"Zu Gast auf dem Sofa" Hanns-Josef Ortheil stellt seinen Roman in der Hochschule vor

SANKT AUGUSTIN · Die Erlebnisse während der Kindheit sind prägend. Die Widerstände, die einem entgegengebracht werden, sind lebenslang zu spüren. Wie Menschen auf Menschen zugehen, wie sie sich darstellen und vor allem wie sie kommunizieren, wird von der persönlichen Lebensgeschichte geprägt.

 Der Autor Hanns-Josef Ortheil berichtet in Sankt Augustin über die stummen Jahre seiner Kindheit.

Der Autor Hanns-Josef Ortheil berichtet in Sankt Augustin über die stummen Jahre seiner Kindheit.

Foto: dpa

Der Kölner Autor Hanns-Josef Ortheil erzählt in seinem Roman "Das Kind, das nicht fragte" die Geschichte des Ethnologen Benjamin Merz, dessen Unfähigkeit unbeschwert zu kommunizieren auch in der Kindheit ihren Anfang nahm. Am morgigen Mittwoch trägt der Autor in Sankt Augustin aus seinem Roman vor. Er ist "zu Gast auf dem Sofa" im großen Hörsaal der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg.

Seine vier wesentlich älteren Brüder dominierten die Gespräche im Elternhaus, machten ihn zum Außenseiter und verhinderten, dass er seine Wünsche, Träume und Hoffnungen aussprechen konnte. Stattdessen schrieb er alles nieder. Er machte aus der Not eine Tugend und seinen Beruf: beobachten, protokollieren, Fragen stellen.

Als Ethnologe reist er in eine kleine Stadt an der Südküste Siziliens, um für eine Forschungsarbeit die Lebensgewohnheiten der Bewohner zu studieren. Es wird eine Reise, bei der er nicht nur die Menschen, sondern auch sich selbst besser kennenlernt.

In der Reihe "Zu Gast auf dem Sofa" der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, der Buchhandlung Kayser und des General-Anzeigers stellt der Autor morgen ab 19.30 Uhr seinen Roman auf dem Campus in Sankt Augustin vor.

Die Schatten der Vergangenheit, mit denen sein Protagonist Benjamin kämpfen muss, sind dem Autor sehr vertraut. Es ist auch teilweise seine Lebensgeschichte. Auch Hanns-Josef Ortheil hatte vier ältere Brüder, die jedoch im Zweiten Weltkrieg starben. Die Mutter verlor durch dieses Trauma ihr Sprachvermögen. Es waren stumme Jahre, auch für den Nachkömmling Hanns-Josef Ortheil, der wie der Protagonist seines Romans deswegen für autistisch oder zurückgeblieben gehalten wurde.

Das änderte sich mit dem Schreiben, das er vom Vater lernte. Schon mit acht Jahren veröffentlichte Ortheil seine ersten Erzählungen in Tageszeitungen. Für ihn wurde das Schreiben zum Akt des Überlebens und diente als Vergewisserung des Daseins.

So ergeht es auch seinem Protagonisten im Roman: "Ich überblicke meine Notizen und Hefte und beweise mir, dass dieses seltsame Ich mit Namen Benjamin Merz wahrhaftig existiert." Die Selbstreflexion des Ethnologen und seiner Kommunikation ist ulkig und gleichzeitig verstörend, wenn er beispielsweise das perfekte Vorgehen seiner Befragung plant und dabei nicht in der Lage ist, ein unverfängliches Gespräch mit seiner Pensionswirtin zu führen. Lieber führt er Selbstgespräche oder einen Gedankenaustausch mit Gott.

Als Kind hat Benjamin Merz im Beichtstuhl erfahren, dass er Gott alles anvertrauen kann. Dadurch wird der Glaube für ihn ein Anker und die Kirche ein Ort der Sicherheit. Immer wieder sucht Benjamin Merz in der Geschichte eine Kirche auf, wo er die Veränderung in seinem Leben begreift und formuliert. Je länger er in der Stadt Mandlica bleibt, desto mehr wird er Teil der Gemeinschaft.

Seine Fähigkeit, den Menschen ihre Wünsche und Träume zu entlocken, bringen ihm schnell Anerkennung und Akzeptanz. Der Selbstzweifler, der zuvor Angst hatte, seine Dachgeschosswohnung im Kölner Elternhaus zu verlassen, übernimmt Verantwortung in der neuen Heimat. Er lernt sein Herz zu öffnen und trifft die Frau, die ihn auch ohne Worte versteht.

Doch wird er sich endgültig von seinen Brüdern emanzipieren und ein neues Leben in Italien beginnen? "Die Erzählungen von meinem Leben scheinen so tief in einem Dunkel verborgen zu sein, dass ich längst keinen Zugang mehr zu diesen Erzählungen habe", sagt Benjamin Merz in einem Moment der Resignation.

Der Autor Hanns-Josef Ortheil hat es jedenfalls geschafft. Er hat die Erzählungen seines Lebens nicht in dunklen Schubladen liegen lassen, sondern veröffentlicht. Aus dem stummen Jungen ist ein erfolgreicher Autor geworden: Sein Werk ist mit vielen Preisen ausgezeichnet und in mehr als 20 Sprachen übersetzt worden.

Info: Die Veranstaltung "Zu Gast auf dem Sofa" beginnt am Dienstag um 19.30 Uhr im großen Hörsaal des Sankt Augustiner Campus, Grantham-Allee 20. Es gibt nur noch wenige Restkarten an der Abendkasse. Die Tickets kosten acht, ermäßigt vier Euro.

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