Zeitzeugen erinnern sich ans Kriegsende im Siebengebirge „Einmal ist eine Granate direkt vor den Höhlen eingeschlagen“

Siebengebirge · Im März 1945 zogen amerikanische Soldaten durch das Siebengebirge. Zeitzeugen erinnern sich an die letzten Kriegstage.

 Herbert Steilen aus Stieldorf erlebte als Fünfjähriger die letzten Kriegstage in den Ofenkaulen. Für das Foto kehrte er dorthin zurück.

Herbert Steilen aus Stieldorf erlebte als Fünfjähriger die letzten Kriegstage in den Ofenkaulen. Für das Foto kehrte er dorthin zurück.

Foto: Frank Homann

Von Remagen und Erpel über Bad Honnef und Königswinter in Richtung Ruhrgebiet: Im März 1945 zogen amerikanische Truppen innerhalb von rund zwei Wochen durch das Siebengebirge. Für die Bewohner im Siebengebirge begann eine Zeit mitten im Kampfgeschehen. Auf einen Aufruf des General-Anzeigers haben sich Männer und Frauen gemeldet, die diese Zeit miterlebt haben.

Herbert Steilen, geboren am 24. April 1940, Stieldorferhohn

Gerade einmal fünf Jahre ist Herbert Steilen alt, als er im Siebengebirge das Vorrücken der amerikanischen Truppen miterlebt. Am 20. März 1945 ziehen die US-Soldaten in Stieldorf ein. „In den letzten Kriegstagen haben die restlichen deutschen Truppen noch Gegenwehr geleistet – der Krieg war noch im Gange“, sagt der heute 79-Jährige. Auf der Oberkasseler Heide oben auf der Anhöhe vom Lauterbachtal hatten sich die Amerikaner verschanzt. Gegenüber waren die deutschen Soldaten, dazwischen das Lauterbachtal.

Während des Beschusses hat er zusammen mit seiner Mutter Zuflucht in einer der Ofenkaulen gesucht. „Einmal ist eine Granate direkt vor den Höhlen eingeschlagen, als wir gerade einen Fuß reingesetzt und die Tür zur Ofenkaule noch nicht ganz geschlossen hatten“, erinnert er sich. Durch den Luftdruck der Explosion sei ihnen die Tür quasi in den Rücken geschlagen. „Da habt ihr aber Schwein gehabt“, habe einer gesagt. „Daran kann ich mich noch erinnern, da war der Schrecken groß. Aber das war nunmal Krieg“, sagt er heute.

 In den Königswinterer Ofenkaulen versteckte sich die Familie in den letzten Kriegstagen. Heute sind die Höhlensysteme gesperrt.

In den Königswinterer Ofenkaulen versteckte sich die Familie in den letzten Kriegstagen. Heute sind die Höhlensysteme gesperrt.

Foto: Robert Heller

Rund 14 Tage, so schätzt er, hätten die Amerikaner im Dorf ihr Quartier aufgeschlagen. In dem alten Fachwerkhaus auf der heutigen Straße Stieldorferhohn hatten sie ihre Kommandozentrale. „Aber vor den Soldaten hatten wir keine Angst. An schönen, sonnigen Tagen haben sie Stühle rausgestellt und in der Sonne gesessen“, erzählt der Senior, der bis heute in Stieldorf wohnt. „Wir Kinder sind dann zu ihnen gegangen und die Männer haben uns Schokoladenriegel gegeben. Die waren zu uns sehr freundlich, haben mit uns gelacht und gespielt. Wir hatten keine Angst.“

Christa Gorzalka (1927-2015) und Uwe Gorzalka (geb. 1956), Königswinter

Uwe Gorzalka lebt seit 1981 in Aichstetten am Rande des West-Allgäus. Aufgewachsen jedoch ist er in Ittenbach und der Königswinterer Altstadt. Seine Mutter Christa sei im Alter von sechs Jahren von Bad Honnef nach Königswinter in die Bahnhofstraße gezogen, schrieb Gorzalka dem General-Anzeiger. „Meine Mutter, die 2015 verstorben ist, hätte über die Zeit, in der die Backofenkaulen als Lazarett dienten, viel erzählen können“, so Gorzalka in seinem Brief.

 Das Bild zeigt Christa Gorzalka im Jahr 2014. Sie starb 2015.

Das Bild zeigt Christa Gorzalka im Jahr 2014. Sie starb 2015.

Foto: Gorzalka

In den rund zweiwöchigen Kampfhandlungen blieben die meisten Königswinterer in den Ofenkaulen. Ab und zu jedoch versuchten einige von ihnen, zurück in die Stadt zu gelangen, um notwendige Dinge zu holen oder um nachzusehen, ob etwas vernichtet worden war. „Am 14. März – ich hoffe, ich erinnere mich richtig an das Datum, das meine Mutter mir genannt hatte – war sie in Begleitung von zwei anderen in einem Laufgraben am Waldrand des Hirschberges unterwegs“, so Gorzalka.

Am Himmel hörte sie eine „Nähmaschine“ - so habe seine Mutter das amerikanische Flugzeug bezeichnet, das zur Artilleriebeobachtung über den Bergen kreiste. Obwohl die drei Zivilisten meinten, sich gut versteckt zu haben, entdeckte sie der Flugzeugpilot. Kurz darauf wurden von Mehlem aus Granaten abgefeuert, die am Hirschberg einschlugen. Christa Gorzalka wurde von einem Granatsplitter im Oberschenkel getroffen, ihre Begleiter blieben unverletzt. Die Drei schleppten sich zurück zu den Ofenkaulen, in denen ein Behelfslazarett eingerichtet war. Die junge Frau wurde dort versorgt und erhielt einen Schlafplatz.

Nur wenige Tage später, am 16. März, wurde das Lazarett befreit. Es war Christa Gorzalkas 18. Geburtstag. Es sei eine angespannte und gefährliche Situation gewesen, habe sie ihrem Sohn später berichtet. „Die jungen amerikanischen Soldaten sprachen natürlich kein Deutsch, waren sehr nervös und hatten ihre Finger am Abzug ihrer entsicherten Maschinenpistolen“, so Gorzalka. Und: „Die Werwolf-Propaganda tat wieder ihre perfide Wirkung.“

Seine Mutter sprach als einzige Schulenglisch – und damit fiel ihr die Aufgabe zu, den Soldaten zu erklären, dass im Lazarett weder Waffen noch deutsche Soldaten, sondern nur Zivilisten waren. „Ihr Englisch war offensichtlich so gut, dass sie nach Kriegsende als Telefonistin in der amerikanischen Botschaft in Mehlem arbeitete“, berichtet Gorzalka. Ab 1949 ging sie, wieder als Telefonistin, auf den Petersberg, wo sie unter dem Dach des Hotels für die Alliierten Hohen Kommissare John McCloy, Brian Robertson und André François-Poncet Telefonverbindungen mit ihren jeweiligen Regierungen herstellte.

„Meine Mutter erzählte nicht viel aus den Kriegszeiten, und als Kind traute ich mich auch nicht, richtig nachzufragen“, so Gorzalka. Über zwei Vorfälle habe sie jedoch mehrmals erzählt: Zwei Mal sei sie von Jagdfliegern attackiert worden und habe erlebt, wie es ist, wenn man vor Angst „weiche Knie bekommt“ und nicht mehr fliehen kann. Doch die Piloten hätten nicht geschossen, sondern stattdessen mit den Flügeln gewackelt – als Zeichen, dass sie unbewaffnete Zivilisten nicht angreifen.

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