Die Kunst der Stille Das Pantomime-Duo tritt in Sankt Augustin auf

Sankt Augustin · Seit 1996 wird das Pantomimen-Duo "Bodecker & Neander" von ihrem Publikum und den Feuilletons gleichermaßen gefeiert. Vor ihrem Auftritt im Haus Menden sprach der GA mit Wolfram von Bodecker über seine stille Kunst, Pantomime-Klischees und ein Fragezeichen.

 Wolfram von Bodecker (links) mit Partner Alexander Neander.

Wolfram von Bodecker (links) mit Partner Alexander Neander.

Foto: Thorsten Heinze

Ihre Kunst ist eine Orchideen-Kunst: selten, edel und wertvoll. Mit aller Poesie und Leidenschaft, Ironie und Demut scheint es so, als wären sie der Stummfilm-Zeit entsprungen, um an ihrer Kunst ohne lauten Rummel und ohne eine Fülle an Requisiten weiterhin festzuhalten. Und doch eröffnen Bodecker & Neander ihrem Publikum eine neue Welt voller Geschichten, Gedanken und Gefühl. Geöffnet wird der Vorhang bereits seit 22 Jahren mit einem Ritual: den „trois coups“. übersetzt: drei Schlägen. Wolfram von Bodecker und Alexander Neander haben als Meisterschüler und Bühnen-Partner mit Alt-Meister Marcel Marceau (1923-2007) lange Jahre auf der Bühne gestanden. Seit 1996 werden die beiden von ihrem Publikum aller Altersklassen und den Feuilletons gleichermaßen geliebt und gefeiert. Vor ihrem Auftritt im Haus Menden sprach mit Wolfram von Bodecker über seine stille Kunst, Pantomime-Klischees und ein Fragezeichen.

Die Kunst der Pantomime wurde ja bereits in der Antike und im 16. Jahrhundert gepflegt, ist heute aber nur noch selten aufzufinden. Sind Sie beide vielleicht in die falsche Zeit geboren worden?

Wolfram von Bodecker: In den 1980ern gab es eine Überdosis Pantomime. Danach konnte man das Klischee nicht mehr sehen.Weiße Gesichter, weiße Handschuhe und ein viel zu enger Gymnastikanzug. Das ist nicht das, was Marcel Marceau und wir wollten.

Bei Marcel Marceau lernten Sie 1993 ihre Kunst. Gab es ein Schlüsselerlebnis?

von Bodecker: Anfang 1998 waren wir als Marceaus Meisterschüler mit seiner Compagnie auf Tournee durch Taiwan. Es war unsere erste Tournee. Das Publikum verehrte ihn, obwohl sie ihn nicht von DVDs oder aus den Charts kannten. Nur aus dem Realen. Und er schaffte es, diese tiefe Verbundenheit mit 2500 Zuschauern aufzubauen. Das hat mich damals unglaublich berührt und treibt mich noch heute nachhaltig an.

Unsere Welt ist zunehmend multikulturell. Ist Pantomime universal verständlich?

von Bodecker: Wir sind seit mehr als 20 Jahren in über 30 Ländern unterwegs und es funktioniert tatsächlich überall. Allenfalls der Rhythmus der Reaktion ist verschieden. In Südamerika gibt es schon in den Szenen sofortigen Zwischenapplaus und am Ende intensiven Schlussapplaus, der dann aber rasch abbricht. So kannte ich es aus Europa nicht. Der Inhalt der Szenen hat überall ein herzhaftes Echo erzeugt, denn die Gefühle sind universal.

Ihre Themen sind ja auch gesellschaftskritisch, wenn sie gnadenlose Casting-Shows darstellen, Platzarmut in Japan oder Generationenkonflikte zwischen Alt und Jung. Kann man den Blick auf Geräuschvolles und Lautes mit einer stillen Kunst besser schärfen?

von Bodecker: So ist es tatsächlich, aber gesellschaftskritisch klingt schnell politisch. Das will unsere Kunst nicht sein. Pantomime ist menschlich. Wir thematisieren besondere Momente des täglichen Lebens, Begegnungen, die einen leisen Nachklang haben.

Wo studieren Sie denn Ihre Charaktere?

von Bodecker: Überall. Auf der Straße, beim Einkauf, im Kaffeehaus. Dort entdeckt man ein wunderbares Panoptikum des Lebens, das sich dann überspitzt auf unserer Bühne wiederfindet.

Wie schreiben Sie Ihre Szenen?

von Bodecker: Da sind wir völlig gleichberechtigt und demokratisch im Trio unterwegs. Mit Alexander Neander und unserem Regisseur Lionel Ménard sitze ich gerade am Küchentisch über einem neuen Projekt. Unsere Umgangssprache ist Französisch. Wir haben von Anfang an zusammengearbeitet und entwickeln unsere Szenen immer gemeinsam. Mal ist es ein Musikstück, zu dem eine Pantomime entsteht, mal ein Thema oder ein Gefühl. Die Idee, die Dramatik und den Humor – das alles entwickeln wir im Team.

von Bodecker: Wenn man so will. Ich komme ursprünglich aus der Zauberei und bringe gerne ein paar Effekte und logische Fantasien mit ein. Aber auch unsere Requisiten gehören zur Illusion, wenn wir sie verwandeln und mit neuen Bedeutungen belegen.

Ihre Sankt Augustiner Show heißt „Déjà vu?“ Wozu das Fragezeichen?

von Bodecker: Das ist eine Einladung an das Publikum, nachzufragen. „Haben wir dieses Thema tatsächlich schon einmal so gesehen?“ Ist es ein Déjà-vu für mich oder ermöglicht mir die pantomimische Darstellung die Entdeckung einer anderen Welt in der Stille?

A propos Welt: Sie werfen oft Schlaglichter auf Szenen aus aller Welt. Klischees? Oder tatsächlich Erlebtes?

von Bodecker: Natürlich thematisieren wir immer wieder Klischeehaftes, wie den Schachspieler in Russland, die Schönheits-OP in Rio oder den auf der Straße lebenden Zen-Meister in Tokyo. Doch das alles haben wir auch so oder so ähnlich selber erlebt. Als Künstler beobachtet man alles intensiver.

Spüren Sie, wenn das Publikum bei Ihnen ist? Beim ersten Lacher oder einem zarten Schluchzen?

von Bodecker: Es ist magisch. Fast so wie an einer großen Tafel gemeinsam zu speisen. Egal, ob der Saal groß oder klein ist, man spürt die Verbundenheit mit dem Zuschauer. Das empfinde ich immer wieder selber wie ein großes Fest.

Sie haben Kinder. Wenn es Streit und Ärger gibt, reicht dann die hochgezogene Augenbraue des Vaters?

von Bodecker: (lacht) Leider nicht. Die nonverbale Kommunikation funktioniert da einfach nicht immer, aber ich arbeite daran.

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