Arbeiter in der Türkei angeheuert Unternehmer aus Niederkassel prellt Sozialkasse um elf Millionen

Niederkassel/Bonn · Sie wurden zum Schein in einer türkischen Baufirma angeheuert, aber anschließend in Deutschland auf diversen Baustellen eingesetzt. Ein Bauunternehmer aus Niederkassel steht wegen Vorenthaltens von Sozialabgaben und Betrugs in 133 Fällen vor Gericht.

Die Bauarbeiter, die ein 55-jähriger Chef eines erfolgreichen Bau-Imperiums beschäftigte, kamen allesamt aus der Türkei. Sie wurden zum Schein in einer türkischen Baufirma angeheuert, aber anschließend in Deutschland auf diversen Baustellen eingesetzt. Wenn sie mit ihrem Job fertig waren, wurden sie wieder zurückgeschickt. In der Türkei jedoch haben sie nie auf einer Baustelle gearbeitet.

Mit diesem „mafiösen Konstrukt“, so Sebastian Buß, Sprecher der Bonner Staatsanwaltschaft, soll sich der Bauunternehmer aus Niederkassel viele Jahre lang um die Sozialabgaben für seine eingeflogenen Leiharbeiter gedrückt und bei der Deutschen Rentenversicherung einen Schaden von mindestens elf Millionen Euro angerichtet haben.

Der 55-jährige Chef des Bauunternehmens wurde am Donnerstag wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Sozialabgaben, gewerbsmäßigen Betrugs sowie Vereitelung einer Zwangsvollstreckung in 133 Fällen angeklagt.

Das Konstrukt des türkischstämmigen Angeklagten, so Buß, sei keinesfalls rechtmäßig und verstoße auch gegen das deutsch-türkische Sozialabkommen. Denn da die Arbeiter, die in den bundesweiten Bauprojekten des Angeklagten – darunter auch das Justizzentrum in Koblenz –, eingesetzt wurden, keinen Handschlag in der Türkei ausführt haben, hätten sie in Deutschland angemeldet werden müssen. Auf diese Weise, so der Behördensprecher, habe der 55-Jährige sich in den Jahren zwischen 2007 und 2016 der Sozialabgaben-Pflicht entzogen – und den Millionenschaden angerichtet.

Seit Dezember in Untersuchungshaft

Der Fall war 2011 durch eine anonyme Anzeige aufgeflogen. Wegen der komplexen Materie und der aufwendigen Schadensberechnung durch die Deutsche Rentenversicherung hatte die Bonner Anklagebehörde über sechs Jahre ermittelt.

Bei den Recherchen sei festgestellt worden, so Buß, dass die Baufirma in der Türkei nur „auf dem Papier existierte und ein reines Personalvermittlungsbüro“ war. Und dass kein Einziger der vielen Tausend Arbeiter jemals in der Türkei beschäftigt gewesen sei.

Tatsächlich, so der Sprecher, soll der Schaden sogar weit höher liegen: „Das Zahlenwerk ist das Unterste, was wir annehmen.“ Immerhin fordert die Rentenversicherung von dem Unternehmer in einem Zivilverfahren 20 Millionen Euro nach.

Der Bauunternehmer – Vater von vier Kindern – sitzt seit dem 22. Dezember 2017 in Untersuchungshaft. Um eine Inhaftierung zu verhindern, soll der 55-Jährige insgesamt acht Millionen Euro an Sicherheiten angeboten haben. Darunter dreieinhalb Millionen Euro Kaution sowie weitere viereinhalb Millionen Euro zur Absicherung möglicher Forderungen der Sozialkassen.

Aber die Haftverschonung wurde in der vergangenen Woche wegen Verdunklungsgefahr von den Haftprüfern verworfen: Denn der Angeklagte soll kurz zuvor einem Hauptbelastungszeugen Geld angeboten haben, damit er schweige. Der Zeuge, der in der Firma des Angeklagten gearbeitet hatte, soll die internen Machenschaften bestätigt haben. Der Angeklagte hingegen hat die Vorwürfe bislang bestritten.

Der aufwendige Prozess soll in diesem Sommer vor der 9. Großen Wirtschaftsstrafkammer des Bonner Landgerichts starten.

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