Schwurgericht Bonn Warum tötete die 22-Jährige ihr Baby nach der Geburt?

HENNEF/BONN · Das Bonner Schwurgericht sucht seit Dienstag nach Erklärungen, wie es zu der Tat kam. Die Anklage wirft der Henneferin Totschlag vor. Mit leiser Stimme beantwortete diese zwar alle Fragen. Doch nachvollziehbare Erklärungen konnte sie nicht geben.

Warum hat die junge Frau auf der Anklagebank ihr Baby am 16. November sofort nach der Geburt in ihrem Zimmer in der elterlichen Wohnung in Hennef getötet? Warum hat sie ihre Schwangerschaft bis zuletzt verheimlicht, und warum hat niemand aus ihrem Umfeld nachgehakt, als sie unübersehbar hochschwanger war?

Diese Fragen beschäftigen seit gestern das Bonner Schwurgericht, vor dem sich die 22-Jährige wegen Totschlags verantworten muss. Mit leiser Stimme beantwortet die zierliche Angeklagte zwar alle Fragen. Doch nachvollziehbare Erklärungen kann sie nicht geben.

Nur so viel ist zu erfahren: Als sie im Mai 2012 vom Arzt erfuhr, dass sie schwanger war, war sie geschockt. Im Februar hatten ihr Freund und sie sich getrennt. "Ich habe geweint", sagt sie nun. Dann sei sie nach Hause gegangen, habe sich hingelegt, und als ihr beim Aufwachen einfiel, dass sie schwanger war, habe sie das sofort verdrängt. "Ich habe es in eine Schublade gepackt und nicht mehr reingesehen", sagt sie. Nur ihrem Ex-Freund habe sie von der Schwangerschaft berichtet, doch der habe ihr nicht geglaubt.

Nach stundenlangem Nachhaken durch das Gericht erklärt sie schließlich, warum sie nicht mit ihren Eltern sprach, bei denen sie ja wohnte: "Die hatten schon genug Probleme, da wollte ich ihnen nicht noch eins machen." Wie sie berichtete, war das Familienleben seit langem schwierig.

Seitdem ihr Vater, ein Bundeswehroffizier, eine andere Frau hatte, habe ihre Mutter angefangen zu trinken und im Frühjahr 2012 versucht, sich das Leben zu nehmen. "Ich habe sie gefunden", sagt die 22-Jährige. Danach habe man in der Familie nie wieder darüber geredet, wie überhaupt Sprachlosigkeit das Zusammensein in der Familie bestimmte: Probleme wurden totgeschwiegen.

Als sie am Abend des 15. November heftige Wehen bekam, merkte es niemand. Morgens, nachdem die Eltern zur Arbeit gegangen waren, kam das Kind. Ein Junge. Er schrie, sagt sie. Sie weint und kann nicht weiterreden. Nach einer kurzen Pause sagt sie: "Ich habe ihm ein Kissen aufs Gesicht gedrückt."

Und dann? "Dann habe ich wie ein Roboter alles weggeräumt und in Mülltüten gepackt." Dann sei sie eingeschlafen. Als sie aufwachte, blutete sie so stark, dass sie mit einem Taxi in die Klinik fuhr und sofort operiert wurde. Ihre Erklärung, sie habe das Neugeborene in eine Babyklappe gelegt, überzeugte nicht. Die Polizei wurde eingeschaltet, sie gestand und landete bis Januar in U-Haft. Seitdem macht sie eine Therapie. Wenn möglich, will sie nach dem Urteil mit ihrer Mutter woanders neu anfangen, sagt sie.

Geredet haben sie und die Mutter jedoch nie über die Tat. Für das Gericht völlig unverständlich, wie es erklärt. Und als die Mutter im Zeugenstand einräumt, sehr wohl von einer Schwangerschaft ausgegangen zu sein, versteht die Kammer die 46-Jährige gar nicht mehr. "Hatten Sie denn keine Angst um Ihre Tochter", fragt Richterin Anke Klatte und hält ihr vor: Diese Vogel-Strauß-Haltung habe schon einmal zur Tragödie geführt. "So helfen Sie Ihrer Tochter nicht. Die hat noch einen schweren Weg vor sich."

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