Gedenken an Pogrome im Siebengebirge Stille und Kerzen gegen das Vergessen

Siebengebirge · In Oberdollendorf und Bad Honnef gedenken die Menschen der Pogrome der Nazis und ihrer Schergen.

 Wie hier in Oberdollendorf gedachten die Menschen im Siebengebirge daran, dass auch heute Platz für Antisemitismus und Hassist.

Wie hier in Oberdollendorf gedachten die Menschen im Siebengebirge daran, dass auch heute Platz für Antisemitismus und Hassist.

Foto: Frank Homann

Seit exakt 40 Jahren weist eine Bronzetafel an der Heisterbacher Straße auf den Standort der ehemaligen Synagoge von Oberdollendorf hin. Zum Gedenken an die Pogromnacht im November 1938 versammelten sich dort Vertreter von Königswinterer Parteien und der Wählerinitiative sowie Bürger, um die Ereignisse in der NS-Zeit in Erinnerung zu rufen, Kränze niederzulegen und Kerzen aufzustellen. Auch an der ehemaligen Honnefer Synagoge fand eine Gedenkveranstaltung mit der Stadtspitze und der Geistlichkeit statt, in die Jugendliche mehrerer Schulen einbezogen waren.

Königswinters Vizebürgermeister Jürgen Kusserow sagte, auch im Beisein von Pfarrer Markus Hoitz und seiner evangelischen Kollegin Anne Kathrin Quaas, dass nicht der 9. November 1938 der Ausgangspunkt für jüdisches Leid gewesen sei, sondern der 30. Januar 1933 mit Hitlers Machtergreifung. Er erinnerte daran, dass vom 10. auf den 11. November die komplette Inneneinrichtung der Oberdollendorfer Synagoge einschließlich der Torarolle zerstört wurde, aber eine Brandstiftung misslang. Das Grundstück wurde durch Verkauf arisiert, der Abbruch der Synagoge erfolgte im Frühjahr 1939.

Die Historikerin Saskia Klemp, die aktuell am Projekt „Spuren. Jüdische Erinnerungsorte an Sieg und Rhein“ der evangelischen Kirche sowie des Fördervereins Gedenkstätte Landjuden an der Sieg arbeitet und einige Jahre im Jüdischen Museum in Berlin tätig war, berichtete in ihrer Gedenkrede von einem kürzlichen Besuch im Berliner Museum. Dort habe sie in der Ausstellung ein Zettel besonders bewegt, der „mehrfach gefaltet, vielleicht in einer Jackentasche aufbewahrt, von Hand zu Hand gereicht, eingerissen und vergilbt“ gewesen war. Inhalt: die letzte Botschaft, in aller Eile hingekritzelt: „Gruß an alle. Vergesst uns nicht!“ Saskia Klemp: „Wir wollen uns erinnern und ein Zeichen setzen gegen das Vergessen.“ Im Erinnern liege das Geheimnis der Erlösung. Erinnerung brauche Gemeinschaft, Rituale und Nacherzählung.

Ansprache von 1872 appellierte an Toleranz und Bildung

Saskia Kemp berichtete vom 5. April 1872, als auch viele nichtjüdische Ortsbewohner, darunter auch der Bürgermeister und Gemeindevorstand Oberdollendorfs, die feierliche Einweihung der Synagoge, ein vortrefflich ausgeführtes Gebäude in architektonischer Hinsicht, miterlebten. In einer Ansprache sei auch die Toleranz und Bildung der Neuzeit im Gegensatz zur Barbarei des Mittelalters hervorgehoben worden.

Es betrübe sie zutiefst, wie sehr sich der Redner von damals geirrt haben sollte. Schon kurz nach der Gleichstellung der Juden im Kaiserreich hätten bekannte Wissenschaftler den weit verbreiteten Antisemitismus vorangetrieben. Frappierend sei es, „wie schnell sich ein totalitäres System mit antisemitischen und schließlich eliminatorischen Parolen ab 1933, zunächst demokratisch legitimiert, etablieren konnte“.

Die Folge: Bücherverbrennungen, Berufsverbote, Einschränkungen, Emigration, Ausgrenzung, Suizid, Enteignung, Verfolgung und Vernichtung millionenfacher Leben. Und: „Am 9. November 1938 gipfelte der staatliche Antisemitismus in einem Pogrom.“ Die Historikerin appellierte am Schluss eindringlich an die Zuhörer, auch heute keinen Antisemitismus und Hass zuzulassen.

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