Jahrelanger Mitarbeiter des Verfassungsschutzes Winfried Ridder stellt Buch vor: Verfassung ohne Schutz

SANKT AUGUSTIN · In der Stadtbücherei sitzt ein älterer Herr, nicht zu groß, mit freundlichen blauen Augen und Lachfältchen. Dass der Sankt Augustiner Winfried Ridder jahrelang beim Geheimdienst gearbeitet hat, sieht man ihm auf den ersten Blick nicht an.

 Ulrich Neumann (von links), Winfried Ridder und Christiane Mudra im Gespräch

Ulrich Neumann (von links), Winfried Ridder und Christiane Mudra im Gespräch

Foto: Elisa Miebach

Doch als er mit der Vorstellung seines Buches "Verfassung ohne Schutz" - Die Niederlagen der Geheimdienste im Kampf gegen den Terrorismus" beginnt, merkt man, dass dies es ganz schön in sich hat.

"Mit dem Spaß wird das nicht viel werden.", sagt er gleich zu Beginn, nachdem Torsten Ehlert vom Kulturamt der Stadt dem Publikum bei dieser Veranstaltung des Sankt Augustiner Mai viel Vergnügen wünscht.

Neben Ridder sitzen vorne noch zwei weitere Prominente. Die Schauspielerin und Regisseurin Christiane Mudra, die selbst ein Stück über Überwachung produziert hat, liest aus dem Buch und aus Dokumenten, die das Buch betreffen. Im Anschluss interviewt Ulrich Neumann von Report Mainz den Autor und es folgt eine Diskussion mit dem Publikum.

Gleich zu Anfang legt Ridder seine Ansichten auf den Tisch: Der Verfassungsschutz habe in seiner Arbeit, namentlich in der Zeit der RAF-Terroranschläge und auch bei der jüngsten NSU-Mordserie versagt. Besonders kritisiert Ridder das System der Vertrauensleute (V-Leute), die als überzeugte Ideologen aus dem terroristischen Milieu gewonnen werden und dort oft selbst die extreme Gewalt beschleunigen.

Trotzdem dienten sie dem Geheimdienst oft über Jahrzehnte als Quellen, wobei sich eine enge, "fast symbiotische" Beziehung zwischen den V-Leuten und ihren "Betreuern" aufbaue. Das Geld, was die V-Leute für ihre Arbeit bekämen, würde von diesen auch in den Aufbau ihrer Terrornetzwerke gesteckt. "Wenn ein Rechtsstaat glaubt, er könne nicht ohne Kriminelle arbeiten, ist er in keinem guten Zustand", resümiert Ridder.

Er sieht als Alternative das Modell eines hauptamtlichen Polizeimitarbeiters als verdeckter Ermittler, weil diese grundsätzlich "auf der richtigen Seite" stünden. Auch der Vorratsdatenspeicherung à la NSA steht er kritisch gegenüber: "Ich bin dafür, dass man wenige Verdächtige überwacht, bei diesen aber alles.",

Die Veröffentlichung des Buches war nicht einfach. Der Verfassungsschutz drohte vor dem Druck mit rechtlichen Folgen. Doch nach Absprache mit der Rechtsabteilung des Verlages und mit der Gewissheit, dass kein geheim eingestuftes Material veröffentlicht würde, kam das Buch heraus. Seitdem schweige der Verfassungsschutz dazu.

"Ich war schon immer ein Außenseiter im Geheimdienst", so lautet ja auch der Titel des ersten Kapitels", erzählt Ridder: "Die herausfordernde Arbeit machte mir Spaß, doch ich arbeitete in einem Milieu mit bürokratischen Auswüchsen, welches meine gesellschaftskritischen und liberalen Einstellungen auf die Probe stellte."

Erst nach seinem Ausstieg in den 90er Jahren hätte er aber einen kritischen Blick auf den Geheimdienst entwickelt. "Undercover" bei der Veranstaltung mit dabei waren der Autor und Filmemacher Egmont R. Koch und sein Team, die an dem Dokumentarfilm "Innenansichten aus dem Verfassungsschutz" arbeiteten.

"Winfried Ridder ist interessant, da er als einer der Wenigen offen und kritisch mit seiner Zeit beim Verfassungsschutz umgeht.", erklärt Koch. Ridder selbst bereut nicht eine Sekunde, sein Buch geschrieben zu haben. Nur eine Sache hätte er anders gemacht. Im Untertitel hätte er das Wort Niederlage ausgetauscht und knallhart formuliert: "Das Versagen der Geheimdienste im Kampf gegen den Terrorismus."

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