Julia Friedrichs in Sankt Augustin Ein Erbe macht nicht immer glücklich

SANKT AUGUSTIN · Eine große Welle rollt auf Deutschland zu - die Erbenwelle. Zum ersten Mal seit hundert Jahren werden in Deutschland Vermögen in größerem Umfang vererbt.

 Zu Gast auf dem Sofa in der Hochschulbibliothek: Susanne Kundmüller-Bianchini (links) stellt die Autorin Julia Friedrichs vor.

Zu Gast auf dem Sofa in der Hochschulbibliothek: Susanne Kundmüller-Bianchini (links) stellt die Autorin Julia Friedrichs vor.

Foto: Holger Arndt

Die reichste Altersgruppe in Deutschland sind momentan die über 66-Jährigen. 250 Milliarden Euro wechseln geschätzt jährlich den Besitzer: Ein Wechsel, der die deutsche Gesellschaft verändern wird. Julia Friedrichs hat sich mit dem Tabu-Thema Erbe in ihrem Buch "Wir erben - Was Geld mit Menschen macht" auseinandergesetzt und mit einigen Erben gesprochen. In der Hochschul- und Kreisbibliothek war sie am Donnerstagabend zu Gast auf dem Sofa - eine Veranstaltung der Hochschulbibliothek mit der Bücherstube Sankt Augustin und in Zusammenarbeit mit dem General-Anzeiger.

"In Deutschland wird über Geld, über Familienangelegenheiten und über den Tod nur sehr ungern gesprochen. Damit verbindet das Erbe drei Tabu-Themen", sagte Julia Friedrichs. Dementsprechend schwierig gestaltete sich auch die Recherche für ihr Buch: Nur wenige Erben waren bereit, mit der Berliner Autorin über ihr Geld zu sprechen. Es war auch die Verschwiegenheit der eigenen Freunde, die Julia Friedrichs zu ihrem Buch inspiriert hatte. Befreundete Familien mit einem durchschnittlichen Einkommen leisteten sich plötzlich teure Eigentumswohnungen. Erst als sie nachfragte, erzählten die Freunde eher widerwillig von dem Erbe.

Der erste Erbe, der sich bereit erklärt hatte, mit ihr zu reden, war der freie Komponist Lars (die meisten Namen und Orte wurden geändert). Durch ein frühzeitiges Erbe vom Vater konnte er sich und seiner Familie eine schöne Eigentumswohnung kaufen. Es war vor allem dieses unsichtbare Netz des Vaters, das ihm die Möglichkeit bot, als freier Komponist zu arbeiten und bereits während seines Studiums eine Familie zu gründen. Doch das Geld war nicht nur ein Segen. Gewissensbisse gegenüber einer ärmeren, befreundeten Familie, aber auch ein selbstauferlegter Zwang, dem Vater etwas zurückzugeben, oder ihn zumindest häufig zu besuchen, verfolgten ihn bald.

Mehr Fluch als Segen war das Erbe ihres Großvaters für Lea. Zu ihrem Opa, einem bekannten Künstler, hatte Lea als Kind nie eine emotionale Bindung gehabt. Das plötzliche Erbe erschien am Anfang wie ein Glücksfall. Schnell meldeten sich jedoch Tanten und Onkel, die von dem Millionenerbe ihren Teil abhaben wollten. Aus dem vermeintlichen Geldsegen wurde ein großer Familienstreit. Seit sechs Jahren kommuniziert die Familie vor allem über Anwälte, Gutachter und Vermittler, während das Erbe kleiner wird und die Werke des Großvaters in einem Lagerraum verstauben.

Wenn Julia Friedrichs aus ihrem Buch vorliest, fällt auf, dass die meisten Erben mit ihrem Geld nicht glücklich wurden. Erst nach kurzem Überlegen fällt der Autorin ein glücklicher Erbe ein: Philip Neckermann, einziger Erbe des Neckermann-Unternehmens. Um sich erst mal selber kennenzulernen, nahm er Abstand vom elterlichen Reichtum und besuchte sogar eine öffentliche Schule.

"Die Erben in meinem Buch sind nicht repräsentativ. Vielleicht wollten die glücklichen Erben einfach nicht mit mir reden", so Friedrichs. Dass die großen Erbsummen das Ungleichgewicht zwischen Arm und Reich künftig noch verstärken werden, befürchten nicht nur die Berliner Autorin, sondern auch einige Experten. Durch gewaltige Erbsummen und nur wenigen Steuern - auf Unternehmenserbe liegt häufig sogar gar keine Steuer - könnten die reichsten zehn Prozent Deutschlands noch reicher werden. Die Steuerlast auf das Erbe zu erhöhen und dafür die Steuern auf dem Gehalt zu mindern, ist der Vorschlag von Julia Friedrichs. So würde der Arbeitnehmer für seine Mühe belohnt werden. Ein Fazit, das Julia Friedrichs in ihrem Buch zieht, und das zum Nachdenken anregt.

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