Kirchenasyl in Niederkassel Gemeinde bewahrte schon sieben Mal Geflüchtete vor der Abschiebung

Niederkassel · Kirchenasyl ist eine alte Schutztradition. Auch heute noch ist sie für Geflüchtete oft die letzte Möglichkeit, ihren Asylantrag neu prüfen zu lassen. Nicht alle Gemeinden in der Region gewähren diesen Schutz. Wir stellen eine vor, die damit schon sieben Mal erfolgreich war.

 Es muss nicht die Kirche sein, aber ein Raum, der der Gemeinde gehört - das ist die Voraussetzung für Kirchenasyl. (Symbolfoto)

Es muss nicht die Kirche sein, aber ein Raum, der der Gemeinde gehört - das ist die Voraussetzung für Kirchenasyl. (Symbolfoto)

Foto: picture alliance / Axel Heimken//Axel Heimken

Bereits sieben Mal bewahrte die evangelische Kirchengemeinde in Niederkassel Geflüchtete mit einem abgelehnten Asylbescheid vor der Abschiebung. Möglich macht das eine uralte Schutztradition – das Kirchenasyl. „Diese Form von Hilfe in einer vermeintlich ausweglosen Situation können nur wir Kirchen anbieten“, erklärt die Niederkasseler Pfarrerin Katharina Stork-Denker die besondere Regelung. Das Bundesministerium für Migration (BAMF) duldet diesen Schutzraum. Voraussetzung dafür: Die aufgenommenen Geflüchteten sind in der Gemeinde untergebracht und haben dort eine Meldeadresse. Kirchenasyl setzt voraus, dass durch eine Abschiebung in das Heimatland oder ein Drittland Gefahren für Leib und Seele, Leben oder Freiheit bestehen. „Wir können nicht das Asylrecht überprüfen, jedoch einschätzen, ob es sich um einen Härtefall handelt“, sagt Stork-Denker. Die Kirchengemeinde initiiert dann, dass das BAMF den Einzelfall noch einmal prüft.

So wie im Fall einer alleinstehenden Iranerin, die mit ihrem Kind bis vor wenigen Wochen im Kirchenasyl in der Emmauskirche in Niederkassel untergebracht war. Das BAMF hatte den Asylantrag der Iranerin abgelehnt, da sie bei ihrer Flucht bereits in einem anderen EU-Land mit ihren Personalien erfasst worden war. Laut Dublin-III-Verordnung ist dann dieses EU-Land zuständig. Innerhalb von sechs Monaten muss dorthin abgeschoben werden, ansonsten muss doch das BAMF über die Möglichkeit von Asyl in Deutschland entscheiden.

Intervention gegen unmenschliche Abschiebepraxis

„Bei einer alleinstehenden Frau mit Kind besteht die Gefahr, dass sie zum Beispiel im Abschiebeland in die Zwangs-Prostitution gerät“, sagt Stork-Denker. Das bestätigt auch Benedikt Kern vom Ökumenischen Netzwerk Asyl in der Kirche NRW: „Die sozialen Bedingungen beispielsweise in Bulgarien, Polen, Kroatien oder Rumänien sind katastrophal für Geflüchtete.“ Oft gebe es keine vernünftige medizinische Versorgung. Die Behörden und Gerichte hätten oft eine andere Vorstellung davon, was zumutbar sei. „Nur weil es legal ist, ist es aus unserer Sicht nicht zwangsläufig legitim“, ergänzt der 34-Jährige. Er sieht das Kirchenasyl als Intervention gegen eine unmenschliche Abschiebepraxis, als Möglichkeit, die Fairness des Systems zu hinterfragen.

Mit Einführung des Dublin-Verfahrens hat die Zahl der Kirchenasyl-Fälle stark zugenommen. Deutschlandweit befinden sich laut Kern rund 500 Geflüchtete im Kirchenasyl, davon seien 140 Fälle in NRW bekannt. Das Ökumenische Netzwerk Asyl in der Kirche betreibt in NRW drei Beratungsstellen: in Köln, Münster und Bielefeld. Dort melden sich viele Geflüchtete, deren Anwälte oder andere Beratungsstellen mit Anfragen für Kirchenasyl. „Wir haben derzeit rund 170 Geflüchtete auf der Warteliste, da wir nicht für alle in Frage kommenden Fälle eine Gemeinde finden“, sagt Kern. Gerade durch große Flüchtlingsheime, sogenannte Zentrale Unterbringungseinrichtungen (ZUE) habe der individuelle Kontakt zu Gemeinden oder Ehrenamtlichen abgenommen. Und je größer der Radius sei, in dem man nach einer passenden Gemeinde suche, umso seltener sei eine Zusage.

Dazu komme die mangelnde Erfahrung vieler Gemeinden mit dem Kirchenasyl. „Es gab schon die Vorstellung, dass man die Geflüchteten notfalls in einem Schlafsack im Beichtstuhl schlafen lassen müsse“, berichtet Kern. Dabei komme für die Unterkunft jedes Gebäude in Frage, in dem die Gemeinde Hausrecht habe, auch Gemeindezentren oder Altenheime. „Auch bei der Finanzierung haben wir noch immer eine Lösung gefunden. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.“ So sieht es auch Pfarrerin Stork-Denker: „Weil wir es können, sollten wir die Möglichkeit des Kirchenasyls auch nutzen“, betont die Pfarrerin.

Auch andere Gemeinden sollen helfen

Sie möchte auch andere Gemeinden für das Thema sensibilisieren. „Auf der Kreissynode Anfang November wurden alle evangelischen Gemeinden im Kirchenkreis an Sieg und Rhein gebeten, eine Haltung zur Frage des Kirchenasyls zu bilden, damit diese Arbeit von möglichst vielen Gemeinden getragen wird und eine bessere Vernetzung erreicht wird“, ergänzt sie. Die Kosten werden meistens durch die Gemeinde, Diakoniemittel und Spenden gedeckt. Ein Team von Ehrenamtlichen wäre ideal, sagt die 47-Jährige, jedoch bleibe viel Bürokratie bei den Hauptamtlichen hängen. Ein klares Votum für das Kirchenasyl im betreffenden Kirchenvorstand oder Presbyterium ist Voraussetzung.

Gemeinsam mit Experten des Ökumenischen Netzwerks Asyl in der Kirche in NRW, der Flüchtlingsberatung des Diakonischen Werkes, verfasste auch die Niederkasseler evangelische Kirchengemeinde für jeden aufgenommenen Geflüchteten ein Dossier, in dem die persönliche Geschichte und die Risiken bei einer Abschiebung aufgeführt wurden.

Ein Einlenken der Behörden vor Ablauf der sechsmonatigen Überstellfrist ist jedoch sehr selten. „In weniger als zwei Prozent erkennt das BAMF in der Selbstrevision den Härtefall an", bestätigt Benedikt Kern. Im Fall der Iranerin Saghi Entezami, der 2018 in Niederkassel Kirchenasyl gewährt wurde, hatten das Dossier und ein psychologisches Gutachten Erfolg. Die heute 31-Jährige war nach der Flucht ihrer Eltern im Iran bedroht und verfolgt worden und verlor unter anderem ihre Arbeitsstelle. Das BAMF entschied, von einer Rückführung abzusehen und ermöglichte ihr das Asylverfahren in Deutschland. Inzwischen lebt die studierte Grafik-Designerin in der Nähe ihrer Eltern in Niederkassel.

In den anderen sechs Fällen von Kirchenasyl in Niederkassel kam es ebenfalls zu keiner Abschiebung. „In nahezu allen Fällen enden die Kirchenasyle erfolgreich mit der Übernahme ins nationale Asylverfahren“, erklärt Benedikt Kern. Das bedeutet aber auch die erneute Zuweisung in eine öffentliche Unterkunft. „Das ist natürlich nicht leicht, aber man bleibt trotzdem in der Verantwortung durch die aufgebaute Beziehung“, sagt Katharina Stork-Denker.

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