Gesamtschule Menden feiert Namensgebung Darum war Fritz Bauer so bedeutend

Sankt Augustin · Die Gesamtschule Menden in Sankt Augustin trägt den Namen des Initiators der Auschwitz-Prozesse. Der Journalist und Autor Ronen Steinke hat ein Buch über Fritz Bauer geschrieben und erläutert im Interview die Bedeutung des couragierten Juristen.

Fritz-Bauer-Gesamtschule: Diesen Namen trägt die weiterführende Schule in Sankt Augustin-Menden seit Schuljahresbeginn. Sie ist damit die erste Schule in Deutschland, die nach dem deutschen Juristen und Initiator der Auschwitz-Prozesse benannt ist. Am Freitag wird das offiziell gefeiert. Dazu sind nicht nur Politiker, Freunde und Förderer geladen. Mit Ronen Steinke ist auch der Autor der Biografie „Fritz Bauer: oder Auschwitz vor Gericht“ zu Gast. Warum es wichtig ist, die Erinnerung an Fritz Bauer wachzuhalten, davon erzählt Steinke im Interview mit Hannah Schmidt.

Warum ist Fritz Bauer so bedeutend?

Ronen Steinke: Fritz Bauer ist derjenige, der die Deutschen mit Auschwitz konfrontiert hat. Die Menschen in diesem Land haben nach dem Krieg größtenteils geschwiegen, verdrängt und versucht, die Verbrechen unter den Teppich zu kehren. So wäre es weitergegangen. Man hätte nur nach vorne geschaut und die Opfer einfach vergessen. Bauer hat dieses bleierne Schweigen der Adenauer-Zeit durchbrochen, indem er die Öffentlichkeit mit ein paar spektakulären juristischen Prozessen aufgeklärt hat. Er hat die Dinge auf die politische Tagesordnung gebracht, die Zeitungen berichteten dann breit. Das war sein Verdienst. Und es war wichtig. Es war wie eine Befreiung für eine junge Generation im Land, die endlich die Eltern zur Rede stellen wollte.

Warum haben die Menschen zu der Zeit nicht darüber sprechen können?

Steinke: Im Positiven kann man sagen, sie hatten vielleicht Schuldgefühle. Im Negativen, sie hatten keine Motivation, Selbstkritik zu üben. Die Opfer waren tot oder vertrieben. Die Täter saßen bequem in ihren Sesseln. Warum hätten sie sich jetzt bequemen sollen, über Schuld und Unrecht zu sprechen und den überlebenden Opfern Respekt zu zollen? Da braucht es jemanden, der sie zwingt. Der sie aufscheucht. Fritz Bauer hat damit begonnen. Er war zwar nicht der erste Jurist, der NS-Verbrecher in Deutschland vor Gericht brachte. Es gab schon vorher ein paar kleinere Prozesse gegen solche Täter, etwa den Ulmer Einsatztruppen-Prozess. Aber das waren alles nur kleine Nadelstiche. Leicht zu überhören.

Was waren Bauers größte Handlungen?

Steinke: Zum einen hat er 1963 den großen Frankfurter Auschwitzprozess initiiert. Der Name Auschwitz war vorher nicht in der Art geläufig, wie er es heute ist. Erst durch den Prozess wurde er zur Chiffre für den Holocaust. Bauer hat das Verfahren öffentlichkeitswirksam inszeniert und darauf bestanden, dass alle 22 Täter gleichzeitig angeklagt wurden, ähnlich wie bei den Nürnberger Prozessen 1945. Das war ungewöhnlich, aber dadurch hat er die Aufmerksamkeit der Welt bekommen. Wenn man sich die Erinnerungskultur in Deutschland anschaut, dann ist 1963 ein Wendejahr gewesen.

Und zum zweiten?

Steinke: Das andere ist, wie Bauer den obersten Organisator des Holocaust, Adolf Eichmann, nach Israel gebracht hat. Das ist erst nach seinem Tod bekannt geworden, er hat sich damit nicht geschmückt. Bauer bekam die Information, wo sich der ranghöchste noch lebende Naziverbrecher versteckt hielt. Aber Bauer steckte in einer unmöglichen Lage. Bauer war Generalstaatsanwalt in Frankfurt, aber in seinem eigenen juristischen Apparat hatte er schon oft erleben müssen, dass brisante Informationen über NS-Verdächtige durchgestochen wurden, dass also Bauers eigene Mitarbeiter ihn verrieten. So konnten Nazis immer wieder in letzter Minute vor ihrer Verhaftung fliehen. Bauer setzte sich also mit einer unglaublichen Courage über die Regeln hinweg, er folgte seinem Gewissen und schaltete den israelischen Geheimdienst ein. Das war die einzige Möglichkeit, Eichmann vor Gericht zu bringen. Das war natürlich illegal. Damit setzte Bauer seine Karriere aufs Spiel. Aber es war der einzige Weg. Das zeigt, aus was für einem Holz Bauer geschnitzt war.

Bauer war Jude, musste 1933 acht Monate ins Konzentrationslager. War sein Antrieb auch in seiner eigenen Geschichte begründet?

Steinke: Ihm wurde oft vorgeworfen, er sei befangen und von Rachegelüsten geleitet. Er hat aber immer dagegen gehalten. Er tue das alles, weil er Deutscher sei. Weil die Aufarbeitung der Vergangenheit und das Bekenntnis zur Menschenwürde im deutschen Interesse liege. Es war immer sehr gefährlich für ihn, sobald von seiner eigenen Biografie gesprochen wurde. Dabei waren die Gegner, die ihm diese Dinge vorgeworfen haben, oft selbst verstrickt – auf der Täterseite. Aber ihnen machte niemand den Vorwurf, dass sie befangen seien. Wie absurd. Es gab viele Richter, die auch zur Nazizeit gewirkt hatten, von denen keiner verurteilt worden war. Sie saßen nun wieder auf der Richterbank.

Viele Jahre war von Bauer nichts zu hören. Wie kommt es, dass er so lange in Vergessenheit geraten war?

Steinke: Er war unbequem, und die anderen Staatsanwälte mussten beschämt sein durch sein positives Beispiel. Bauer hat gezeigt: Man konnte die NS-Täter vor Gericht bringen, wenn man nur wollte. Entsprechend unbeliebt war er. Als er dann von einem auf den anderen Tag starb, bestand kein Interesse daran, die Erinnerung wachzuhalten.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, eine Biografie über Bauer zu schreiben?

Steinke: Ich habe während des Jurastudiums durch Zufall die Episode über Eichmann gelesen. Jemand, der so sehr seinem Gewissen folgt – das hat mich tief beeindruckt. Ich habe gesucht, was ich über ihn lesen kann, aber nichts gefunden. Selbst Professoren, die ich gefragt habe, wussten nichts. Es hat nie ein Jurist ein Buch über ihn geschrieben. Dann habe ich es irgendwann selbst gemacht. Kurze Zeit nach der Veröffentlichung meines Buchs stiftete Bundesjustizminister Heiko Maas einen Fritz-Bauer-Preis. Als ich gehört habe, dass die Gesamtschule in Sankt Augustin sich jetzt als erste Schule in Deutschland nach Bauer benennen wird, habe ich mich sehr gefreut. Chapeau, Sankt Augustin.

Bücher und Filme haben Bauer in den vergangenen Jahren in die Öffentlichkeit gebracht. Ist die Schulnamensgebung ein weiterer wichtiger Schritt, Fritz Bauer ins alltägliche Bewusstsein zu rufen?

Steinke: Filme schaut man an, dann ist es aber wieder vorbei. Straßen, Plätze oder Schulen zu benennen, ist in unserer Gesellschaft die gängige Form ernsthafter Ehrung. Da gehört Fritz Bauer hin. Wie viele Bundeswehr-Kasernen sind immer noch nach furchtbaren Antidemokraten benannt? Wir können es uns in einer Gesellschaft, die historisch so wenige Helden vorweist, nicht erlauben, dass andererseits so jemand wie Bauer vergessen wird. Es ist hoch anzuerkennen, dass Sankt Augustin da vorangeht.

Warum passt der Name Fritz Bauer aus Ihrer Sicht gut zu einer Schule?

Steinke: Fritz Bauer stand für Zivilcourage. Und Zivilcourage ist ein sehr passendes Stichwort für eine Schule, an der man ja nicht nur Rechnen und Schreiben lernt. Abgesehen davon hat Bauer immer in die Zukunft geschaut. Er glaubte immer, die nächste Generation wird eine bessere, und war Schülern und Studenten zugewandt.

Was können wir alle von Fritz Bauer lernen?

Steinke: Ganz einfach den Satz: Du musst Nein sagen. Wenn dir jemand befiehlt, Unrecht zu tun, dann musst du dich widersetzen. Es gibt kein Recht auf Gehorsam. Das hat Fritz Bauer in den 60er Jahren in einem Radiointerview gesagt, als er nach der Quintessenz seiner Prozesse gefragt wurde. Das ist eine Situation, in die wir alle mal geraten. Jeder hat einen Chef, Lehrer oder jemanden, der Macht über uns hat. Dem Gewissen treu zu bleiben, erfordert Mut. Dazu kann Fritz Bauer inspirieren.