Lesung in Niederkassel Ein Mix aus Realität und Fantasie

NIEDERKASSEL · Es ist sehr ruhig am Montagabend im Rheidter Pfarrsaal. Rund 30 interessierte Zuhörer haben sich dort eingefunden, um der ebenso ruhigen und nur leicht rhythmisch schwingenden Stimme des Vorlesers seines eigenen Buches, Gerd Schneider, zu lauschen. Fast bescheiden trägt Schneider aus "Kafkas Puppe" vor.

 War Franz Kafka ein Irrer? Mit dieser Frage begann Gerd Schneiders Interesse an dem Autor.

War Franz Kafka ein Irrer? Mit dieser Frage begann Gerd Schneiders Interesse an dem Autor.

Foto: MARTINA WELT

Er nimmt seine überwiegend weiblichen Zuhörerinnen mit und lässt sie den berühmten Schriftsteller auf seinem letzten Weg begleiten. Es ist wunderbar, wie dabei aus der kunstvollen und so realitätsnahen Verquickung von biografischen Elementen und reiner Fantasie ein Lebensabschnitt Franz Kafkas in unendlich vielen Details erwacht, die sehr wohl so hätten sein können, mit großer Wahrscheinlichkeit sich aber anders zugetragen haben.

Sowohl die Begegnung mit dem Mädchen im Park, das um seine Puppe weint, als auch die Puppenbriefe, die Kafka daraufhin schreibt, um sie zu trösten, soll es gegeben haben. Entsprechend aufregend waren die Zeiten für Schneider, als intensiv nach diesen Briefen gesucht wurde, berichtet der Autor seinen Zuhörern. Auf jeden Dachboden sei der Verleger damals gekrochen, in der Hoffnung, die Briefe zu finden. Bis heute seien sie jedoch verschollen - möglicherweise in einer Bombennacht verbrannt. "Für mich ein Glück, sonst hätte ich meine Manuskripte in die Tonne werfen können", verrät er.

Drei Anläufe benötigte der 72-Jährige, bevor dieses Buch so war, wie es sein sollte. Die dritte Fassung beschreibt in unaufdringlicher Sprache die Begegnung mit Lena, deren Puppe abhanden gekommen ist und die Kafka zunächst in seinen Briefen am Leben erhält, bevor sie von Kafkas damaliger Freundin Dora Diamant wiederhergestellt wird.

Erst 20 Jahre später schließt sich der Kreis im Konzentrationslager Theresienstadt, wo Lena als Seiltänzerin auftritt und ihre Puppe von damals wiedersieht. Für Lena ein Zeichen zum Aufbruch in eine andere Welt. Wohin auch immer, denn auf diese Frage weiß auch Schneider keine Antwort. Es sei ein poetischer Schluss mit tragischer Komponente, beantwortet er eine entsprechende Nachfrage aus dem Publikum, denn natürlich seien viele Bewohner aus Theresienstadt deportiert worden und später gestorben. Begonnen hat Gerd Schneiders Interesse für Franz Kafka schon in der Schule, als sein damaliger Deutschlehrer meinte, Franz Kafka sei ein Irrer gewesen.

"Das hat mich interessiert, ich wollte sehen, ob es stimmt." Bis heute ist dieses Interesse geblieben, denn "Kafka kann man immer wieder lesen und versteht dann immer mehr."

Die meisten der Besucher kannten Schneiders Werk über Kafka letzten Lebensabschnitt bereits, denn sie hatten zuvor an der Literaturwerkstatt des Katholischen Bildungswerks Rhein-Sieg teilgenommen und dort das Buch gelesen. Die Leiterin Susanne Emschermann kam auf die Idee, eine Lesung zu organisieren, die bei ihren Schülern und darüber hinaus auf großes Interesse stieß.

0 "Kafkas Puppe" ist 2008 im Arena-Verlag bereits in zweiter Auflage erschienen. Es gibt auch eine Taschenbuchauflage. Das Buch über die letzten Monate des Schriftstellers Franz Kafka wurde in mehreren Sprachen übersetzt.

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