Stadtspaziergang durch Sankt Augustin Das "Ö" macht den Unterschied

SANKT AUGUSTIN · Sankt Augustin haftet seit jeher das Image einer Reißbrett-Stadt an, der Ruf des Künstlichen. Doch Sankt Augustin hat seine Geschichte - und seine Geschichten. Der GA hat sich auf die Suche gemacht: bei einem spontanen Stadtspaziergang von Hangelar ins Zentrum.

Ein Morgen auf dem Hangelarer Wochenmarkt. Wie jeden Donnerstag werden auf dem Udetplatz Obst, Gemüse, Fleisch und Milchprodukte angeboten. Natürlich aus der Region, damit wird hier geworben. Hier liegt der Ausgangspunkt unserer Tour. Es ist früh am Tag und recht kühl. Ohne Kaffee läuft da erst mal nichts. Gibt es hier welchen? Aber ja: an der "Kaffeebud" von Natascha Brecht-Erben.

Hier trifft sich donnerstags Gott und die Welt. Hier tauschen sie den neuesten Tratsch aus, die Hangelörer. Exakt, "Hangelörer", das ist kein Schreibfehler. Das "Ö" macht den Unterschied: "Man nennt die Einheimischen 'Hangelörer', während die Zugezogenen 'Hangelarer' heißen", erklärt Maria Königsfeld. Die 52-Jährige ist Hangelörerin. Sie und ihr Mann lassen sich vor dem Marktbummel von Natascha Brecht-Erben noch zwei Cappuccino servieren, mit Herzchen aus Kakaopulver drauf.

"Hangelarer" und "Hangelörer"

Siegfried Königsfeld erzählt, dass er es selbst in 30 Jahren Hangelar noch nicht zum Hangelörer gebracht habe. Was den Hangelörer an sich ausmacht? Maria Königsfeld überlegt. Ein bisschen Lokalpatriotismus, Bewusstsein für die eigene Geschichte. Zu der gehört seit mehr als 100 Jahren der Flugplatz. "Ein echter Hangelörer würde sich nie am Fluglärm stören", sagt sie.

Wir kaufen auf dem Markt noch etwas Proviant, und los geht der Stadtspaziergang. Doch halt, was ist das: ein Auto mit Kotflügel im Zeitungsdesign. Ein Kollege? Nein, Mariusz Tomczak gefällt einfach "der 'Rat-Look-Style'", wie er sagt. "Das Auto soll so gammelig wie möglich aussehen." In der Tat, er hat sich große Mühe gegeben. Aber technisch sei der Wagen einwandfrei, schiebt er schnell hinterher. Mut zur Hässlichkeit - für den TÜV ist das kein Prüfkriterium.

[kein Linktext vorhanden]Über die Kölnstraße geht es zur Haltestelle Hangelar-Ost der Stadtbahnlinie 66. Von dort führt der Weg vorbei auf die Route des Grünen C in die Hangelarer Heide. Das Einganstor ist noch mit Bauzäunen umgeben und nicht freigegeben. Eine Informationstafel liefert Interessantes zum Flugplatz, an dem vorbei sich die Landschaft öffnet und einen weiten Blick erlaubt.

Streifzug durch Sankt Augustin
11 Bilder

Streifzug durch Sankt Augustin

11 Bilder

Mitten im Feld liegt ein kleiner Streichelzoo, die "Scheibner-Ranch". Der uns beschnüffelnde "Blondenführhund" einer Frau, die mit ihrer Freundin durch die Hangelarer Heide walkt, hat dort keinen Schlafplatz. Auf dem Geschirr prangt der Schriftzug, der ein wenig despektierlich impliziert, dass das blonde Frauchen und nicht er geführt werden muss.

Die Freundinnen machen sich wieder auf den Weg, und Markus Scheibner nimmt uns in Empfang. "Ich mache die Ranch gerade frühjahrsfertig", sagt er. Er muss die Ställe richten für die Gänse, die momentan brüten. Seit 22 Jahren gibt es die "Ranch". Scheibner führt fort, was sein verstorbener Vater viele Jahre, auch unter Schwierigkeiten, betrieben hat. Kindergartengruppen kommen gerne zu ihm; auch im Seniorenheim Sankt Monika sorgt er mit seinen Tieren, darunter Ziegen, Schafe und Ponys. "Die Senioren freuen sich, wenn sie ein Pony streicheln können."

"Muckelchen" zermalmt einen Apfel

Und natürlich darf ein Esel nicht fehlen. "Muckelchen" zermalmt genussvoll einen Apfel, den ihm eine Spaziergängerin hat zukommen lassen. Die Dame heißt Heidi Ebest und kommt aus Köln-Porz. "Ich bin häufiger hier, weil ich vier Mal im Jahr in Menden auf ein Haus aufpasse, und genieße es immer sehr, hier spazieren zu gehen." Sie erzählt, dass sie Gedichte schreibt. Die Umgebung inspiriere sie: "Hier draußen erwacht die Poesie im Einklang mit der Natur."

Weiter geht es zum Kloster der Steyler Missionare. Wir sind dort zum Mittagessen verabredet. Auf der Rückseite des Klostergeländes steht die große Christusfigur, die Arme ausgebreitet, als würde sie die Landschaft segnen. Am Fuß haben Spaziergänger Blumen hingelegt und Kerzen angezündet - Pilgerstätte nahe des Ortes, wo einmal die Abschlussmesse des Kölner Weltjugendtages im Jahr 2005 mit dem Papst stattfinden sollte. Die Kreuzkröte hat es verhindert. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.

Wie ist die an die Statue auf dem Corcovado bei Rio de Janeiro erinnernde, grünlich schimmernde und 3,5 Tonnen schwere Figur da nur hingekommen? Wir treffen Steyler-Pater Konrad Liebscher, Chef der Missionsprokur. Er war nicht ganz unbeteiligt daran, dass die Statue jetzt in der Hangelarer Heide steht. Liebscher ist im Prosper-Hospital in Recklinghausen zur Welt gekommen und dort auch getauft worden.

"Bis 1980 stand der Christus auf dem Dach des Krankenhauses. Nach einem Umbau des Hauses wurde sie nicht mehr verwendet und moderte 20 Jahre lang im Gebüsch vor sich hin." Dann nahm er sich der Skulptur, die 1959 nach Plänen des Bildhauers Fidelis Bentele gefertigt worden ist, an und ließ sie restaurieren. Schnell fand der Pater zahlreiche Unterstützer. Die Stiftung des Krankenhauses und einige Privatleute finanzierten den Umzug und die Erneuerung.

Mittagessen mit 50 Patres

Steyler-Rektor Martin Neuhauser hat uns zum Mittagessen eingeladen. Es gibt Schweinshaxe mit Sauerkraut und Kartoffelpüree. Wir essen mit rund 50 Patres und Brüdern im Refektorium, dem Esszimmer der Steyler. Beim Essen darf gesprochen werden. "So streng wie bei den Benediktinern geht es bei uns nicht zu", sagt Pater Neuhauser, der uns nach dem Tischgebet begrüßt. Freundlicher und warmer Applaus. Zauberpater Hermann Bickel sitzt mit am Tisch. Er hatte Geburtstag und zeigt uns stolz eine aufklappbare Karte. Er öffnet sie, ein Hase "springt" aus einem Zauberhut. "Es steht nur keine einzige geschriebene Zeile auf der Karte." Ob die Schrift weggezaubert worden ist?

Pater Neuhauser erzählt vom Klosterleben. Um 6.40 Uhr kommen die Steyler zum Gebet zusammen, danach feiern sie die Messe. Ab 7.30 Uhr geht jeder Pater und Bruder seiner Arbeit nach, ob als Seelsorger, Dozent oder in der Verwaltung. Mittagessen ist um 12.30 Uhr. "Um 18 Uhr beginnt dann die Vesper, und danach geht jeder privaten Dingen nach."

Weltweit gibt es rund 6000 Steyler Missionare. Derzeit sind 50 Brüder und Pater in Sankt Augustin. "Dazu kommen 20 Steyler und 20 Nicht-Steyler-Studenten", so Pater Neuhauser. Der Nachwuchs in Deutschland sei rar gesät. "Aber weltweit verzeichnen wir Zuwachs." Regel im Kloster sei, dass Deutsch gesprochen werde. "Viele kommen aus dem Ausland zu uns und machen Sprachkurse, gehen auch zum Sprach-Praktikum in Familien." Auch Soldaten kommen ins Kloster - um ethische Fortbildungskurse zu absolvieren.

Das Essen war richtig gut. Wir bekommen noch eine kleine Führung, sehen großzügige Aufenthaltsräume und eine Ausstellung über den Bau der Kirche von 1926 bis 1930. Wir verabschieden uns. "Sie können gerne wiederkommen", sagt Pater Neuhauser.

Weiter geht es durch das Stadtzentrum. Das Wetter ist ungemütlich, es nieselt. Wir steuern das ehemalige "Möbelparadies Tacke" an der Bonner Straße an. Der Betonklotz aus den 70ern wird niedergerissen, neue Wohn- und Geschäftsgebäude entstehen. Wir sprechen mit dem Mann, der mit seinem Bagger der Ruine zu Leibe rückt.

Willi Thoms räumt Betonbrocken und Fassadenteile bei Seite. "Wir mussten zuerst den ganzen Müll 'rauskriegen", berichtet er. Der habe sich nicht nur auf dem Gelände, sondern auch im Gebäude befunden. Als Ende März der Abriss des Schandflecks begann, kamen viele Schaulustige und applaudierten. "Das hat man auch nicht alle Tage." Dabei leiste er gerade unspektakuläre Vorarbeit. Als nächstes komme noch größeres Gerät zum Einsatz - ein Longfront-Bagger. "Schauen Sie dann vorbei, dann gibt es mehr zu sehen."

Machen wir - aber für heute ist erst einmal Schluss. Nach fünfeinhalb Stunden fahren wir mit der Stadtbahn zurück nach Hangelar.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort