Praxen sterben aus Ärztemangel auf dem Land im Rhein-Sieg-Kreis

Rhein-Sieg-Kreis · Im Rhein-Sieg-Kreis sind derzeit 23 hausärztliche Kassensitze unbesetzt. Vor allem in ländlichen Regionen ist die Versorgung in Zukunft gefährdet. Angesichts einer immer älter werdenden Bevölkerung eine besorgniserregende Entwicklung.

Über das Aufhören hat sich Landarzt Klaus Rösing zwar durchaus schon Gedanken gemacht. Doch selbst wenn er könnte, würde er es nicht tun. „Ich möchte noch einige Jahre weitermachen. Es ist der schönste Beruf, den ich mir vorstellen kann“, sagt der 64-Jährige. Tatsächlich kann er aber auch noch nicht aufhören. Dann wäre die Versorgung seiner Patienten gefährdet. Ob er einen Nachfolger finden würde, weiß er nicht. „Eine Praxis zu übergeben, ist schwierig geworden“, sagt der Mediziner aus Eitorf. Früher konnten niedergelassene Ärzte sicher sein, dass der Erlös aus dem Verkauf eines Praxissitzes zur Altersversorgung beiträgt. „Darauf kann man heute nicht mehr bauen“, sagt Rösing.

„Auch im Rhein-Sieg-Kreis merken wir, insbesondere in den ländlichen Bereichen, dass die offenen Hausarztsitze nur schwer nachzubesetzen sind. Prognostisch wird sich der Hausärztemangel in den kommenden Jahren auch auf die städtischen Regionen verlagern“, sagt Dieter Schmitz, Gesundheitsdezernent des Kreises.

Das Problem wird drängender, denn die alternde Bevölkerung in NRW braucht immer mehr, statt weniger ärztliche Betreuung. Für Patienten bedeutet diese Entwicklung vielerorts bereits jetzt, dass sie länger auf Termine warten und weitere Anfahrtswege in Kauf nehmen müssen. Für Rösing bedeutet das vor allem viel Arbeit. Sein Arbeitstag beginnt um 7.30 Uhr und endet nicht vor 19.30 Uhr. Ist sein Wartezimmer besonders gut gefüllt oder wird er zu dringlichen Hausbesuchen gerufen, fällt auch schon mal die Mittagspause aus, oder er kommt erst gegen 21 Uhr nach Hause. Zu Spitzenzeiten sieht Rösing an einem Tag bis zu 80 Patienten. Zu seinem Stamm zählen inzwischen deutlich über 1000 Patienten.

Immer mehr Frauen ergreifen den Arztberuf

Die Probleme beginnen bereits in der Ausbildung, so Rösing. „Junge Absolventen gehen heutzutage nicht mehr nur in die klassischen Berufsfelder, sondern schlagen stark spezialisierte Wege ein, oder sie finden gut dotierte Tätigkeiten in der Industrie oder im Ausland.“

Immer mehr Frauen drängen zudem in den Arztberuf. 2016 waren vier von fünf neuanerkannte Hausärzte im Bereich der Ärztekammer Nordrhein weiblich. Grundsätzlich sei dies natürlich eine begrüßenswerte Entwicklung, sagt Rösing, jedoch: „Frauen haben eine andere Einteilung der Lebenszeit als Männer.“ Für sie aber auch für viele ihrer jungen männlichen Kollegen sei eine Anstellung mitsamt der Optionen auf mögliche Elternzeit oder Überstundenausgleich attraktiver, als der Schritt in die Selbstständigkeit.

Der Kreis versucht, der Entwicklung entgegenzuwirken

Mediziner seien heute so sehr gefragt, dass viele Absolventen einfach in ihren Studentenstädten eine Stelle finden. „Das ist natürlich sehr bequem. Ich habe damals 100 Bewerbungen geschrieben und 98 Absagen bekommen. Es gab einfach keine Stellen“, erinnert sich Rösing, der in Aachen und Bonn studiert hat. 1990 übernahm er schließlich die Praxis in Eitorf. Rösing engagiert sich aktiv, um gegen die Entwicklung anzugehen – so etwa im Arbeitskreis „Mitten im Leben“ des Vereins kivi zur Förderung der Gesundheit im Rhein-Sieg-Kreis. Die Initiative, in der neben Akteuren aus der medizinischen Praxis auch Vertreter der Kreisverwaltung und der östlichen Kreiskommunen aktiv sind, sucht Lösungen für bestehende Probleme der Gesundheitsversorgung auf dem Land.

Auch der Kreis versuche, der Entwicklung aktiv entgegenzuwirken. In Zusammenarbeit mit dem „Kompetenzzentrum Weiterbildung Allgemeinmedizin Nordrhein“ in Verbindung mit dem Institut für Hausarztmedizin der Universität Bonn veranstaltet der Kreis seit 2014 jährlich Landarzttage für angehende Allgemeinmediziner auf dem Weg in die Hausarzttätigkeit, um ihnen dabei zum Beispiel praktische Tipps zur Niederlassung zu vermitteln.

Rösing arbeitet ebenfalls mit der Universität Bonn zusammen, um dem medizinischen Nachwuchs die Arbeit in einer Praxis näherzubringen. „Ich bilde seit 20 Jahren Ärzte in Weiterbildung aus“, sagt er. Als Lehrarzt erlebt er aus erster Hand, dass sich junge Mediziner einerseits durchaus für den Beruf des Haus- und Landarztes interessieren, andererseits aber auch, von der Realität abschrecken lassen. „Voraussetzung für den Beruf ist eine gewisse Bereitschaft zur Selbstausbeutung“, so Rösing.

Mit Landarztquote gegen den Ärztemangel

Die Landesregierung hat bereits auf den besorgniserregenden Ärztemangel reagiert und einen Gesetzesentwurf für eine Landarztquote vorgelegt. Die Regelung soll zum Wintersemester 2019/20 greifen. Danach sollen Studenten, die sich vorab verpflichten, später als Landarzt zu arbeiten, bevorzugt einen Studienplatz erhalten. Rund acht Prozent der Medizinstudienplätze sollen so in NRW vergeben werden. „Das ist ein gangbarer Weg“, findet Rösing. „So ein Modell kennt man ja auch von dualen Ausbildungen.“ Ob das Gesetz allerdings den Ärztemangel stoppen kann, stellt er infrage. Damit steht er nicht alleine. Auch die Ärztekammer Nordrhein und der Städtetag NRW haben Zweifel, dass die Gesetzesinitiative die Probleme lösen kann. Sie fordern neben der Quote insgesamt deutlich mehr Medizinstudienplätze in NRW.

Noch wichtiger wäre es nach Ansicht Rösings, dass jungen Medizinern wirtschaftliche Anreize geboten werden, eine Praxis auf dem Land zu übernehmen. „Ärztliche Arbeit muss leistungsgerecht bezahlt werden“, so Rösing. Derzeit sei das nicht der Fall. Das Honorar für Ärzte mit Kassenzulassung ist gedeckelt. Überschreitet ein Arzt einen festgelegten Rahmen an Leistungen, erhält er für den Mehraufwand nur eine reduzierte Vergütung. Gleichzeitig erwartet niedergelassene Ärzte ein enormer Verwaltungsaufwand. „Junge Leute zeigen uns den Vogel“, sagt Rösing. An Ideen um der Unterversorgung auf dem Land entgegenzuwirken, mangelt es dem Mediziner nicht.

Medizinische Versorgungszentren (MVZ) auf dem Land könnten dazu beitragen, Ärzte zu gewinnen, die eine Anstellung der Selbstständigkeit vorziehen. Problematisch dabei sei lediglich, wenn MVZs nicht arztgeführt sind, sondern sich in der Hand von Wirtschaftsunternehmen befinden. Auch die Digitalisierung könne beitragen, Ärzte zu entlasten, etwa wenn Patienten sich per Videotelefonie melden. „Telemedizin könnte eine gute Möglichkeit sein, um Patienten in der Fläche zu erreichen“, sagt Rösing.

„Ich habe Kinder als Patienten betreut, die heute selber Eltern sind und junge vitale Menschen, die ihre Eltern gepflegt haben, die heute so alt sind, dass sie selbst Pflege benötigen“, sagt Rösing. Seinen Beruf zeichne ein besonderes über Jahre gewachsenes Vertrauensverhältnis zu den Patienten aus. „Deswegen bin ich Hausarzt geworden“, so Rösing.

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