Henneferin kämpft um Förderung ihrer Tochter Rhein-Sieg-Kreis lehnt Schulbegleitung zu Hause ab

Hennef · Lucia Schneider kämpft dafür, dass ihre behinderte Tochter auch zu Hause von ihrer Schulbegleiterin betreut wird. Laut Kreisverwaltung ist diese Form der Förderung aber an den Schulbetrieb gekoppelt. Ein Elternverband steht auf Schneiders Seite, denn Kinder mit Förderbedarf trifft die Schulschließung besonders.

 Auf Kontakte außerhalb der Familie angewiesen: Sike (r.) mit ihrer Mutter Lucia Schneider.

Auf Kontakte außerhalb der Familie angewiesen: Sike (r.) mit ihrer Mutter Lucia Schneider.

Foto: Ingo Eisner

Lucia Schneider ist verunsichert: In Zeiten geschlossener Schulen ist Homeschooling angesagt, allerdings funktioniert das bei Kindern mit Förderbedarf in der Regel nur mit Schulbegleitung. Schneiders 15-jährige geistig behinderte Tochter Sike besucht normalerweise die Gesamtschule Hennef-West und wird dabei von Rita Menzel begleitet, die aber derzeit in Kurzarbeit ist und Sike erst wieder betreuen darf, wenn die Schulen wieder öffnen.

Das Kreissozialamt prüfte auf Lucia Schneiders Bitte hin, ob Menzel Sike drei Stunden pro Woche fördern und betreuen darf. Ergebnis: „Ich bekam eine abschlägige Antwort mit der Begründung, dass aktuell ja kein Unterricht in der Schule stattfindet.“

Alternative laut Kreis: eine Freizeitassistenz

„Die für Frau Schneider bewilligte Schulbegleiterin kann laut Corona-Verordnung ihrer Tätigkeit nur während des Schulbetriebes nachgehen, allerdings nicht während der Zeit des Homeschoolings“, erläutert Kreissprecherin Rita Lorenz auf GA-Anfrage.

„Der Kreis hat ihr allerdings eine Freizeitassistenz angeboten. Zudem kann sie, während sie arbeitet, auch die Notbetreuung für ihre Tochter in Anspruch nehmen, während der die Schulbegleiterin wieder dabei ist“.

Ohne Schulbegleiter drohen Rückschritte

„Schulbegleitung ist nicht mit einer Freizeitassistenz vergleichbar“, sagt dazu Schneider. Und Sikes Lehrerin Naomi Rübel weiß: „Ohne Unterstützung durch ihre Schulbegleiterin ist Sike von Rückschritten in vielen Lernbereichen bedroht.“

Obwohl derzeit für die Mehrzahl der Schüler nach wie vor kein Unterricht in der Schule stattfindet, sollen sie weiterhin zu Hause Aufgaben erfüllen, damit keine großen Lücken entstehen. „Wie soll das alles bei Sike gelingen, die schon im regulären Schulbetrieb Begleitung braucht? Wie soll meine Tochter zu Hause plötzlich alle Aufgaben ohne Hilfe gestemmt bekommen?“, fragt sich Lucia Schneider.

Auf Kontakte außerhalb der Familie angewiesen

Zwar könne sie als Lehrerin ihre Tochter bei vielen Dingen unterstützen, die den normalen Unterricht betreffen wie Lesen und Schreiben.

Die Schulbegleiterin sei allerdings für Sike wichtig, was Sprache, körperliche Motorik und das Sozial-Emotionale angeht. „Aktuell hat Sike nur persönlichen Kontakt zu mir, ihrem Stiefvater und ihrer Schwester. Ohne die Schulbegleiterin ist der Prozess, Kontakte und Beziehungen zu anderen Personen außerhalb der Kernfamilie aufzubauen und zu pflegen, um eine Fixierung auf unseren Kreis zu vermeiden, für Sike unterbrochen“, so Schneider.

Elternverband sieht Bildungsteilhabe in Gefahr

Laut dem Düsseldorfer Elternverband Gemeinsam Leben und Lernen werden Kinder mit Förderbedarf derzeit an der Bildungsteilhabe gehindert.

„Rechtlich ist dies nicht haltbar, weil die Schulbegleitungen nach Sozialgesetzbuch ausdrücklich die Teilhabe an Bildung sicherstellen sollen. Dies muss auch gelten, wenn die Schulen geschlossen sind und die Kinder zu Hause lernen sollen“, stellen die Vorsitzende Heike Götz und ihr Stellvertreter Michael Rieder fest.

In einem Brief fordert der Verein nun die NRW-Ministerien für Schule, Gesundheit und Familie auf, landesweit schnellstmöglich für Klarheit zu sorgen und diesem „Skandal“ ein Ende zu bereiten.

Zumal es etwa in Köln möglich sei, dass Schüler auch im Homeschooling von ihren Schulbegleitungen unterstützt werden. „Hier scheinen die Düsseldorfer Ämter die Zeichen der Zeit noch nicht richtig erkannt zu haben“, sagt Götz.

„Der Begriff Inklusion verblasst hier zu einer bedeutungsleeren Worthülse“, so Rieder. „Bereits seit Wochen warten Kinder mit Förderbedarf darauf, ihr Recht zu erhalten.“ Ein Handeln der Ämter sei längst überfällig.

„Wenn die Eltern also entweder im Homeoffice beschäftigt sind oder aber aus anderen Gründen nicht helfen können oder sich die Kinder nicht helfen lassen, da ihr gewohntes Lern­umfeld inklusive Schulbegleitung nicht da ist, haben diese Kinder keinerlei Chance, in diesen schwierigen Wochen nur irgendetwas zu lernen“, so Götz und Rieder.

Wenigstens kann Lucia Schneider die Notbetreuung für Sike in Anspruch nehmen, wenn sie ihren Dienst als Lehrerin an einer Bonner Hauptschule demnächst wieder antritt.

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