Alanus und Hochschule Bonn-Rhein-Sieg in Pandemiezeiten „Die Studierenden werden übersehen“

Rhein-Sieg-Kreis · Hochschulen und Studierende haben sich bislang mit Forderungen nach Impfangeboten zurückgehalten. Erstmals appelliert die Hochschulrektorenkonferenz an Bund und Land, „die besondere Gruppe der Studierenden“ nicht zu vergessen.

 Myrle Dziak-Mahler ist Kanzlerin der Alanus Hochschule

Myrle Dziak-Mahler ist Kanzlerin der Alanus Hochschule

Foto: Alanus Hochschule

Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, Professor Peter-André Alt, verweist auf die beinahe drei Millionen Studierenden, „die sich nun bereits seit drei Semestern in einem Ausnahmezustand befinden, weitgehend ohne Präsenzveranstaltungen, mit sehr eingeschränktem Kontakt zu Kommilitonen, ohne den so notwendigen lebendigen persönlichen Austausch im akademischen Betrieb“.

„Ich kann gar nicht wirklich sagen, was ein Studieren-Gefühl eigentlich ist. Das habe ich halbwegs im ersten Semester mitbekommen“, sagt Marle Thormählen. Die 20-Jährige studiert im vierten Semester Technikjournalismus an der Hochschule Bonn Rhein Sieg. Seit Beginn der Pandemie gibt es kaum persönlichen Austausch zu anderen Studierenden oder den Lehrenden. Treffen in der Bibliothek, Quatschen in der Mensa, Lerngruppen, Diskussionen beim Kaffee. Das alles ist nicht möglich. „Der Kontakt ist beschränkt auf eine große WhatsApp-Gruppe und die Vorlesungen. Aber dort wird natürlich nichts Persönliches besprochen“, sagt sie.

Doch der Lern-Alltag bleibt. Oft geht es um 8.45 Uhr mit der ersten Vorlesung los, und der Tag endet nicht vor 18 Uhr, nur mit kurzen Pausen dazwischen. An anderen Tagen, an denen es nicht so viele Vorlesungen und Seminare gibt, müssen Hausarbeiten geschrieben, Abgaben bearbeitet, Seminare nach- und vorbereitet werden.

Wo die Lehre brach liegt

„Das erfordert ein hohes Maß an Disziplin und Selbstverantwortung“, sagt die Kanzlerin der Alanus Hochschule, Myrle Dziak-Mahler. „Viele Hochschulen haben schnell und klug auf Online-Lehre umgestellt und damit sehr verantwortlich reagiert.“ Aber in Fächern mit Labortätigkeiten und künstlerischen Schwerpunkten liege die Lehre zeitweise total brach. „Da ist die Situation dramatisch. Ich weiß auch von anderen Kunstakademien wie in Düsseldorf, dass die Studierende unter der Situation massiv leiden“, sagt sie.

An ihrer Alanus Hochschule bietet sie den Studierenden Treffen an, wo sie sich einmal aussprechen können. „Natürlich machen sie sich Sorgen um ihren Abschluss“, sagt sie, aber die jungen Leute fragten sich auch selbstkritisch, was sie über sich selbst und ihre Rolle in der Gesellschaft lernen könnten. „Gerade die Studierenden, die künstlerische Berufe anstreben, machen sich sowieso immer mehr Sorgen um ihren Lebensunterhalt.“ Wer Tanz, Darstellende oder Bildende Kunst studiert, frage sich in diesen Zeiten umso mehr, was die Kunst der Gesellschaft eigentlich noch bedeute?

Und dann komme noch die Isolation und der fehlende Austausch hinzu. Viele ziehen zurück ins Elternhaus - ins einstige Kinderzimmer, auch, weil ein Nebenjob fehlt, um das eigene Zimmer noch finanzieren zu können. „Ich kann mir vorstellen, dass viele Studierende mit der Isolierung zu kämpfen haben“, bestätigt Thormählen. Sie lebe glücklicherweise mit ihrem Freund zusammen. „Wenn ich alleine wäre, wäre mir die Decke bestimmt öfters öfter auf den Kopf gefallen“, sagt sie.

Viele Studienabbrecher

Christina Hunold, die an der Alanus Hochschule Kunst/Pädagogik/Therapie studiert, lebt bei ihren Eltern in Bonn. „Eigentlich hatte ich vor auszuziehen“, sagt sie. „Aber diese Pläne habe ich wegen der Pandemie erst einmal verschoben.“ Die 23-Jährige ist im sechsten Semester und macht gerade ihren Bachelor. „Die Hälfte meines Studiums habe ich in Pandemiezeiten absolviert.“ Die Gesamtsituation empfinde sie, so wie ihre Kommilitonen, als „sehr sehr belastend“.

Das bestätigt auch der Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks (DSW), Achim Meyer auf der Heyde. Er sagt, Studierende hätten zunehmend mit psychosozialen Belastungen zu kämpfen: „Die Studierenden brauchen dringend neben einer klaren Test- und Impfstrategie sowie einer Öffnungsperspektive nun dringend auch erweiterte Unterstützungs- und Beratungsangebote von Hochschulen und Studentenwerken, um pandemiebedingten Lernrückständen und psychosozialen Belastungen wirksam begegnen zu können.“

Bei den Erst- und Zweitsemestern seien die Studienabbrüche überdurchschnittlich hoch, weiß Hunold, weil sie sich bei der Studienberatung engagiert. „Viele bekommen Zweifel, ob das alles noch richtig ist, was sie tun. Hinzu kommen neben der psychischen Belastung finanzielle Probleme“, so Hunold. Dann kommen andere Zwänge hinzu: „Normalerweise müssen wir drei Praktika während unseres Studiums absolvieren. Das hilft uns auch, uns zu orientieren. Das fehlt jetzt.“

Der Austausch ist wichtig

In ihren Meetings mit den Studierenden rate sie, sie mögen doch mal überlegen, was sie selbst über sich gelernt haben, sagt Dziak-Mahler: „Da kommen Reaktionen wie: ‚Ich komme besser mit mir klar als ich dachte‘. Oder: ‚Ich bin auf mich zurückgeworfen worden. Diese Erfahrung, dass ich alleine mit mir zurechtkomme, wird mir in meinem Leben helfen.‘ Oder: ‚Ich habe gar nicht gewusst, wie diszipliniert ich sein kann.‘ Aber vielen wird auch bewusst, wie sehr sie den physischen Austausch brauchen.“

Dennoch: Die Studierenden gewinnen zunehmend das Gefühl, dass die Gesellschaft sie nicht wahrnimmt. „Ich habe das Gefühl, dass Studierende nicht gesehen werden“, sagt Thormählen. So wie sie äußern viele nur zögerlich ihre Erwartungen. „Ich möchte mich nicht beschweren, weil ich dankbar bin, in einem guten Umfeld zu leben“, sagt Christina Hunold. Die beiden Studierenden sagen, es sei selbstverständlich gewesen, dass die Älteren und Vulnerablen bei der Impfung vorgezogen wurden.

„Zu Beginn war die Impfstrategie klar und strukturiert, dann kamen Stück für Stück immer mehr Unschärfen hinein“, sagt Hunold. Natürlich sei es „super schwer“, die Lebensumstände von Menschen zu vergleichen. „Wir Jungen haben nicht so viel Lebenserfahrung, wir stehen vor einem Scheideweg, in einem Lebensabschnitt, wo wir Entscheidungen treffen müssen und wo der Austausch ungemein wichtig ist. Und da fühle ich mich manchmal ein wenig verloren. ‚Lost‘ - das ist ein gutes Wort. Denn es schleicht sich immer mehr das Gefühl ein, dass niemand an uns denkt.“

Sich solidarisch verhalten

Die meisten Studierenden verfolgten die Diskussionen um Impfstrategien und Privilegien für Geimpfte wie Zaungäste, die nichts zu sagen haben. „Alle diese Menschen haben sicherlich berechtigte Interessen daran, ihre Impfung zu bekommen. Aber gerade in Zeiten, wo alle mit dem Finger auf andere zeigen und sich selbst in den Mittelpunkt stellen, möchte ich mich ungern an solchen Debatten beteiligen“, sagt Hunold. „Mir ist es wichtig, mich moralisch richtig und solidarisch zu verhalten, aber ich finde, es fehlt an Transparenz. Ich hatte das Glück durch meinen Job als studentische Hilfskraft in eine höhere Priorisierungsgruppe zu kommen", sagt Thormählen. Doch so wie ihr erging es nur den wenigsten Studierenden.

Durch das Aufheben der Priorisierung sei nun zumindest eine Situation geschaffen worden, wo sich Studierende nicht mehr strukturell und systematisch ausgeschlossen fühlen müssten, sagt Myrle Dziak-Mahler. Aber sie betont, die Gesellschaft müsse die Leistung der Jungen würdigen. Das könne sie beispielsweise tun, indem sie mehr Offenheit für die Entwicklung der jungen Leute zeige. „Sollten wir ‚Alten‘ nicht etwas großzügiger gegenüber den jungen Leuten sein und stolz auf das sein, was sie geleistet haben?“

„Ich würde mir sehr wünschen, dass wir ab dem Wintersemester wieder zur Hochschule gehen dürften. Oder dass es wenigstens ein Konzept gäbe, das es uns ermöglicht, etwas mehr Präsenz an der Hochschule zu haben, vielleicht eine Hybridlösung, wie es sie für die Schulen auch gab“, sagt Thormählen.„Es ist wichtig, mehr Lehre möglich zu machen“, sagt auch die Kanzlerin der Alanus Hochschule. Das hätte man auch zuvor schon machen können, indem man eben flächendeckend testet. „Das wäre relativ einfach gewesen, weil es sich hier um Erwachsene handelt“, sagt sie. Die Hochschule tue alles dafür, dass es ab dem Wintersemester wenigstens einen eingeschränkten Regelbetrieb gebe. „Die Studierenden stehen für uns im Mittelpunkt“, sagt sie. „Unsere Leitlinie lautet, so viel Präsenz wie möglich und verantwortbar.“

H-BRS fordert Impfangebot für Studierende

So sieht es auch der Vizepräsident der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg (H-BRS), Marco Winzker, der für Studium, Lehre und Weiterbildung zuständig ist. Damit die Präsenzlehre wieder funktioniert, „müssen Studierende ein Impfangebot mit Immunisierung zum Semesterbeginn erhalten". Die Hochschullehre sei für junge Menschen eine wichtige Möglichkeit zur Gestaltung ihres Lebensweges. „Darüber hinaus profitiert die Gesellschaft von dem Wissen und den Kompetenzen, die die Studierenden an der Hochschule erwerben. Die Investition in Impfungen und den einfachen Nachweis einer Immunisierung rentiert sich also nicht nur menschlich, sondern auch in harten Zahlen."

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