Stadtführung Auf den Spuren jüdischer Geschäftsleute in Siegburg

Siegburg · Die Kreisarchivarin Claudia Arndt erzählt bei einer Führung von der kleinen Siegburger Gemeinde – vor und nach 1933.

 Claudia Arndt (r.) zeigt auf dem Markt eine der Zeitungsannoncen, die das Bekleidungsgeschäft Wagner veröffentlichte.

Claudia Arndt (r.) zeigt auf dem Markt eine der Zeitungsannoncen, die das Bekleidungsgeschäft Wagner veröffentlichte.

Foto: Johanna Lübke

Sie kamen in den frühen Morgenstunden des 10. November 1938: Männer der SA und NSDAP schlugen in Siegburg die Schaufensterscheiben von sechs der 13 damals dort noch verbliebenen jüdischen Geschäfte ein. Darunter das Haushaltswarengeschäft von Felix Oestreicher in der Ringstraße, das Warenhaus Gebrüder Alsberg in der heutigen Bahnhofstraße, das Hutgeschäft von Hermann Hamberg in der Kaiserstraße, der Schuhladen von Leo Müller in der Holzgasse und der Laden des Pferdemetzgers Samuel Cohn in der Scherengasse. In den Straßen lag nach der „Kristallnacht“ ein Meer aus Glasscherben.

„Ein Großteil der jüdischen Geschäfte in Siegburg war vor 1938 bereits geschlossen, beziehungsweise arisiert worden“, so Claudia Arndt. Die Kreisarchivarin hat am vergangenen Mittwoch eine große Gruppe durch die Siegburger Innenstadt geführt. Ihr Thema: das jüdische Geschäftsleben.

Heute ist von diesen Geschäften nicht mehr viel zu sehen, viele der damaligen Gebäude wurden im Krieg zerstört. In Siegburg finden sich auch sonst wenig Hinweise auf das ehemals florierende jüdische Geschäftsleben, das nach 1933 schnell ausstarb. Viele der Vorurteile, die sich gegen Juden richteten, erklärt Arndt, hatten mit ihrem Status und ihren Berufen zu tun – doch auch die konnten sie sich nicht aussuchen. „Im Hochmittelalter erhielten die Juden das Monopol für den Geldverleih. Aber sie durften keine handwerklichen Berufe ausüben, da die Zünfte nur Christen aufnahmen“, erzählt sie. So bekamen sie etwa den Ruf des „Wucherers“. Nur bestimmte Handwerksberufe, die durch jüdische Gesetze zur Religionsausübung reguliert waren, durften sie ergreifen: zum Beispiel Metzger, Schneider oder Bäcker. Als im 19. Jahrhundert die Zünfte aufgelöst wurden, erhielten die Juden Zugang zu unabhängigen Berufszweigen und wurden vermehrt Ladenbesitzer, Kleinfabrikanten, Bankiers und arbeiteten oft in der Zigaretten-, Leder- und Pelzindustrie.

„Die jüdische Gemeinde in Siegburg war sehr klein“, resümiert Claudia Arndt. 1901 hatte sie 341 Mitglieder. Dennoch waren einige der Siegburger Juden in der Stadt sehr präsent und wichtig für das Geschäftsleben: Ende des 19. Jahrhunderts entstanden in den Städten große Warenhäuser, die oft von Juden betrieben wurden. Auch in Siegburg zogen solche Warenhäuser in die Innenstadt: Bernhard Wagner betrieb seit 1891 am Markt 10 eine Manufakturwarenhandlung. Das Geschäft florierte, sodass es 1908 auf die
Adresse Markt 8 und 9 ausgedehnt wurde – praktischerweise betrieb hier der Unternehmer Gustav Vohs, der mit Wagners Tochter Johanna verheiratet war, seit 1907 ebenfalls ein Bekleidungsgeschäft. Die Geschäftsräume wurden also zusammengelegt. Arndt: „Vohs war sehr geschäftstüchtig: 1909 veröffentlichte er eine Anzeige in der Siegburger Zeitung, dass er gewettet habe, er werde die Hälfte seines Lagerbestands innerhalb von 14 Tagen verkaufen können“, was ihm durch diesen öffentlichkeitswirksamen Coup auch gelang – denn er gab für diesen Zeitraum einen Rabatt auf seine Ware. Die Hälfte des Wettgewinns wollte er der Armenkasse spenden, doch wie Arndt darlegt, warf Bürgermeister Carl Plum ihm vor, „marktschreierische Reklame“ zu verbreiten. Die Spende wies er im Namen der Armenkasse zurück.

Bernhard Wagner emigrierte nach einer Zeit in Haft 1938 nach England. 1958 kehrten er und seine Familie jedoch nach Siegburg zurück: Dort betrieb er im Haus Markt 10, das nach der Zerstörung im Krieg wieder aufgebaut wurde, ein Einzelhandelsgeschäft. Gustav Vohs meldete sein Geschäft im Mai 1938 laut Gewerberegister ab – selbstredend nicht freiwillig, wie Arndt erläutert: „Nachdem es arisiert worden war, wurden dort Uniformen der SA und Hitlerjugend verkauft. Vohs emigrierte in die USA und starb dort 1954.

Ein Geschäftsmann lehnte sich durchgehend gegen die Nazis und ihre Repressalien auf: Kurt Fraustätter, der den „Rheinischen Laden“, kurz „Rhela“, in der Bahnhofstraße 16 betrieb – damals noch Hermann-Göring-Straße. Heute ist in dem Gebäude „Zeeman“ untergebracht. 1933, nach den Reichstagswahlen besetzten SA- und SS-Leute jüdische Geschäfte, auch den Rhela. Mit umgehängten Schildern wiesen sie die Leute an: „Kauft nicht in Warenhäusern“ – da diese vor allem von Juden betrieben wurden.

Die Boykotte und Terrorisierungen jüdischer Geschäfte nahmen danach weiter zu. Den Akten ist zu entnehmen, dass sich Kurt Fraustätter 1934 beim Siegburger Bürgermeister Ley – einem überzeugten Nazi – beschwerte, dass am Gebäude der Kreissparkasse ein Transparent hinge mit der Aufschrift: „Wer beim Juden kauft, ist ein Verräter“. Der Protest blieb erfolglos. Frau­stätter wurde 1935 unter dem Verdacht der „Rasseschändung“ kurzzeitig verhaftet und zog danach nach Berlin – hier verliert sich seine Spur. In das Gebäude zog 1935 das Kaufhaus Hohage ein, das 2001 Insolvenz anmeldete.

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