Interview mit Kerstin Ullrich "Das Freiwillige Soziale Jahr hat mir viel gebracht"

SANKT AUGUSTIN · Weil sie noch nicht genau wusste, was sie nach dem Abitur machen wollte, entschied sich Kerstin Ullrich (21) für ein Freiwilliges Soziales Jahr. Sie absolvierte es beim Verein Karren in Sankt Augustin, der sich seit 30 Jahren um Menschen mit Behinderung kümmert, und begleitet zwei Kinder mit Behinderungen im Schulalltag.

Wie sieht Ihr Alltag als Schulbegleiterin aus?
Kerstin Ullrich: Ich betreue derzeit zwei neunjährige Kinder mit Behinderungen an der Heinrich-Hanselmann-Schule in Sankt Augustin. Ich erwarte die beiden morgens, wenn sie mit dem Bus zur Schule gebracht werden und unterstütze sie den ganzen Schulalltag hindurch. Konkret heißt das: Ich helfe den beiden bei den Aufgaben, die sie von ihrem Lehrer bekommen, betreue sie den Tag hindurch und kümmere mich auch um ihre Pflege und wickele sie zum Beispiel.

Warum haben Sie sich für das Praktikum entschieden?
Ullrich: Bereits seit der siebten Klasse habe ich den Wunsch, später einen sozialen Beruf auszuüben. Ich konnte mir aber nicht genau vorstellen, welche Art von Aufgaben das beinhaltet. Nun habe ich die Gelegenheit, in dieses Berufsfeld hineinzuschnuppern und lerne nebenbei auch noch die Arbeit von Logopäden und Ergotherapeuten kennen, wenn ich die Kinder zur ihren Therapiestunden begleite. Ab Sommer werde ich übrigens Erziehungswissenschaften studieren und dabei bestimmt oft von den Erfahrungen während des Praktikums profitieren.

Wie gefällt Ihnen das Praktikum?
Ullrich: Jeder Tag bringt etwas Neues, so wird es nie langweilig. Es ist schön, den Kindern zu helfen und ihnen etwas von mir zu geben. Es macht mich glücklich, wenn ich morgens in die Klasse komme und die Freude in den Gesichtern der Kinder sehe.

Gibt es auch manchmal schwierige Momente?
Ullrich: Als ein Mädchen, das ich anfangs betreute, einen epileptischen Anfall bekam, merkte ich, dass ich an meine Grenzen stieß. Auch die Pflege war anfangs ungewohnt. Aber inzwischen habe ich mich daran gewöhnt und auch das Wickeln gehört nun für mich zum Alltag.

Was nehmen Sie für sich aus dem Praktikum mit?
Ullrich: Ich habe gelernt, in größeren Dimensionen zu denken, weil unsere Perspektive auf unsere Mitmenschen im Alltag oft sehr eingeschränkt ist. Den meisten Leuten ist das Thema Behinderung zum Beispiel gar nicht präsent. Wenn sich im Bus oder in der Bahn jemand etwas "anders" verhält, reagieren wir meist schnell mit sehr pauschalisierenden Ansichten. Aber wenn wir mal genauer hinschauen, verstehen wir viel besser, warum jemand anders ist, vielleicht zum Beispiel aufgrund einer geistigen Behinderung. Das Jahr hat mir viel gebracht.

Woran werden Sie sich erinnern, wenn Sie an das Jahrespraktikum zurückdenken?
Ullrich: Ich werde viele schöne Erinnerungen mitnehmen. Oft sind es die kleinen Entwicklungsschritte, die einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Zum Beispiel werde ich nie vergessen, wie groß die Freude war, als ein Junge in unserer Klasse, der zuvor nie gesprochen hatte, plötzlich ein paar Silben sagte. So, wie ein anderer Junge, den ich anfangs betreute, heute noch nach mir fragt, werde auch ich mich regelmäßig nach den Kindern erkundigen und sie vermissen.

Wie haben Sie den Praktikumsplatz gefunden?
Ullrich: Eine Freundin hatte bereits ein Freiwilliges Soziales Jahr beim "Karren" gemacht und war total begeistert. Ich nahm Kontakt zur Geschäftsstelle auf, und dann ging alles ganz schnell. Innerhalb einer Woche hatte ich den Praktikumsplatz.

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