimen Gesprächs über gescheiterte Ehe, Selbstmordgedanken und die großen Gefühle auf der Bühne. Die Oper ist ihr noch immer heilig. Eine Sängerin hört eben auch dann nicht auf eine Sängerin zu sein, wenn sie gar nicht mehr singt.

Stimme für die Ewigkeit

Eine große Ehre wurde der am 27. Oktober 1938 in Berlin geborenen Edda Moser zuteil: Eines Tages rief ein Herr aus Cape Canaveral an und fragte, ob sie eine von ihr gesungene Arie - die Rachearie der Königin der Nacht aus Mozarts "Die Zauberflöte" - auf eine vergoldete Kupfer-Schallplatte aufnehmen und diese an Bord der Raumsonde Voyager II ins Weltall schießen dürften.

Die anspruchsvollste Arie, die je komponiert worden ist, wird so eine Billion Jahre überleben und soll eine Botschaft an fremdes Leben sein. Auf der Schallplatte sind viele Geräusche zu hören, aber nur eine Gesangseinheit - die von Edda Moser.

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