Dicht an dicht im RE9 Regionalexpress sorgt bei Pendlern weiter für Ärger

HENNEF · Bahnhof Hennef, Dienstagmorgen, acht Uhr: An Gleis 1 drängen sich die Menschen. Als um 8.09 Uhr - pünktlich - der Regionalexpress 9 einfährt, werden die müden Gesichter wacher. Aktentaschen werden unter den Arm geklemmt, Handys in der Brusttasche verstaut, der Becher Kaffee geleert. Beine setzen sich in Bewegung, Arme nehmen Abwehrhaltung ein: Pendler-Alltag.

"Als erfahrener Pendler weiß man, wo man einsteigen muss, um nachher möglichst günstig aussteigen zu können", sagt Martin Grünewald mit einem Augenzwinkern. Er gehört zu den vielen Menschen, die jeden Morgen von Hennef aus Richtung Köln zur Arbeit fahren, und man kann ihn mit Fug und Recht als erfahrenen Pendler bezeichnen: Seit 27 Jahren fährt er ausschließlich mit der Bahn zur Arbeit, zunächst von seiner Heimatstadt Essen aus nach Köln, seit 19 Jahren von seiner Wahlheimat Hennef aus.

Dort steigt er an diesem Morgen mit vielen anderen in den RE9 - doch das ist gar nicht so einfach. Jeder will der Erste an der Tür sein, Ellbogen werden ausgefahren, der eine drängelt, der andere schimpft: "Ist ja wieder unmöglich heute", murmelt ein Mann, der mit seinem großen Rucksack kaum durch die Tür passt. Ein Junge, der sich an der Seite eines Freundes in die Ban schiebt, sagt es drastischer: "Ich hasse diesen Zug, Alter."

Martin Grünewald hasst diesen Zug nicht: Er habe sich vor vielen Jahren bewusst dafür entschieden, das Auto gegen die Bahn einzutauschen: "Wer hat schon einen Chauffeur, der ihn zur Arbeit bringt?" Zuletzt ist bei ihm gleichwohl, wenn schon nicht Reue, so doch leiser Zweifel aufgekommen. Denn die tägliche Bahnfahrt, die es ihm eigentlich ermöglichen soll, morgens in Ruhe seine Zeitung zu lesen, die ihm den Stress des Staus und das Geld für Benzin ersparen soll - diese Bahnfahrt ist in Martin Grünewalds Wahrnehmung zuletzt zunehmend anstrengender geworden.

Der 57-Jährige drängelt nicht, geht aber zielstrebig nach links, als er den Zug betreten hat, und erklimmt die Stufen, die auf die leicht erhöhte Ebene des Wagens führen. "Hier bekommt man eher mal einen Sitzplatz", verrät er, "dafür ist aber die Klimaanlage häufig so kalt eingestellt, dass man es in der Nähe des Durchgangs kaum aushält." Die Klimaanlage stört heute nicht, doch einen Sitzplatz gibt es auch nicht: Alles ist besetzt, im Gang stehen die Fahrgäste bereits dicht an dicht, in einer Nische sind vier Koffer wacklig übereinander gestapelt, weil sie nicht in die kleinen Ablagen über den Sitzen passen.

Die Siegstrecke ist eine der am stärksten belasteten Bahnrouten im Rheinland. Und Hennef ist eine typische Pendlerstadt: Von den gut 23.000 Erwerbstätigen, die dort wohnen, arbeiten mehr als 15.000 nicht in Hennef, sondern "pendeln aus"- zum Beispiel mit der Bahn.

Gerade der RE9 sorgt bei den Pendler seit Monaten für Verdruss: Seit Juni 2012 werden die eigens für die Siegstrecke eingekauften neuen Talent-2-Züge eingesetzt, die allerdings noch technische Probleme, etwa mit der Türsteuerung, aufweisen. Fahrgäste bemängeln vor allem, dass die Züge regelmäßig überfüllt seien, so dass viele stehen müssen.

Martin Grünewald hat sich günstig positioniert und ergattert bei einem Halt einen Sitzplatz in einer Vierergruppe. "Gut, dass der Sitz am Gang liegt", sagt er. Ansonsten hätte er seine Aktentasche jetzt nicht auf den Schoß legen können: Die Ablagefläche über dem kleinen Mülleimer hätte gestört. Überhaupt ist es eng im Talent: Grünewald gegenüber sitzt ein anderer Mann, die Knie der beiden berühren sich. Ein Fahrgast versucht, sich im Gedränge seiner Jacke zu entledigen, gibt schließlich auf und behält sie an.

Martin Grünewald ist kein Stänkerer, und er findet auch nicht alles am "neuen" RE9 schlecht: "Die Verspätungen waren früher schlimmer, als der Zug noch bis nach Krefeld fuhr." Trotzdem: "In vieler Hinsicht ist dieser Zug eine Fehlkonstruktion,und die Enge ist programmiert."

Grünewald fährt inzwischen nur noch ausnahmsweise mit dem Regionalexpress. Er nimmt lieber die S-Bahn, obwohl sie öfter hält und somit länger braucht: "Dafür ist sie pünktlich, und ich bekomme einen Sitzplatz." Seine Versuche, Bekannte und Kollegen zu "missionieren", ebenfalls auf den öffentlichen Nahverkehr umzusteigen, hat er aufgegeben: "Unter diesen Umständen kann ich keinen Autofahrer mehr von der Bahn überzeugen."

8.38 Uhr, der RE9 fährt - fast pünktlich - in den Kölner Hauptbahnhof ein. Martin Grünewald arbeitet in der Nähe, muss nur kurz zu Fuß gehen. Für ihn steht fest: "Ich bleibe Bahnfahrer." Auf dem Rückweg nach Hennef will er aber wieder die S-Bahn nehmen.

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