Messerstich ins Herz 18-Jährige erhält nach Angriff auf Vater Bewährungsstrafe

Bonn/Siegburg · Das Bonner Jugendschwurgericht hat eine 18-Jährige zu einer Bewährungsstrafe von anderthalb Jahren verurteilt. Sie hatte ihren Vater im Streit lebensgefährlich verletzt. Am Ende liefen beim Opfer die Tränen.

 Symbolbild

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Foto: Benjamin Westhoff

Eine seltsame Szene spielte sich wenige Minuten vor dem Urteil ab. Die Familie sitzt in der ersten Zuschauerreihe im Schwurgerichtssaal. Vater und Tochter lachen, selbst die verhärmte Mutter wirkt heiter und zufrieden. Familienglück? Weit entfernt davon – oder doch? Denn die Szene überspielt eine Familientragödie und macht sie deswegen so ungewöhnlich: Ayla F. (Name geändert) wird gleich verurteilt werden. Die 18-Jährige hatte am 2. April 2017 ihrem Vater in einem Familienstreit ein Brotmesser ins Herz gerammt; dabei wäre der 46-Jährige fast verblutet. Der Messerangriff brachte die Schülerin wegen versuchten Totschlags auf die Anklagebank.

Die Bonner Jugendkammer unter dem Vorsitz von Richter Volker Kunkel weiß um die Zerrissenheit der Tochter und der Familie. Und er weiß, dass es sich um ein großes Unglück gehandelt hat. Die Richter verurteilten das Mädchen nicht wegen Totschlags – so lautete die Anklage –, sondern wegen gefährlicher Körperverletzung zu anderthalb Jahren Jugendstrafe auf Bewährung. Ayla F. reckte ihre Fäuste in die Luft vor Freude. Dem Vater, Lastwagen-Fahrer und von kräftiger Statur, liefen die Tränen. Der Mann, der dem Tod ins Gesicht gesehen hatte, schniefte vor Erleichterung. Denn es war sein größter Wunsch gewesen, dass seine geliebte Tochter nicht bestraft wird. Am liebsten wäre ihm ein Freispruch gewesen.

Vater provozierte die Tochter

Schließlich weiß der Vater um seine eigene Schuld. Der 46-Jährige und seine Frau hatten die Tochter, die mit einem Borderline-Syndrom zu kämpfen hatte, sich selbst überlassen. Auch mit den Gewalttätigkeiten zwischen den Eltern, die sie zu schlichten versuchte, war sie überfordert. Ihre eigene Not sah keiner: Irgendwann vertraute sie sich in ihrer inneren Welt einem Engel an, der schließlich zum Dämon „Jake“ wurde und ihr einflüsterte, sie müsse ihre Eltern töten.

Mit Selbstverletzungen versuchte sie dem „Bösen zu entsagen“; schließlich suchte sie therapeutische Hilfe in einer Sado-Maso-Gruppe. Sie ließ sich auspeitschen. Die Striemen auf ihrem Rücken wurden am Tattag zum Auslöser für den fast tödlichen Streit. Der Vater schlug sie und brüllte, sie sei nicht mehr seine Tochter. Die 18-Jährige fluchte zurück und verwünschte die Eltern, sie sollten in der Hölle schmoren.

Den Stich hatte der Vater regelrecht provoziert. Als seine Tochter mit dem Messer vor ihm stand, lachte er: „Stich doch zu. Du bist ein Feigling, du traust Dich nicht.“ Dann stach sie zu und verletzte ihren Vater lebensgefährlich. Die Attacke schient alle zur Besinnung gebracht zu haben. Ayla F. hat geheult und gebetet, der Vater dürfe nicht sterben. „Sie hatte wenig Hoffnung, dass er überlebt“, hieß es im Urteil. Sie hatte versucht, das Blut zu stoppen und hatte das Herz des Vaters massiert, bis der Notarzt eintraf.

Strafbefreiender Rücktritt vom Versuch heißt das im Juristendeutsch. Deshalb war Ayla F. nicht mehr wegen Totschlags zu verurteilen. Und weil sie seit Jahren unter extremem Druck in der Familie stand, wurde eine erhebliche Einschränkung ihrer Steuerungsfähigkeit angenommen – und ein mildes Urteil gefunden.

Aber die Richter haben auch klug vorgebeugt: Denn Ayla F. muss als Bewährungsauflage weiterhin in einer betreuten Einrichtung leben, bis ihre Probleme gelindert sind. Deswegen darf sie in den ersten neun Monaten auch keinerlei Kontakt mit der Familie haben, weder telefonisch noch durch SMS. Vater und Mutter haben nickten zustimmend, auch wenn es ihnen schwer fiel.

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