Wirtschaftliche Folgen Schaden für den Rhein-Sieg-Kreis nicht vorhersehbar

Rhein-Sieg-Kreis · Der wirtschaftliche Schaden für den Rhein-Sieg-Kreis wegen der Corona-Pandemie lässt sich nicht vorhersagen. Wirtschaftsförderer Hermann Tengler sieht jedoch Trends für Veränderung.

 Flexibel in der Krise: Im Testzentrum des Anlagenbauers Reifenhäuser in Troisdorf produziert eine Maschine Vlies für Atemschutzmasken. Ein Mitarbeiter macht die Sichtkontrolle, wofür das Vlies angeleuchtet wird.

Flexibel in der Krise: Im Testzentrum des Anlagenbauers Reifenhäuser in Troisdorf produziert eine Maschine Vlies für Atemschutzmasken. Ein Mitarbeiter macht die Sichtkontrolle, wofür das Vlies angeleuchtet wird.

Foto: dpa/Marius Becker

Die erste Sitzung nach der Corona-Pause verspricht spannend zu werden. Der Ausschuss für Wirtschaft und Tourismus des Kreises beschäftigt sich am Dienstag mit gewichtigen Themen von Wohnen bis Breitbandausbau. Ein Antrag von CDU und Grünen lässt aufhorchen: Sie regen eine offene Diskussion über „Parameter zukünftiger Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsförderung im Rhein-Sieg-Kreis“ an. Die Fraktionen wollen damit die Region und ihre Wirtschaft auf die Zeit mit und nach Corona vorbereiten.

„Das Thema wird uns vermutlich sehr lange bewegen“, sagt Hermann Tengler, Wirtschaftsförderer des Kreises. Im Gespräch mit dem GA stellt er die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen vor, unter denen die Diskussion am Dienstag steht. Tengler zufolge unterscheidet sich die Corona-Krise fundamental von allen Wirtschaftskrisen bisher. „Sie ist kein Ergebnis einer in der Wirtschaft selbst bedingten Fehlentwicklung wie der Absturz des Neuen Marktes oder die Finanzkrise, sondern ein durch den Staat herbeigeführter Shutdown“, erklärt Tengler. Und: „Trotz aller Prognosen – wir wissen nicht, wie schlimm es werden wird.“

4192 Unternehmen im April in Kurzarbeit

Aber wie diskutiert man jetzt schon über eine Krise, die ein historisches Ausmaß haben wird, aber erst am Anfang ist? Einige Zahlen hat der Wirtschaftsförderer bereits. 18.000 von 24.500 Betrieben im Rhein-Sieg-Kreis haben einen Antrag auf Soforthilfe beim Land NRW gestellt. Im Februar hatten 19 Unternehmen mit insgesamt 162 Beschäftigten Kurzarbeit angemeldet, im März 530 mit 7982 Beschäftigten. Im April waren kreisweit 4192 Unternehmen mit 33 368 Mitarbeitern in Kurzarbeit. „Das sind 25,3 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten“, berichtet Tengler.

Es seien nahezu alle Branchen betroffen, nicht nur Reise und Gastronomie, sondern beispielsweise auch die Automobilzulieferer. Als positives Signal wertet Tengler, dass der starke Anstieg der Kurzarbeit mit einem vergleichsweise niedrigen Anstieg der Arbeitslosigkeit im Kreis einhergehe. „Offenbar wollen viele Unternehmen ihre Beschäftigten halten.“

Keine konkrete Prognose möglich

Der Wirtschaftsförderer kann zwar keine konkrete Prognose geben, betrachtet aber die drei Kriterien, die sonst für eine positive Entwicklung in einer Region entscheidend sind. Bei der Branchenstruktur sieht er in der aktuellen Krise weder einen Vorteil noch einen Nachteil gegenüber anderen Regionen Deutschlands. Bei den Betriebsgrößen weist der Rhein-Sieg-Kreis viele Mittelständler auf. „Ich fürchte, dass die Kleinteiligkeit von Betrieben nicht von Vorteil sein wird“, meint Tengler. Ein Plus hat der Kreis hingegen bei der Standortqualität: gute Verkehrsanbindungen, hohe Kaufkraft, hohes Bildungsniveau. Zusammengefasst sagt der Wirtschaftsförderer: „Es wird uns genauso treffen wie andere auch.“

CDU und Grüne stellen in ihrem Antrag Themen zur Diskussion, die auch für einen mehrtägigen Workshop ausreichen würden. „Die Idee war, in eine Zeit hinein, wo sehr viel zerstört wird, kaputt geht oder sich als untauglich erweist, eine Vision zu setzen“, sagt Burkhard Hoffmeister, wirtschaftspolitischer Sprecher der Grünen im Kreistag und Initiator des Antrags. Er hat gemeinsam mit Martin Schenkelberg, wirtschaftspolitischer Sprecher der CDU, zur Vorbereitung neben Tengler auch IHK-Hauptgeschäftsführer Hubertus Hille, den Chef des Vereins Region Köln/Bonn, Reimar Molitor, und Stadtplanerin Sonia Teimann ins Boot geholt. Hoffmeister setzt bewusst auf eine offene Diskussion anhand der Leitthemen Regionalisierung, anders Arbeiten, Mobilität, regionales Gesundheitsmanagement und Neuausrichtung der Tourismusförderung. „Im Wirtschaftsausschuss sitzt geballte Kompetenz. Jede Partei soll die Möglichkeit haben, sich zu äußern“, so Hoffmeister.

Wirtschaftsförderer sieht vier Trends

„Die Lockerungen sind da, aber sie bringen noch keine Normalität zurück“, sagt Tengler. Er glaubt, dass die strukturellen Auswirkungen, die Corona auf Wirtschaft und Tourismus haben wird, besser vorherzusagen sind als das Ausmaß der Einbußen. Dabei sieht der Wirtschaftsförderer vier Trends.

Erstens: „Eine partielle Neuorganisation der Globalisierung. Produkte der Daseinsvorsorge werden vor Ort produziert.“ Wie berichtet, hat zum Beispiel der Troisdorfer Maschinenhersteller Reifenhäuser damit angefangen und in seinem Testzentrum dringend benötigtes Vlies für Masken hergestellt.

Zweitens sieht Tengler eine „Schubverstärkung für Digitalisierung und digitales Arbeiten“. Für die Region bedeutet das auch positive Auswirkungen auf die Verkehrssituation. „Wenn jeder im Schnitt einen Tag pro Woche im Homeoffice arbeitet, und zwar nicht alle am Montag oder Freitag, dann haben wir 20 Prozent weniger Pendlerverkehr. Das ist der Unterschied zwischen Stau und kein Stau“, sagt Tengler.

Als dritten Trend sieht er neue Chancen für den ländlichen Raum. „Wer nicht täglich nach Bonn oder Siegburg pendeln muss, kann auch ein Stückchen weiter draußen wohnen.“ Wenn tagsüber mehr Leute zu Hause in den Dörfern arbeiten, stärkt das im Gegenzug auch den Einzelhandel, die regionale Versorgung mit Lebensmitteln und die Gesundheitsversorgung, so die These. Auch im Tourismus zeigt sich bereits, dass Tagesgäste aus der Region verstärkt die Ausflusgziele und Wanderwege nutzen.

Vierter Trend: Corona ist ein Augenöffner, auch beim Thema Klimawandel. „Viele haben zum ersten Mal die Erfahrung gemacht, wie verletztbar unser Leben ist“, sagt Tengler. Was nicht passieren dürfe: „Dass die Corona-Krise von einer weltweiten Klima-Krise abgelöst wird.“

Der Ausschuss für Wirtschaft und Tourismus des Rhein-Sieg-Kreises tagt am Dienstag, 19. Mai, ab 16 Uhr öffentlich im Kreishaus in Siegburg. Beim Betreten gilt Maskenpflicht. Zudem ist die Zahl der Plätze wegen der Abstandsregeln begrenzt.

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