Circus Hansa in Sankt Augustin Eine Stunde mit dem Messerwerfer Johnny Bügler

SANKT AUGUSTIN · Sein erster Gang heute führt wie jeden Morgen zu den circa 60 Tieren. Johnny Bügler hat einen Blick dafür, ob es den Kamelen, Pferden, Ziegen und Lamas gut geht. Schließlich ist er in dem 1885 gegründeten Familienzirkus "Circus Hansa", der in vierter Generation von seinem Vater Johnny Neigert geführt wird, aufgewachsen.

 Versuchskaninchen: GA-Mitarbeiter Paul Kieras wagt sich an die Wand von Messerwerfer Johnny Bügler.

Versuchskaninchen: GA-Mitarbeiter Paul Kieras wagt sich an die Wand von Messerwerfer Johnny Bügler.

Foto: Holger Arndt

"Morgen Heini" ruft er einem argentinischen Zwergpony zu. Heini und seine deutlich größeren Artgenossen fühlen sich auf der großen Koppel neben dem Zirkuszelt, das gerade in Mülldorf errichtet wird, sichtlich wohl. Die Vierbeiner werden tierärztlich betreut und sind von bester Gesundheit. Das lässt sich der Zirkus auch an den jeweiligen Gastspielorten - rund 50 Städte pro Jahr in ganz Deutschland - jedes Mal von Veterinären bescheinigen.

Nachdem Johnny sich davon überzeugt hat, dass alle Tiere versorgt sind, geht er zum Aufbautrupp des Zeltes, einem Viermaster von 28 Metern Durchmesser, gibt einige Anweisungen und begutachtet den Stand der Dinge. Er begrüßt alle mit Handschlag und mit Vornamen, denn es handelt sich um eine große Familie aus Verwandten und einigen angestellten Mitarbeitern. "Bei uns macht jeder alles, auch die 30 Artisten", sagt er. Der 20-Jährige selbst packt ebenfalls überall an, wo Hilfe gebraucht wird. Ob ein Reifen gewechselt, das Zelt repariert, die Genehmigung für Werbeplakate eingeholt oder eine Besorgung erledigt werden muss.

Hinter ihm scheppert es. "Das war Onkel Charly" stellt er fest. Der Unglückliche hat beim Rangieren mit einem Laster einen anderen übersehen und dessen Scheinwerfer demoliert. "Und das ist mein Vater", ergänzt Johnny mit einem Grinsen, als kurz darauf eine Stimme mit erhöhtem Pegel erschallt.

Passieren kann natürlich immer etwas und der 50 Jahre alte Seniorchef, der für den Fuhrpark und das Tierfutter zuständig ist, hat sich auch schon wieder beruhigt. Mittlerweile ist es Zeit für die tägliche Trainingseinheit. Mit sechs Jahren probierte Johnny das Messerwerfen aus, mit acht Jahren stand er zum ersten Mal vor Publikum in der Manege. Für ihn sei das "wie Luftholen", wenn er mit Messern oder Beilen auf Personen ziele, um die natürlich möglichst haarscharf zu verfehlen.

In der Fernseh-Spielshow "Mein Mann kann", in der Johnny auch schon auftrat, war der ehemalige Fußballer Stefan Effenberg sein "Opfer". Der habe auf ganz cool gemacht, habe aber nach der Show feuchte Hände gehabt, kann Johnny sich heute noch freuen. Oberstes Gebot bei seiner nicht ungefährlichen Nummer sei stets, sich nie zu überschätzen, nicht zu viel zu riskieren, aber auch, nicht an sich selbst zu zweifeln.

Seinem jüngeren Bruder Juliano (16) attestiert Johnny neidlos, noch besser zu sein. Ob er jemals daran gedacht hat, etwas anderes zu machen? Johnny schüttelt den Kopf. Das sei für ihn unvorstellbar, der Zirkus bedeute alles für ihn: Berufung, Hobby und Erfüllung. Er liebe das ganzjährige Leben im Wohnwagen. Dennoch habe sein Vater, der keine regelmäßige Schulausbildung genossen hat, darauf bestanden, dass seine vier Kinder etwas lernen.

Johnny hat den Realschulabschluss, Juliano plant, sein Abitur an der Schule für Zirkuskinder NRW zu machen. "Ich kann nichts anderes", sagt Vater Neigert frei heraus, aber seine Söhne sollen die Option haben, einen anderen Beruf auszuüben, falls er das Familienunternehmen einmal schließen muss, erklärt er. Denn die Zukunft sei alles andere als rosig. "Wenn sich 30 Besucher in unserem Zelt mit 800 Plätzen verlieren, kann man sich ausrechnen, wie lange das bei Kosten zwischen 8000 und 12 000 Euro pro zehntägigem Gastspiel gutgeht", sagt er. Und Sohn Johnny ergänzt: "Klar denken wir jeden Tag ans Aufhören, geben aber die Hoffnung nicht auf." Das Freizeitangebot sei so vielfältig, dass die Menschen nicht mehr in den Zirkus gingen, glaubt er. Auch sorge das Fernsehen für leere Sitze.

Wie es früher einmal war, zeigt er wehmütig mit einem kleinen Film auf dem Smartphone. Zu sehen ist sein Großvater, der in einer Stadt seinen Zirkus ankündigt. Damals zogen Artisten und Tiere in einem Marsch durch die Gastspielorte, verfolgt von staunenden Zuschauern an den Straßenrändern. Das ist Geschichte, aber der Zirkus lebe weiter - davon ist Johnny überzeugt, und wirft ein Messer, das mit einem lauten "Plopp" in der Holzwand neben dem Körper des Autors landet.

Circus Hansa, Donnerstag bis Sonntag, 1. bis 11. August, Ankerstraße in Mülldorf. Vorstellungen täglich 16 Uhr, sonntags 11 und 14.30 Uhr (Familientag, Erwachsene zahlen Kinderpreise). Dienstag und Mittwoch sind Ruhetag, Donnerstag "Happy Hour", Eintritt sieben Euro.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort